MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 4.08.08

Sozialabbau und Afghanistan

Laut offiziellen Angaben der "schwarz-roten" Bundesregierung sind im Jahr 2007 für das Arbeitslosengeld II rund 24 Milliarden Euro ausgegeben worden. 29 Milliarden Euro waren dagegen allein im Haushaltstitel "Verteidigung" - also für Krieg, Waffen und Militär - verzeichnet. Und bekanntlich werden erhebliche Militärausgaben in anderen Haushaltstiteln versteckt.

Allein die militärischen Treibstoff-Kosten schlugen 2007 mit 307 Millionen Euro zu Buche. So ein Panzer frißt nun mal locker 30 Liter Sprit auf 100 Kilometer. Doch nicht allein, um den Nachschub an Treibstoff für die Truppe zu sichern, steht die Bundeswehr am Hindukusch. Fast die gesamte globale Industrie steht oder fällt mit der Versorgung durch das flüssige schwarze Gold.

Daß der Peak Oil um die Jahttausendwende überschritten würde, wußten die führenden Köpfe der westlichen Industrienationen bereits vor 10 Jahren genau. Und daß spätestens seit 2002 von Jahr zu Jahr global immer weniger Öl gefördert wird und die Fördermenge insgesamt von Jahr zu Jahr rapide abnimmt, treibt die Preise immer höher. Doch die Saudis - genauer gesagt: deren Herrscher - kündigen unverdrossen alle paar Monate an, die Ölförderung zu erhöhen - dies gehört mittlerweile zu den "desert legends".

Der frühere US-Außernminister Kissinger legte die Prioritäten bereits vor Jahrzehnten fest: "Das Öl ist zu wichtig, um es den Arabern zu lassen". So wurde der "Krieg gegen den Terrorismus" von der Regierung der führenden Industrienation und ihren Satelliten genutzt, nicht nur um mit Afghanistan das zentrale Land an einem der letzten großen Fördergebiete, der Region ums Kaspische Meer zu besetzen, sondern schlichtweg alle Gasfelder und Ölquellen weltweit zu kontrollieren. Als in Ost-Timor eine Million Menschen mit Waffen ermordet wurden, die Deutschland zuvor Indonesien geschenkt hatte, war das den führenden Köpfen der westlichen Industrienationen völlig gleichgültig. Als jedoch große Ölmengen vor Timor entdeckt wurden, wurde Ost-Tirnor ganz schnell "unabhängig". Heute wird es von US-amerikanischen und australischen Truppen kontrolliert.

Ebenso verhält es sich in Georgien oder in Westkasachstan, Kirgisien, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan, wo lukrative Ölfelder und gewaltige Gasvorkommen liegen. Überall dort hat die USA Militärstützpunkte und Flughäfen mit Truppenpräsenz aufgebaut und gleichzeitig Diktaturen installiert Der 'spiegel' schrieb: "Keines der neuen Regime ist demokratisch wirklich legitimiert, sämtliche Einnahmen fließen in die Taschen der regierenden Clans. Korruption und Armut alIerorten... Hochrangige Polizisten prügeln auf offener Straße Journalisten krankenhausreif, unabhängige Redaktionen werden von Brandbomben und Morddrohungen heimgesucht." Diese Regionen, die lange als Hort der Stabilität galten, stehen Dank der US-amerikanischen "Demokratie" am Rand des Bürgerkrieges. Widersprüche brechen auf, Attentate und Unruhen erschüttern die Region.

2001 wollten die Taliban den Bau einer Gas-Pipeline vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean, dem sie zuvor zugestimmt hatten, nicht dulden. So machten sie sich bei den Mächtigen der USA verhaßt, die sie einst gefördert hatten, um mit ihrer Hilfe der Sowjetunion eine schwere Niederlage zuzufügen. In den 1980er Jahren waren die Taliban, ebenso wie die Mudjaheddin und die War-Lords von den USA mit enormen finanziellen Mitteln und Waffenlieferungen aufgepäppelt worden. Es ist dasselbe Spiel, das die USA auch mit Saddam Hussein trieben. Zuerst wurde er von den USA gegen den Iran aufgebaut und von US-Außenminister Rumsfeld höchstpersönlich hofiert. Erst als er nicht mehr wie eine Marionette funktionierte, wurde er zum Feind der USA erklärt.

In Afghanistan sieht es heute nicht besser aus, obwohl die "rot-grüne" Regierung unter Gerhard Schröder sich am Afghanistan beteiligte, um angeblich "Deuschland am Hindukusch" zu "verteidigen" und um dorthin Freiheit und Demokratie zu exportieren. Mit Hamid Karzai ist dort ein Marionetten-Präsident installiert worden, der in den USA über Jahre hin eine Restaurant-Kette geleitet hatte und der Berater des US-amerikanischen Öl-Konzerns Unocal in Sachen Afghanistan war. Der Anschlag am 11. September 2001 und der Aufenthalt Osama bin Ladens in Afghanistan dienten lediglich als Vorwand für den Beginn eines nachweislich seit Jahren geplanten Krieges.

Als 2001 weite Teile Afghansitans - eines Landes, daß seit der Besetzung durch die UdSSR in der Zeit zwischen 1980 und 1989 über Jahrzehnte fast nur Krieg erlebt hat - platt gebombt waren, diente das Wort "Wiederaufbau" zur Rechtfertigung der weiteren Besatzung. Daß der "Wiederaufbau" lediglich Alibi-Charakter hat, zeigt allein schon der Blick auf die offiziellen Zahlen, wonach Deutschland für diesen jährlich 100 Millionen Euro bezahlt, für den Militäreinsatz in Afghanistan jedoch jährlich 530 Millionen Euro. Nach offiziellen Angaben wurden seit 2002 für den Krieg in Afghanistan 85 Milliarden US-Dollar aufgewandt und lediglich 7,5 Milliarden unter dem Titel "friedlicher Aufbau von Entwicklung in Landwirtschaft, Gesundheit, Ausbildung und Straßenbau".

Und selbst von jenen 100 Millionen Euro aus Deutschland kommt allenfalls ein Bruchteil den AfghanInnen zu gute. Wohin ein Großteil der Entwicklungshilfe-Gelder fließt, zeigt folgendes Beispiel: Eines der wenigen sichtbaren Projekte, das von der US-amerikanischen Agentur für internationale Entwicklung (US Aid) in Afghanistan finanziert wurde, ist der Bagrami Industrial Park bei Kabul. Dort hat der Coca-Cola-Konzern im Dezember 2005 eine Fabrik für 25 Millionen Dollar gebaut. Es ist die größte ausländische Investition seit dem Fall des Taliban-Regimes. Ebenso grotesk - und vorbei an den Bedürfnissen der AfghanInnen - ist die Zuckerfabrik in Baghlan. Sie gilt als Vorzeigeprojekt und Springers 'Welt' feierte sie als "Symbol einer wirtschaftlichen Entwicklung jenseits des Mohnanbaus".

Auch die elende Lage der afghanischen Frauen unter dem Taliban-Regime mußte herhalten, um Krieg und Besatzung zu rechtfertigen. Monika Hauser, Gründerin und Geschäftsführerin der Frauen-Hilfs- und -Rechtsorganisation 'medica mondiale' beschrieb im Jahr 2004 nach der Rückkehr von einer Reise nach Afghanistan die katastrophale Situation der afghanischen Frauen. Ihr Leben sei "von extremer Gewalt und Armut dominiert". Monika Hauer bestätigte, daß sich die Situation der afghanischen Frauen nicht nur nicht verbessert, sondern sogar noch verschlechtert hatte. Sie beschrieb die Sicherheitssituation vor Ort als "extrem verschlechtert" im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Jahren 2003 und 2002.

Im Oktober 2007 berichtete die afghanische Politikerin und Menschenrechtlerin Malalai Joya bei einem Deutschlandbesuch auf Einladung der Linkspartei von der Lage in Afghanistan: "Niemals war die Zahl der Selbstmorde von afghanischen Frauen als Folge von Armut, Not und Ungerechtigkeit so hoch wie heute." Die durchschnittliche Lebenserwartung afghanischer Frauen beträgt nur 44 Jahre. Viele Familien verkaufen die Töchter als Bräute - teilweise wenn sie gerade einmal zehn Jahre alt sind - um Armut zu lindern. Mädchen werden in Afghanistan nach wie vor wie eine Währung gehandelt, Zwangsehen sind üblich. Befehlshaber der Nordallianz entführen Frauen und Mädchen in Gebieten, die unter ihrer Kontrolle stehen. Nach Angaben der britischen Hilfsorganisation Oxfam besucht nur eines von fünf Mädchen die Grund- und eines von 20 eine weiterführende Schule. Frauen, die es wagen, einer Arbeit außerhalb des eigenen Haushalt nachzugehen, werden bedroht oder ermordet.

Laut Malalai Joya lenkt die korrupte Karzei-Regierung Milliarden Dollar an Hilfsgeldern in die Taschen von Offiziellen. Es könne daher nicht verwundern, daß die Regierung außerstande ist, Wasser und Elektrizität für alle zu garantieren, und daß die Mehrheit der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt.

Im März 2007 veröffentlichte Integrity Watch Afghanistan eine Studie, die belegt, daß zwei Drittel der AfghanInnen meinen, die jetzige Administration sei korrupter als irgendeine Regierung der vergangenen 20 Jahre. Izzatullah Wasifi, Hamid Karzais Anti-Korruptionschef, hat selbst eine kriminelle Vergangenheit und saß in den USA wegen diverser Drogendelikte im Gefängnis.

Das afghanische Parlament ist ein Tummelplatz für Drogenbarone und Menschenrechtsverletzer. Neun von zehn Abgeordneten stammen aus bewaffneten Strukturen und haben ihre Mandate nicht selten mit dem Gewehr im Anschlag erobert. Human Rights Watch schrieb 2006: "Warlords, die während des Bürgerkriegs in den neunziger Jahren Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung verübt haben - wie General Rashid Dostum und Vize-Präsident Karim Khalili - wurden Machtpositionen zugewiesen, was einer Demütigung für die afghanische Bevölkerung gleichkommt." - angesichts dieser Tatsachen liegt es auf der Hand, daß die führenden Köüfe der westlichen Industrienationen nicht wirklich an Frieden und Demokratie in Afghanistan interessiert sind.

Ein weiteres trauriges Kapitel ist das Heroin, das weltweit inzwischen zu 93 Prozent aus Afghanistan stammt. Der einzige Wirtschaftssektor, der in Afghanistan boomt, ist die Opium-Produktion, sind die Labors, die aus Opium Heroin produzieren. Afghanistan war einst landwirtschaftlicher Selbstversorger. Noch in den Siebziger Jahren war Afghanistan der weltweit größte Exporteur von Rosinen. Heute sind selbst nach Auskunft des Mitglieds der afghanischen Marionetten-Regierung, das als "Wirtschaftsminister" fungiert, 99 Prozent aller Waren auf afghanischen Märkten Importwaren.

Bei der Besetzung Afghanistans wurde Heroin im Wert von 800 Milliarden US-Dollar beschlagnahmt. Dies wurde allerdings nur von portugiesischen Medien gemeldet. Wer an den Weihnachtsmann glaubt, darf gerne auch annehmen, daß dieses Heroin vernichtet wurde.

Der in Afghanistan gebürtige Politologe Matin Baraki, Dozent an den Universitäten Marburg, Münster, Kassel und Gießen, war Zeitzeuge der Sowjetbesatzung Afghanistans, der Periode der Warlords bis 1994 und der siebenjährigen Herrschaft der Taliban. Und auch die Zustände im Lande seit dem Einmarsch des US-Militärs kennt er aus eigener Anschauung. Laut Baraki ist die afghanische Wirtschaft vor allem seit der Invasion der USA zerstört. In Afghanistan bestehe keine relevante Produktion mehr außer der Mohn-Produktion.

Unter den Augen der USA verdienen Warlords und auch Verwandte des Marionetten-Präsidenten Hamid Karzai am Drogenhandel. Baraki erklärt: "Die Drogenbarone sind zum Teil Minister, Gouverneure, Generäle. Als ich vor zwei Jahren in Afghanistan war, wurde der britische Botschafter einbestellt zum Präsidenten Karzai, weil die britische diplomatische Vertretung einen Bericht veröffentlicht hatte, daß der Bruder Karzais, beziehungsweise die gesamte Familie Karzai, im Drogengeschäft mitmacht. Der Botschafter ist abberufen worden. Und heute pfeifen alle Spatzen von den Dächern, daß die Familie Karzai ganz tief im Drogengeschäft mitmacht. Ein Bruder von Karzai, er ist Ratsvorsitzender der Provinz Kandahar, kassiert jährlich 20 Millionen Dollar Schutzgelder von Drogenhändlern. Es gibt im afghanischen Innenministerium verschiedene Staatssekretäre. Einer von denen ist zuständig für Drogenbekämpfung. Und seine gesamte Familie betreibt selber Drogenhandel."

Auf 193.000 Hektar wurde 2007 der Stoff angebaut und erreichte laut UNO mit 8.200 Tonnen - 34 Prozent mehr als 2006 - einen neuen Rekord. Den Taliban gelang es zwar - mit brachialen Methoden - den Opiumanbau fast vollständig zum Erliegen zu bringen, doch mit humanen Methoden wird das Problem nicht in Afghanistan zu lösen sein. Nur wenn die weltweite Nachfrage nach Heroin gestoppt wird, verspricht der Anbau von Mohn in Afghanistan keinen Profit mehr. Das Beispiel Elfenbein und der über viele Jahre zusammengebrochene Markt für illegales Elfenbein zeigt, daß dies möglich wäre.

Derzeit liefert ein Hektar mit Weizen 546 US-Dollar - mit Opium jedoch 5.200 US-Dollar. Die Produktionsrekorde der letzten Jahre haben zwar zu einem Preisverfall geführt. So wurden 2005 noch 200 US-Dollar für ein Kilogramm Roh-Opium bezahlt, sind es jetzt im Norden Afghanistans nur noch rund 30 US-Dollar. Doch dies heizt die Produktion nur noch weiter an, da eine höhere Produktionsmenge das Defizit auszugleichen verspricht.

Mit dem Büro der Vereinten Nationen für Suchtstoff- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) werden im ganzen Land mit 500 Millionen US-Dollar alternative Anbauprojekte finanziert. Ebensogut könnte in Deutschland jedem Heroinsüchtigen monatlich ein Euro ausbezahlt werden, um ihn so für eine Therapie zu motivieren. Daß bei einer solch lächerlichen finanziellen Basis alternative Anbauprojekte für Pistazien, Aprikosen, Pfirsiche, Mandelbäume oder gar Rosenstöcke, aus denen Rosenöl für den Export gewonnen werden soll, zum Scheitern verurteilt sind, ist vielen gutgläubigen EntwicklungshelferInnen in Afghanistan, die dabei viel Energie und Jahre ihres Lebens sinnlos vergeuden, nicht klar.

Wenig bekannt ist auch folgendes Detail, über das die Deutschen Welthungerhilfe 2004 berichtete. Die in Kundus eingesetzten Bundeswehreinheiten müssen über den dortigen Mohnanbau hinwegsehen. Als Begründung sei der Hilfsorganisation die "fragilen Sicherheitslage" vor Ort genannt worden. Darüber hinaus müssen diese Bundeswehreinheiten sogar mit den örtlichen Drogenbaronen kooperieren.

Außer für einige wenige, deren Profite steigen, - sei es durch Öl oder durch Heroin - kommt die Besetzung Afghanistans für die Mehrzahl der Deutschen - an Menschenleben und finanziell - um so teurer zu stehen, je länger sie andauert. Inzwischen wird auch Deutschland, dem gegenüber viele AfghanInnen traditionell positiv eingestellt waren, mehr und mehr als Feind angesehen.

Aus der deutschen Perspektive ist es leicht zu erkennen, daß die wahren Feinde Afghanistans in dessen eigener Regierung sitzen. Im Grunde ist es ebenso einfach auch hier in Deutschland zu erkennen, daß der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung nicht etwa durch "den Terrorismus", sondern beispielsweise durch Sozialabbau bedroht ist. Unsere wahren Feinde sind in Afghanistan und in Deutschland die selben.

 

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