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Milchlieferstreik
Der vom 27. Mai bis vergangene Woche dauernde Milchlieferstreik hat einige Fragen aufgeworfen, die in der Linken gerne ignoriert werden:
Die hohe Beteiligung am Milchlieferstreik hat selbst den Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) überrascht. Offenbar hatten nahezu alle der rund 32.000 Mitglieder ihre Lieferungen eingestellt. Hierin zeigt sich, daß diese Menschen mit dem Rücken zur Wand stehen. Ein finanzieller Ruin durch den Milchlieferstreik kann sie nicht mehr schrecken, da die geringen Einnahmen zwischen 27 und 35 Cent pro Liter für konventionelle Milch - also nicht Bio-Milch - für viele bereits in den kommenden Wochen den finanziellen Ruin bedeutet hätten. Das erinnert an die Aussage im Kommunistischen Manifest: "Ihr habt nichts mehr zu verlieren als eure Ketten!" Der Milchlieferstreik ist in mehrerer Hinsicht nicht mit einem gewerkschaftlichen Streik vergleichbar. Es gibt keine Streikkasse, so daß der Ausfall der Einnahmen von allen Beteiligten selbst getragen werden muß. Hinzu kommt, daß das Streikrecht erst noch erkämpft werden muß. Wie nun auch aus den Mainstream-Medien zu erfahren war, ist ihr Milchlieferstreik nach Lage der Gesetze illegal. Das Kartellamt ist gezwungen, einzugreifen. Dies zeigt allerdings zugleich, daß er in einem wesentlichen Punkt vergleichbar ist: Ähnlich wie bei den Zusammenschlüssen von LohnbezieherInnen, den Gewerkschaften, handelt es sich bei einem Zusammenschluß von MilchbäuerInnen, um ein Kartell. Das marktwirtschaftliche Gesetz von Angebot und Nachfrage wird ja bei einem Zusammenschluß ausgehebelt. Hinter dem Konzept der Marktwirtschaft steht die altliberale Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert eines wirtschaftlichen Ringens Mann gegen Mann. Daß ein solcher sozialdarwinistischer Überlebenskampf niemals fair ablaufen kann zwischen Starken und Schwachen, zwischen Besitzenden und Besitzlosen, wurde über Jahrzehnte hin ausgeblendet. Es konnte ignoriert werden, weil ein schnell wachsender Kuchen auch für die Schwachen genug Krümel übrig ließ, so daß diese keinen Anlaß sahen, sich gegen ein die Menschenwürde verletzendes System zur Wehr zu setzen. Die meisten MilchbäuerInnen lieben ihre Arbeit, auch wenn sie vor allen anderen aus dem Bett müssen, erst am späten Abend mit der Arbeit fertig sind und sich kaum einmal Urlaub gönnen können. Der Spaß hört allerdings auf, wenn ein 14-Stunden-Arbeitstag nicht einmal mehr zum Überleben reicht. Die Mehrzahl der MilchbäuerInnen muß aufgeben, wenn sie nicht wenigsten 43 Cent pro Kilogramm - was ungefähr einem Liter entspricht - erhalten. Bei den seit letztem Herbst gestiegenen Preisen für das Futter, den Diesel-Kraftstoff und für etliche Nebenkosten, wäre die Milchproduktion ansonsten ein Zuschußgeschäft. Und bei einem 14-Stunden-Arbeitstag will niemand auch noch drauflegen. Ihnen gegenüber stehen sieben große Einzelhandels-Konzernen, die den deutschen Markt beherrschen: Aldi, Edeka/Neukauf, Lidl, Metro (dazu gehören Real, Extra und Kaufhof), Rewe (mit Minimal, HL, Penny und Karstadt), Spar und Tengelmann/Plus. Die Molkereien als sogenanntes Bindeglied zwischen Produzenten und Handel sind de facto zu Agenturen der Konzerne geworden, die deren Preisdiktat an die MilchbäuerInnen weiterreichen. Nach marktwirtschaftlicher Schulbuchweisheit müßten die MilchbäuerInnen die Möglichkeit haben, zwischen konkurrierenden Molkereien jene auszuwählen, die ihnen den höchsten Erlös für ihre Milch bieten. Doch dies ist reine Fiktion. Real gibt es in jeder Region meist nur noch eine Molkerei, der die MilchbäuerInnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind - auch wenn diese als Genossenschaft firmiert. Bei einem Arbeitstag von 14 Stunden und mehr, der nicht einmal mehr das Existenzminimum sichert, ist der Unternehmerstatus eines Bauern jedoch ebenso Fiktion wie es für die Menschen in der DDR und im gesamten Ostblock reine Fiktion war, BesitzerInnen der Fabriken zu sein. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn immer mehr MilchbäuerInnen einen "Systemwechsel" fordern. Eine Perspektive können sie zu recht nicht in der industriellen Landwirtschaft sehen - auch wenn die am Ende übrig bleibenden gigantischen Produktionstätten den Titel "Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaft" (LPG) erhielten. Wenn Politiker wie beispielsweise Verbraucherminister Seehofer Verständnis für den Milchlieferstreik äußerten, kann dies nur als Heuchelei gewertet werden. Denn die Politik der EU ebenso wie die der europäischen Regierungen bereitet das Feld für die zunehmende Ausbeutung der MilchbäuerInnen auf der einen zu die explodierenden Profite der sieben großen Einzelhandels-Konzerne.. Nicht zufällig gehören die Milliardäre, die beiden Brüder Karl und Theo Albrecht (ALDI) und Josef Schwarz (LIDL) zu den reichsten Deutschen. Hinzu kommt, daß es zwar bislang noch gewisse "Handelshemmnise" gibt, diese jedoch bereits in wenigen Jahren fallen sollen und damit der Milchpreis völlig dem Markt überlassen bleibt Absehbar ist so, daß der Erlös für die MilchbäuerInnen auf einen Bruchteil des jetzigen absinken wird und die Milchproduktion sich nur noch gigantische Agro-Fabriken mit tausenden von Kühen rentieren wird. Dabei ist schon seit Jahren der Zustand der deutschen Wälder zwischen Überleben und Absterben maßgeblich durch die Massentierhaltung bedingt. Die Ammoniak-Emissionen haben die Abgase aus Fabriken und Kraftfahrzeugen längst an Schädlichkeit überholt. Hinzu kommt, daß die Methan-Emissionen pro Kubikmeter um ein vielfaches klimaschädlicher sind als Kohlendioxid. Eine Alternative ist auch nicht in den seit Jahren immer wieder in der öffentlichen Diskussion auftauchenden Vorschlägen zu sehen, die MilchbäuerInnen in entlegenen Schwarzwaldregionen oder kleinteiligen landwirtschaftlichen Regionen Bayerns oder des Mittelgebirges könnten aus Steuermitteln als LandschaftspflegerInnen bezahlt werden. Sicherlich leisten sie einen unschätzbaren gesellschaftlichen Dienst, denn die weitere Ausdehnung der Waldflächen wegen Aufgabe von Höfen wäre auch ökologisch nachteilig. Doch eine staatliche Alimentierung wäre nicht anderes als die Fortschreibung der Tendenz, profitable Bereiche zu privatisieren und nicht-profitable zu sozialisieren. Im Falle der Milchwirtschaft liefe es sogar auf eine Steigerung der bereits heute gigantischen, aber verdeckten Subvention der großen Einzelhandels-Konzerne hinaus. Das Problem der MilchbäuerInnen muß im Gesamtkontext gesehen werden: Auch der einen Seite werden in Folge des technischen Fortschritts, der nun mal nicht notwendiger Weise in jedem Fall und für eine Mehrheit der Menschen positive Auswirkungen haben muß, immer weniger Arbeitskräfte zur Produktion der auf dem Markt nachgefragten Waren benötigt. Dies drückt auf die Löhne und auf den Erlös derer, die sich sozial in den unteren Zweidrittel der Gesellschaft wiederfinden - ob sie nun formal als UnternehmerInnen gelten oder als "Lohnabhängige". Dabei darf nicht vergessen werden, daß zu den "Lohnabhängige" auch Manager und Spitzenmanager wie Josef Ackermann zählen, die jährlich mehr als 10 Milionen Euro einsacken.
Der heutige gesellschaftliche Konfikt verläuft also quer zur antiquierten Frontlinie Proletariat - Kapitalist. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf folgende gesellschaftliche Gruppen:
All diesen gesellschaftlichen Gruppen ist gemeinsam, daß sie im Kapitalismus früher oder später auf der Strecke bleiben werden. Ihr gemeinsames Interesse ist es daher, eine Alternative für eine demokratische Wirtschaft zu entwickeln. Denn nur in einer demokratisch kontrollierten Wirtschaft, die nicht vom Profit bestimmt wird, haben auch die Schwachen ihre Lebensberechtigung. Dies zum einen, weil sie einen gewaltigen gesellschaftlichen Nutzen generieren, der niemals mit dem Maßstab des Profits gerecht zu vergelten sein wird. Und zum anderen, weil nur in einer demokratischen Wirtschaftsordnung, die von unten und nicht nach antiquierten sozialistischen Konzepten vom Staat gelenkt werden kann, auch denen eine Lebensberechtigung zugestanden wird, die nicht arbeiten können, weil sie noch zu jung oder schon zu alt sind - oder aus anderen Gründen gehandikapt sind. Unsere Technik ist heute so hoch entwickelt, daß wir nicht nur wählerisch sein dürfen und können und müssen, ob wir beispielsweise erneuerbare Energien oder Atomenergie einsetzen wollen. Sie ist so hoch entwickelt, daß auch mit Biolandwirtschaft nachweislich die gesamte Erdbevölkerung ernährt werden könnte. Und sie ist so hoch entwickelt, daß zur gesamten Produktion von Waren und auch im Dienstleistungsbereich nur noch sehr wenig menschliche Arbeitskraft benötigt wird. So ist es beispielsweise auch denkbar, daß in der Landwirtschaft bei einer weiteren Vermischung der städtischen und ländlichen Kultur eine große Zahl von Menschen gerne arbeiten würde. Ein 14-Stunden-Arbeitstag ist also keineswegs naturgegeben. In welche Richtung könnte sich die kulturelle Vermischung entwickeln? Um nur ein Beispiel zu nennen: In früheren Zeiten der Prosperität - und Deutschland ist immerhin Exportweltmeister - wurden Universitäten gegründet. Heute werden Bildungsausgaben gekürzt und die Universitäten in den Konkurrenzkampf um einen Elite-Status getrieben. Statt dessen müßten in Deutschland tausende Universitäten dezentral neu gegründet werden. Dazu jedoch sind die heutigen Sponsoren aus der Wirtschaft - im Gegensatz zu Fürsten und Potentaten der Renaissance - nicht bereit.
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