MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeiträge vom 23.06.08

Martin Klauss vom RUNDEN TISCH mit einem Redebeitrag
zur zweihundertsten Montagsdemo
am Montag, 23. Juni 2008, 17.30 Uhr, auf dem Freiburger Rathausplatz

"Hartz IV - eine einzige Erfolgsgeschichte!"

Ich möchte - als Beitrag des 'RUNDEN TISCHES zu den Auswirkungen der Hartz-Gesetze in Freiburg' auch mal etwas Positives zum Thema beitragen - an einem Tag, an dem viel geschimpft und kritisiert und viel Negatives aufgetischt wird.
Erst kürzlich wieder teilte uns ein Herr Horst K. aus Berlin in einer Art öffentlichem Leserbrief ans Volk Erfreuliches mit:

die Agenda 2010, so stellte er fest (und damit natürlich in erster Linie das Herzstück dieser Agenda "Hartz IV") ist ein großer Erfolg. Ein solch großer Erfolg, dass man ganz dringend und umgehend die Agenda 2020 auflegen und baldmöglichst umsetzen müsse.

Horst K. aus Berlin ist nicht irgendwer. Er weiß, wovon er redet. Schließlich hat er selbst einen 1-Euro / Pardon: einen ¼ - Millionen-Euro-Job verpasst bekommen. Einen Job, der perfekt alle Anforderungen an derartige 1- oder 2- oder ¼ Millionen Euro- Jobs erfüllt:
Sein Job ist zusätzlich: auf jeden Fall, manche meinen auch: überflüssig?
aus Steuermitteln finanziert ist er auch und dass er einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz verdrängen würde, kann ja wohl niemand ernsthaft behaupten.

Er weiß, wovon er redet, er kennt sich aus mit Armut, der Herr Horst K. aus Berlin, steckte er doch zuvor auch in einer Art von Arbeitsgelegenheit mit (allerdings durchaus üppiger) Mehraufwandsentschädigung, auch einer Art 1-Euro / Pardon: ¼ - Millionen Euro-Job; bei der Arge übrigens...

Nicht bei der Arge in Freiburg, oder Hamburg oder Hinterdudelhausen. Seine Arge hieß anders, die ist nicht zuständig für ein paar läppische tausend Arme in einer Stadt, ihre Dimensionen rechnen sich in vielen Millionen, die durch ihre Auflagen in immer tieferes Elend gestürzt wurden.
Horst K.s Arbeitsgelegenheit war eingerichtet von einer Art weltweiter Arge, vom IWF, vom internationalen Währungsfond.

Wer besser, als der Mitverantwortliche für millionenfache Verarmung weltweit durch die Auflagen des IWF könnte die Auswirkungen der Armutsbekämpfungspolitik in Deutschland beurteilen (so heißt es offiziell von Hartz IV, es sei das Instrument zur Armutsbekämpfung), wer könnte besser als er beurteilen, wie überaus erfolgreich diese Politik in unserem Land gewirkt hat und wirkt!

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Auch dort beim IWF, war er erfolgreich, der Herr K. aus Berlin: Die Rückzahlungen der armen Länder an die Kreditgeber, an die internationalen Schuldeneintreiber fließen besser, mit den Dollars, die durch steigende Preise für Brot und Gas und Wasser und Medikamente und, und, und aus den Armen herausgepresst werden für den sogenannten Schuldendienst. Ein Erfolg. In der Tat!

Wer das Gefühl bekommt, die deutschen Argen könnten dieser weltweiten Arge abgeschaut, nachgebaut sein, bei all dem Druck, mit dem sie hier bei uns Armut, und vor allem die Armen bekämpfen, dem möchte ich nicht leichtfertig widersprechen: manches Mal stimmen solche Gefühle vielleicht...

Egal wie, der Herr Horst K. aus Berlin hat Recht: Hartz IV ist ein großer Erfolg.

Erfolge erkennt man meist daran, dass etwas neues entsteht, was es vorher nicht gab, dass etwas zunimmt, dass etwas wächst. Wachstum ist ein wesentlicher Indikator für Erfolg:

Unter den Einzelhandelsketten Deutschlands gibt es eine, deren Umsatzsteigerungsraten seit 2005 deutlich an der Spitze liegen, weit vor Aldi, Lidl und Edeka, neue Filialen sprießen geradezu aus dem Boden, die Preise sind unschlagbar billig, und zeitweise kommt der Verkehr beinahe zum Erliegen, weil die Kundenschlangen fast bis über die Fahrbahnen für die Autos reichen.

Nicht weit von hier, ein Kilometer östlich, befindet sich ein Freiburger Ableger dieser erfolgreichen Kette: die Freiburger Tafel, eine Einrichtung mit großer Hilfsbereitschaft und enormen Wachstumsraten und Schlangen bis auf die Straße. Ein echter Erfolg von Hartz IV!

Auch unter den beschäftigungsintensiven Wachstumsbranchen gibt es einen neuen Star seit gut drei Jahren: 500.000 neue Beschäftigte in kurzer Zeit, ganz aus dem Nichts! Unschlagbar konkurrenzfähig und ein riesiger Erfolg, denn 500.000 Arbeitslose weniger, fast auf einmal, wenn das kein Erfolg ist?
Die Größe dieses Erfolgs bundesdeutscher Armutsbekämpfung wird erst richtig deutlich, wenn man bedenkt, dass so die Arbeitslosigkeit um eine halbe Million abgebaut wurde, ohne dass auch nur ein einziger von diesen 500.000 ein-Euro-Jobbern einen Arbeitsplatz hat!!! Das ist einmalig! Das ist genial. Das ist ein echter Erfolg!

Und - Das ist natürlich längst nicht alles:

Die Finanzspekulationen wachsen, die Konzerngewinne, und es wächst die Zahl derer, die um ihre Wohnung kämpfen müssen.
Privater Reichtum wächst
und das Spielgeld zum Anheizen der Spekulation
Auch hier in Freiburg werden gut tausend Menschen in Existenznöte gebracht durch die Weigerung dieses Gemeinderats, die MOG so anzuheben, dass sie der gängigen Rechtsprechung entsprechen! Das gab es so bisher nicht. Auch ein Erfolg von Hartz IV?

Und Millionen Kinder gehen hungrig zur Schule und kommen dort auch letztendlich nicht weit. Überhaupt gibt es keine anderen gesellschaftlichen Entwicklungen wie die Steigerungsraten bei den Armen und besonders der Kinder, die diese Gesellschaft in Armut geschickt hat, und ihnen kaum Chancen gibt, wieder herauszufinden.
Auch hier Wachstum! Auch das ein Erfolg???

Und noch ein Erfolg von Hartz IV: die Menschen sind bescheidener geworden.
Und: Bescheidenheit ist eine Tugend. Auch dazu verhilft Hartz: die Deutschen geben sich mit deutlich niedrigeren Löhnen zufrieden. Das ist doch was, oder? Sie fahren nicht mehr so viel unnütz in Urlaub? Gut für die Umwelt! Oder? Sie treffen sich weniger in der Kneipe mit dem Nachbarn zum Bier! Auch gut; dann können sie sich wenigstens nicht so oft streiten?
Und: Arme leben nicht so lang. Sie sterben im Schnitt etliche Jahre früher. Auch ein Erfolg? Nein, also das geht zu weit, das darf man nun wirklich nicht öffentlich sagen, das sei ein Erfolg der Politik. Das geht wirklich zu weit. Höchstens mal so ganz abstrakt, statistisch gesehen, unter rein volkswirtschaftlichen Aspekten. Da ist es natürlich kostengünstiger - so in Sachen Rente oder Grundsicherung im Alter, und die Pflegekosten, das kostet ja dann doch eine ganze Menge Geld, wenn ausgerechnet diese Leute so lange leben...

Herr K. aus Berlin hat recht: Hartz IV ist eine einzige Erfolgsgeschichte.

Denn: was ein Erfolg ist, ist immer eine Frage des Standpunktes, eine Frage der Sichtweise. Wenn der sprichwörtliche Räuber den einsamen Wanderer überfällt, und der auch gerade von der Bank kommt, und einen Batzen Geld in der Tasche dabei hat, wer wollte da abstreiten, dass der Räuber einen erfreulichen Erfolg zu verbuchen hatte? Aus seiner Sicht eben; aber zweifelsohne einen Erfolg.
Der Beraubte mag dies unter Umständen anders sehen...
Hartz IV ist ein Erfolg.
Wer ist hier der Räuber?
Wer sind die Wanderer?
Werden diese sogar dann noch beraubt, wenn sie (ganz gegen jede Räuberehre) schon gar nichts mehr in den Taschen hatten?

Fragen über Fragen. Eines ist klar: wer bei uns von Hartz IV und all den anderen Gesetzen dieser Art, von Steuergeschenken und vielfältigen Benachteiligungen der Menschen unten profitiert, heißt bei uns nicht Räuber - er nimmt sich den Reichtum ja nicht selbst - auch nicht Hehler - für die Weitergabe des Reichtums sorgen bei uns ganz ordnungsgemäß die Behörden

die Profiteure heißen bei uns:
Leistungsträger der Gesellschaft, Aktionäre, Fondmanager, Bankaufsichtsräte und Börsenspekulanten, sie heißen bei uns Siemens, Daimler oder Deutsche Bank.
Für sie alle ist Hartz IV ein Erfolg
Und weil ihnen auch noch die Medien gehören (und die meisten PolitikerInnen vielleicht auch???), müssen wir uns ständig anhören, wie es wirklich ist:
Wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird auch noch das genommen, was er nicht hat. Oder kurz gefasst: Die Agenda 2010 ist eben ein Erfolg!

Dann gibt es da neben dem Herrn K. noch eine Frau M., auch mit Wohnsitz in Berlin. Auch sie lässt oft Leserbriefe los ans Volk. Manches Mal liest sie auch daraus vor, oft sogar im Fernsehen.
Auch Angela M. hat solch einen 1-Euro / Pardon: einen ¼ - Millionen Euro-Job abbekommen, zu hundert Prozent aus Steuermitteln bezahlt, und auch sie verdrängt ganz sicher keinen von einem versicherungspflichtigen Job.

Sie hat einen Lieblingsspruch drauf (wie viele übrigens, die eigentlich nicht viel Vernünftiges zu sagen haben), einen Satz, ganz einfach, verständlich, mit nicht allzu viel Niveau, dafür ohne Verb und Adverb und Adjektiv und Person und sonstigem grammatikalischen Unfug: Ihr Lieblingsspruch lautet, und sie erzählt ihn ungefragt und immer wieder:

Hauptsache Arbeitsplätze! Hauptsache Arbeitsplätze!
Ein ganzer Chor betet es nach, Hauptsache Arbeitsplätze, und darunter sind etliche, in feines Tuch gehüllt und sehr wichtig dreinschauend, die nicht nur nachbeten, die haben es ihr ganz offensichtlich schon vorher vorgesagt!

Wer genau hinhört in dem ganzen Geschrei und Rufen nach all diesen Millionen von Arbeitsplätzen, der hört einen Grundton, eine Art Gemurmel unter all dem aufgeregt Lauten, der hört, immer klarer, wenn er wirklich hinzuhören bereit ist die Grundbotschaft, auf der alles aufgebaut wird, der alles untergeordnet ist, die Grundbotschaft, auf der sie stehen, wenn sie vom endgültigen Abbau der Arbeitslosigkeit reden und reden und reden...
Wer genau hinhört, der hört: ganz laut: Hauptsache Arbeitsplätze!
Und ganz leise dahinter: Nur kosten dürfen sie nichts, nur kosten dürfen sie nichts, nur kosten dürfen sie nichts!

Das ist die Lösung, die elegante Lösung, das ist der ultimative Erfolg, der spätestens mit der Agenda 2020 erreicht werden soll.
So wird der Abbau der Arbeitslosigkeit wirklich finanzierbar, so geht Kanzlerin Angela ein in die Geschichtsbücher als Kanzlerin der Einheit aller zum Nulltarif Schuftender, als Kanzlerin der Beendigung der Arbeitslosenstatistik und der sichtbaren Arbeitslosigkeit, als Kanzlerin des allumfassenden bürgerschaftlichen Engagements und des unbezahlten Ehrenamtes in allen Ämtern und Betrieben und für die ganze Republik.

Ihr Motto schon heute:
Seien Sie doch froh, dass Sie überhaupt Arbeit haben.
Was, wollen Sie denn auch noch Lohn dafür?
Ein Anspruchsdenken ist das bei Ihnen!
Wer soll denn das bezahlen?
Wenn sie zu Ihrem Arbeitsplatz auch noch Lohn fordern, der müsste ja vielleicht mit Steuermitteln bezahlt werden!
Denken Sie an die Krankenschwester, an die Verkäuferin, an die Friseurin; die haben doch auch nicht viel, und denen wollen Sie jetzt noch etwas wegnehmen, von deren hart erarbeiteten Steuerzahlungen wollen Sie sich ein Luxusleben finazieren lassen?
Wollen Sie denen noch etwas klauen, nur weil sie zu Ihrer Arbeit auch noch einen Lohn verlangen?
Übrigens. Mit unseren 1-Euro-Jobs sind wir schon ganz gut im Rennen hin zur dieser Arbeit ganz ohne Lohn...

Zum Schluss - wegen der Ausgewogenheit - Noch ein Wort an die Genossinnen und Genossen der SPD, es gibt ja da auch einige ganz fitte, auch verlässliche, einige, die mitleiden an all dem, was die SPD gerade in den letzten Jahren zu verantworten hat.

Es hat etwas Tragisches mit dieser Partei, und deshalb sollten wir sie vielleicht umbenennen in SPD: die Sisyphus - Partei Deutschland, oder genauer noch: USPD, die "Partei des umgekehrten Sisyphus - Prinzips für Deutschland"...

Sisyphus. Sie kennen diesen alten Griechen, der immer wieder den sprichwörtlich schweren Stein den Berg hinaufrollte, und dann rollte er einfach wieder hinunter, damit ihn der Sisyphus wieder hinaufrollen durfte. Wieder und wieder und wieder...

So ähnlich macht es die SPD, nur irgendwie umgekehrt: Da liegt der schwere Stein am Anfang oben. Dann treten sie ihn los, die Genossen, laufen ganz schnell nach unten; und dort, wo aus dem Stein eine ganze Steinlawine geworden ist, stellen sie sich auf neben der Lawine mit einem Schild in der Hand. Darauf steht: Stop! oder "anhalten" oder "bis hierhin und nicht weiter!"

Das war schon so, als die Genossinnen und Genossen den Kriegseinsätzen in Afghanistan und sonst wo zustimmten und dann die Schilder malten mit "macht endlich Frieden!" oder als sie die Reichen im Land und die Konzerne mit Steuergeschenken überhäuften und damit die öffentlichen Schulden ins Uferlose hochtrieben und jetzt ein Schild hochhalten mit der Aufschrift: Wir alle müssen sparen und Schulden zurückzahlen!

Und als sie Hartz IV durchsetzten - mit Regelsätzen weit unterhalb der von Ihnen selbst im Prinzip akzeptierten Armutsgrenze - traten sie den Stein los, auf dem steht "Niedriglohnsektor", oder klarer noch: Hungerlöhne, nicht zufällig, sondern weil genau dies gewünscht war von denen, die Erfolge sehen wollten in ihrem Sinne:
einen lawinenartiger Anstieg von Minilöhnen habt Ihr losgetreten, von denen nicht mehr menschenwürdig zu leben ist, genau wie mit 347 Euro im Monat kein menschenwürdiges Leben geführt werden kann.

Jetzt wo es so aussieht, als ob sich die Lawine der Hungerlöhne nicht mehr aufhalten ließe, stellen sie ein Schild auf neben der Lawine, die Genossinnen und Genossen, darauf steht:
Stop, anhalten, Mindestlohn möglichst bald!
...aber bitte nicht zu hoch!!!

Wäre es nicht ein klein bisschen schlauer gewesen, die Lawine erst gar nicht loszutreten? Nur, dann könnten wir eben heute nicht diese Erfolg feiern - Erfolge für die Profiteure dieser Hartz-Gesetze...

Hartz IV ist ein Erfolg. Ganz gewiss.
Eine Frage nur an uns: Warum haben wir diesen Erfolg zugelassen und wann endlich machen wir uns auf, ihn umzukehren?

Denn: Alle Menschen haben das Recht auf ein menschenwürdiges, auf ein gutes Leben.

 

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