MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 6.10.08

Rede von Amish D. Leßmann auf der 215. Montagsdemo in Freiburg

Liebe FreiburgerInnen,

ich bin der Meinung, das Problem ist nicht, daß es immer weniger Arbeit gibt. Das Problem ist, daß diejenigen, die soviel Geld haben, daß sie es nicht sinnvoll ausgeben können, meinen, sie müßten es mit möglichst hoher Rendite anlegen, um noch mehr zuviel zu haben, als sie ohnehin schon haben.

Durch die Renditeerwartungen der Anleger – und ich rede hier nicht von Omas Sparbuch, sondern von Milliardären und Multimillionären – durch diese Renditeerwartungen also entsteht ein enormer Druck auf jene Manager, in deren Firmen dieses Kapital angelegt ist. Das gehört zum Wesen des Kapitalismus.

Diese Geldanleger bereichern sich ohne zu arbeiten an der Arbeit anderer. Sie lassen auch die natürlichen Ressourcen dieses Planeten rücksichtslos plündern und kassieren ganz alleine das, was die Maschinen und Roboter erarbeiten bzw. stecken die Multiplikation der Produktivität der ArbeiterInnen durch von diesen gesteuerte Maschinen in die eigenen übervollen Taschen.

Das ist der eine Teil des Skandals. Der zweite ist, daß nur solche Arbeit bezahlt wird, die entweder profitträchtig ist oder die der Staat für so wichtig hält, daß er sie bezahlt. Hat es jemand gemerkt? – Gewinne werden privatisiert und Verluste sozialisiert. Doch die meiste wichtige Arbeit wird unbezahlt geleistet oder bleibt auf der Strecke. Es sind weit überwiegend Frauen, die unbezahlte Arbeit leisten, insbesondere in der Kindererziehung.

Der dritte Teil des Skandals ist, daß die immer weniger werdende bezahlte Arbeit ungerecht verteilt ist: Immer weniger Menschen können von ihrem Lohn oder Gehalt leben, ohne mit Arbeitslosengeld II aufstocken zu müssen. Manchen Leuten wird eine Arbeitszeitverlängerung abverlangt, andere werden auf die Straße gesetzt.

Wer seinen Arbeitsplatz verloren hat, verliert nach einem Jahr fast seine ganzen Ersparnisse, muß ggf. sein Auto verkaufen und sich eine kleinere Wohnung suchen, so er (oder sie) denn eine findet. Und dann muß er oder sie sich einen Job suchen und bereit sein, jede Arbeit anzunehmen. Ingenieure müssen sich als Kloputzer bewerben und ehemalige Büroangestellte sollen in Callcentern arbeiten. Das bedeutet, am Telefon wildfremde Leute illegal zu belästigten, zu belügen und zu überrumpeln.

Wer sich aber aus freiem Willen um eine Stelle bewirbt, die er oder sie _wirklich_ gerne haben möchte, muß sich gegen Heerscharen von Bewerbungs-Spammern durchsetzen, die auf Befehl der ARGE sämtliche Personalbüros lahmlegen müssen, obwohl sie eigentlich lieber eine andere Arbeit hätten.

Manch einer wäre vielleicht sogar bereit, anderen den Vortritt zu lassen und sich mit dem Nötigsten zu bescheiden, wenn ihm denn zumindest das soziokulturelle Existenzminimum gewährt würde und seine Menschenrechte auch ohne eine Arbeitsstelle zu haben respektiert würden. Was folgt daraus? Wie müssen unser Bild der Arbeit vom Kopf auf die Füße stellen: Arbeit ist kein Selbstzweck, sondern bedeutet ursprünglich, das zu tun, was notwendig oder nützlich ist, zumindest aber Annehmlichkeiten oder Vorteile bringt.

Was aber ist mit der sogenannten „Arbeit“, die in der Auto- und Rüstungsindustrie, den meisten Abteilungen der Chemieindustrie, in der Arbeitslosenschikanierungsverwaltung oder auch in Braunkohletagebauen und der Atomindustrie verrichtet wird? Das einzige Ergebnis sind getötete, vergiftete, verstrahlte, entrechtete und verletzte Menschen und Tiere sowie eine grandiose Umweltverschmutzung und Landschaftszerstörung.

Ich meine, es sollte nur jene Arbeit getan werden, die Mensch, Natur und Umwelt nützt, nicht aber jene, die schadet oder auch nur sinnlos ist. Entscheidend ist, wer den Nutzen hat: Wenn derjenige, für den die Arbeit getan wird – beispielsweise der Endverbraucher – demjenigen, der sie verrichtet, einen fairen Geldbetrag zahlt, dann ist das in Ordnung. Wenn sich aber jemand dazwischenschaltet und einen Teil des Geldes einbehält, obwohl er eh schon mehr hat als er zeitlebens verprassen kann, dann ist das Ausbeutung.

Die Forderung kann daher meiner Meinung nach nur lauten: Radikale Arbeitszeitverkürzung auf höchstens 30, später 20 und weniger Stunden pro Woche, 10 Euro gesetzlichen Mindestlohn und mindestens 800 Euro Existenzgeld pro Kopf – also ein durch eine Abgabe auf alle Einkommensarten finanziertes bedingungsloses Grundeinkommen.

Das alles ließe sich – wenn in der Bevölkerung der Wille stark genug wäre – rein praktisch betrachtet ziemlich bald umsetzen.

Des weiteren muß es verboten werden, Zinsen zu nehmen – denn diese sind der Mechanismus, über den der größte Teil der Ausbeutung vollautomatisch und weitgehend unwidersprochen abläuft. Die Umsetzung dieser Forderung wird bereits versucht in Form von Regionalwährungen, die mit einer Umlaufsicherung versehen sind. Auch hier in Freiburg laufen Vorbereitungen zur Einführung einer solchen Regionalwährung namens FreiTaler.

Ein absolutes Zinsverbot läßt sich im Zeitalter der Globalisierung allerdings nur auf globaler Ebene umsetzen. Und eines ist auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaftsordnung, in der es über das Existenzgeld und bestimmten Leistungen für Kranke und Bedürftige hinaus nur Geld für Arbeit, aber nicht für’s Sowieso-schon-zuviel-Geld-Haben gibt, unumgänglich:

Kapitalismus abschaffen!!!

 

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