MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 7.07.08

Schwindendes Vertrauen
in Demokratur

Mehrheit fordert "mehr Demokratie"

Ein typisches Beispiel für den Mißbrauch von Meinungsumfragen liefern die Schlagzeilen der Mainstream-Medien vergangener Woche, wonach das Vertrauen in "die Demokratie" schwinde. Dabei wird dreist das derzeitige Gesellschaftssystem mit Demokratie gleichgesetzt.

Selbstverständlich leben wir nicht in einer Diktatur, wie sie etwa in Spanien noch bis 1975 unter dem faschistischen Staats-Chef Franco bestand - oder wie in Griechenland, das bis 1974 von einer Militärdiktatur regiert wurde. Als ein Modell für Demokratie kann auch kaum die Ende der 1980er Jahre untergegangene, von einer kleinen bürokratischen Clique beherrschte pseudo-sozialistische Sowjetunion und ihre Satelliten-Staaten bezeichnet werden.

Daß aber in den USA und anderen kapitalistischen Staaten demokratische Rechte seit einem Höhepunkt Mitte der 1960er Jahre Schritt für Schritt reduziert werden, ist kaum zu leugnen. Der wesentliche gesellschaftliche Bereich, auf den die Ausübung von Macht gegen den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung gegründet ist, die Wirtschaft, war in kapitalistischen Staaten trotz zeitweiliger sogenannter Mitbestimmungsmodelle nie integraler Bestandteil demokratischer Willensbildung. Zeitweilig konnte zwar ein gewisser Interessenausgleich zwischen den Unterschichten und den im 20. Jahrhundert entstandenen Mittelschichten auf der einen und einer kleinen Oberschicht auf der anderen Seite - Dank der Stärke der Gewerkschaften - realisiert werden. Doch blieben und bleiben Gewerkschaften in einer Markwirtschaft immer ein Fremdkörper, der mit abnehmender Prosperität und abnehmender Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft zielgerichtet mehr und mehr geschwächt wird. Die Entwicklung von Demokratie, die nicht zuletzt auf der Ausübung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit beruht, wurde jedoch im Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg durch den manipulativen Einsatz von Massenmedien und Werbung abgeblockt und immer weiter zurückgedrängt.

Auch wenn das politische System, das sich auf einen pseudo-demokratischen Parlamentarismus stützt, von den Medien durch die Bank als Demokratie bezeichnet wird, kann diese Verschleierung der tatsächlichen Machtverhältnisse immer weniger Menschen in die Irre führen.

Es gibt hierzulande durchaus noch Restbestände demokratischer Freiheiten, die die Menschen zu schätzen wissen und die es zu verteidigen gilt. Auch ist es einer deutschen Bundesregierung trotz aller Beraterverträge von Abgeordneten, Leihbeamten der Wirtschaft in den Ministerien und der finanziellen Abhängigkeit der "schwarz-rot-gelb-grünen" Blockflöten-Parteien von Spendengeldern bis heute nicht möglich, sämtliche von oben eingegebenen Vorhaben ohne Abstriche durchzusetzen. Auch Bundeskanzlerin Merkel geht wie ihr Vorgänger Schröder bei der Durchsetzung des Sozialabbaus behutsam und nach der Methode der Salami-Scheibchen vor.

Doch eine Mehrheit der Deutschen hat inzwischen bemerkt, welchen Interessen diese Politik dient - und daß die seit Jahren nur in eine Richtung fortschreitende Verschiebung des Status Quo zuungunsten der unteren Zweidrittel keineswegs einen Beweis für mehr Demokratie, sondern für weniger Demokratie darstellt. So sind die Ergebnisse der aktuellen Umfrage als Ablehnung von Demokratur und nicht von Demokratie zu werten. Die Menschen wollen mehr - nicht weniger Demokratie.

So ist es kaum verwunderlich, daß sich rund 50 Prozent der Befragten vorstellen können, im kommenden Jahr nicht zur Bundestagswahl zu gehen. Sie fragen sich zurecht, was denn Wahlen noch für einen Sinn machen, wenn die vier "schwarz-rot-gelb-grünen" Blockflöten-Parteien trotz grassierender Mitgliederverluste und schrumpfender Prozentzahlen laut Umfragen zusammen nach wie vor eine Zweidrittelmehrheit stellen, obgleich sie in allen entscheidenden Fragen gegen die Mehrheit der Bevölkerung agieren: in Sachen EU-Reformvertrag, in Sachen fortgesetzten Sozialabbaus, in Sachen Afghanistan-Krieg, in Sachen Weiterbetrieb aller profitablen Atomkraftwerke der als Atomausstieg getarnt wird, in Sachen Anbau genmanipulierter Pflanzen und in der Frage, wie diese Regierung denn im Anblick der herannahenden Klimakatastrophe real agiert.

Wenn dann von cleveren DemoskopInnen die Frage an die Menschen gerichtet wird, ob sie den Eindruck haben, die Demokratie könne diese Probleme lösen - da wissen sie, daß nach heute verbreitetem Sprach-Codex dies gleichbedeutend mit der Frage ist, ob sie den Eindruck haben, die Regierung könne diese Probleme lösen - und da sagen sie selbstverständlich: Nein!

Daß dies dann benutzt wird, um es so hinzudrehen, als seien sie gegen Demokratie, ist schlicht und einfach infam. Wenn dieselben Menschen offen gefragt würden, ob sie dieses System als Demokratie oder als Demokratur bezeichnen würden, käme etwas ganz anderes heraus!

So wird denn von vielen "SozialforscherInnen" auch an anderer Stelle eingestanden, daß sie bislang - aus welchen Gründen auch immer - verabsäumt haben, "grundsätzliche Zweifel an der Staatsform zu messen". Und der bekannte Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer hat im Dezember vergangenen Jahres bei der Präsentation der Langzeitstudie "Deutsche Zustände" durchaus von einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem demokratischen System gesprochen - "die Demokratie an sich" sei aber nicht in Gefahr.

Die Ergebnisse der nun Wellen schlagenden Umfrage deuten bei genauerer Betrachtung darauf hin, daß die Befragten mit den gegenwärtigen Zuständen unzufrieden sind und diese keineswegs mit Demokratie verwechseln - auch wenn ihnen dies mit vorgegebenen Formulierungen, unter denen sie zwangsweise auswählen müssen, in den Mund gelegt wird. Ziel der Studie war es vorgeblich, herauszufinden, warum immer mehr Menschen den Wahlen fernbleiben. Doch wenn die entscheidenden Fragen ausgeblendet bleiben, ist auch Wissenschaft blind. Welches die Probleme sind, deren Lösung eine immer größere Zahl der Menschen "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" nicht mehr zutraut, kommt nicht zur Sprache.

In der Studie wurde nur pauschal abgefragt, ob es in Deutschland ungerecht zugehe. Da dies immerhin fast 60 Prozent bejahen, sollte WissenschaftlerInnen doch vielleicht interessieren, woran sich das festmacht, was denn genau als ungerecht angesehen wird. Statt dessen wird dann als scheinbar wissenschaftliches Ergebnis präsentiert, 26 Prozent der Befragten "fühlten sich ungerecht behandelt". Dies läßt ganz bewußt die Interpretation zu, alles sei vielleicht nur Einbildung. Und der 'spiegel' bietet in einem Artikel gar die Interpretation: "Persönlicher Mißerfolg führt demnach zu Staatsferne."

Ins Bild paßt dann auch, daß die "Demokratiefernen" - also jene, die Probleme sehen - mehr oder weniger mit Arbeitslosen und Hartz-IV-EmpfängerInnen gleichgesetzt werden. Und nach wie vor wird in den Mainstream-Medien - einschließlich der 'taz' - von "Sozialreformen" geschrieben statt von Sozialabbau. Dabei stammt dieser Begriff aus der Zeit, als Schröder und Clement noch versuchten, Agenda 2010 und Hartz-Gesetze als "Umbau des Sozialstaats" zu verkaufen, ein Umbau, der dazu diene, den Sozialstaat zu erhalten. Wer sich von diesem Orwellschen Doppelsprech bis heute nicht verabschiedet hat, der kann selbstverständlich nicht begreifen, warum laut Umfrage "57 Prozent der Befragten den Sozialreformen in Deutschland skeptisch gegenüber stehen".

 

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