MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 30.06.08

Kinderarmut in Deutschland

Verwirrspiel mit statistischen Zahlen

Noch im November 2007 hatte das 'Deutsche Kinderhilfswerk' (DKHW) den "Kinderreport Deutschland 2007" vorgelegt, wonach 5,9 Millionen Kinder und Jugendliche - also rund ein Drittel - als arm zu gelten haben. Auch andere neuere Studien beweisen, daß die Kinderarmut in Deutschland in den letzten Jahren rasant zugenommen hat. Laut einer Studie der Prognos AG leben in Haushalten ohne erwerbstätigen Elternteil 72 Prozent der Kinder unter der Armutsgrenze. Im Mai nun hatte Bundes-"Arbeits"-Minister Olaf Scholz im Armutsbericht Deutschland mit Hilfe statistischer Tricks wesentlich niedrigere Zahlen - 2,4 Millionen - präsentiert. UNICEF bestätigte diese Tendenz kurz darauf mit Zahlen, wonach Deutschland nicht über "internationales Mittelmaß" hinauskomme. Selbst diese beschönigenden Ergebnisse sind für eine Gesellschaft, die sich gerne in ihrem Status als "Exportweltmeister" sonnt, beschämend.

Das DKHW war bereits in den vergangenen Jahren wegen der von ihm vorgelegten Zahlen der Panikmache bezichtigt worden. Nun lenkte die Organisation offenbar ein. Thomas Krüger, Präsident des DKHW und SPD-Mitglied, erklärt in einer vor wenigen Tagen verbreiteten Pressemitteilung, die Kinder- und Jugendarmut habe sich "mittlerweile bei 3 Millionen Kindern und Jugendlichen eingependelt." Hinweise daß der Negativtrend gebremst oder gar gestoppt werden konnte, sind jedoch real nirgendwo zu erkennen. Offenbar versucht sich das DKHW mit der nun genannten "moderaten" Zahl von 3 Millionen von seinem auf wissenschaftlicher Basis erstellten "Kinderreport Deutschland 2007" zu distanzieren und die als "Außenseiterposition" diffamierten Ergebnisse damit unter den Teppich zu kehren.

Dabei ist ein derartiges Ergebnis - ob 2, 3 oder 6 Millionen - eine "schallende Ohrfeige" ins Gesicht der Bundesregierung wie die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag ganz zurecht feststellt. Sie kritisiert die Heuchelei der Regierungsparteien, die zwar so viel wie nie zuvor über Kinderarmut lamentieren, aber real nichts dagegen tun: Der Kinderzuschlag wird nicht - wie versprochen - erhöht. Der Ausbau der Kinderbetreuung wird zur Kommerzialisierung der Jugendhilfe genutzt. Die Hartz-IV-Regelsätze für Schulkinder liegen seit "Rot-Grün" auf Säuglingsniveau.

Die Bundesregierung trägt die Verantwortung dafür, daß Millionen Kinder in Deutschland zu wenig Mittel für Ernährung, Kleidung, Bildung und Gesundheit zur Verfügung haben. In einem der reichsten Staaten der Erde ist das verantwortungslos und es ist schlicht und einfach ein verfassungswidriger Skandal.

Mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention hat Deutschland das Recht des Kindes auf Bildung auf der Grundlage der Chancengleichheit anerkannt. Wir sehen also, daß das Grundgesetz ebenso wie internationales Recht nur soviel wert ist, wie Druck ausgeübt werden kann, um dessen Realisierung durchzusetzen. Unter den gegebenen politischen Verhältnissen ist Recht nicht etwa gleichzusetzen mit einem gesellschaftlichen Konsens über und die Einsicht in unverbrüchliche Werte und ideelle Normen - sondern nicht mehr und nicht weniger als Waffenstillstandsvereinbarungen.

Es genügt also nicht, die Misere öffentlich zu machen und die Heuchelei von "Schwarz-Rot" anzuprangern. Dies ist ein unabdingbarer erster Schritt. Doch Kinder und Jugendliche haben kaum die Mittel, selbst den nötigen Druck aufzubauen. Allein die Gewerkschaften sind noch in der Lage, gegen dieses Elend anzugehen und eine Trendwende zu erkämpfen. Neben vielen anderen Gründen ist die Situation der Kinder in Deutschland Grund genug für einen unbefristeten Generalstreik.

 

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