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Armutsbericht beschönigt Realität Stärkere Zunahme der Armut in Deutschland als von der Bundesregierung dargestellt Der im vergangenen Jahr von der Bundesregierung vorgelegte Armutsbericht betraf das Jahr 2005. Die Armutsgrenze bei 938 Euro wurde darin bereits einigermaßen willkürlich festgelegt. Da Jahr für Jahr - insbesondere mit Blick auf den sogenannten Warenkorb der Unterschicht - die Inflation kräftig zulegte, müßte die Armutsgrenze für das Jahr 2006 auf jeden Fall höher als bei 950 Euro angesetzt werden. Statt dessen trickst Bundes-"Arbeits"-minister Olaf Scholz gleich in zweierlei Hinsicht: In dem von ihm vorab am Montag, 19. Mai, vorgestellte Entwurf für den dritten "Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung" ist nicht nur die Armutsgrenze drastisch auf 781 Euro abgesenkt worden. Scholz versuchte darüber hinaus die trotz aller Schönfärberei im Bericht erkennbare Tendenz zu einer weiteren Polarisierung zwischen Arm und Reich zu leugnen. 2005 waren nach den Aussagen des vorangegangenen Armutsberichts rund 12 Prozent der Deutschen als arm eingestuft. Legen wir allein dieselben Kriterien ohne Berücksichtigung der Inflationsrate an, waren im Jahr 2006 bereits über 18 Prozent der Deutschen arm. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritisierte mittlerweile die Auswahl der Daten zum Armutsbericht. Laut DIW stieg die Armutsquote im Jahr 2006 auf 18,3 Prozent. Die Bundesregierung hat offenbar für ihre Präsentation enorm vorgearbeitet, denn der Berichts-Entwurf der WissenschaftlerInnen liegt intern bereits seit Wochen vor. Nun beginnt der Bericht mit zwei einleitenden Sätzen, die dessen Aussagekraft ad absurdum führen: "Armut ist ein gesellschaftliches Phänomen mit vielen Gesichtern. Es entzieht sich deshalb einer eindeutigen Messung." Dies bedeutet nichts anderes, als zu behaupten, eine Zu- oder Abnahme der Armut in einem Staat sei soziologisch nicht quantitativ erfaßbar. Tatsächlich soll damit jedoch nur verschleiert werden, daß die Datenbasis des Jahres 2005 noch nach Maßgabe des Sozioökonomischen Panels (SOEP), die des Jahres 2006 nun jedoch nach Maßgabe von EU-Kriterien, nämlich des EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living Conditions) interpretiert wurde. Dieser veränderte Bewertungsmaßstab wird mit der besseren internationalen Vergleichbarkeit begründet. Hit Hilfe dieser Tricks konnte Scholz nun zwar keine Abnahme der Armut behaupten - von 2005 auf 2006 sei allerdings nur ein Anstieg von 12 auf 13 Prozent zu verzeichnen. 13 Prozent der Deutschen wären 10,7 Millionen. Und auch dies versuchte Scholz damit wegzuwischen, daß er behauptete, der "wirtschaftliche Aufschwung", der nachweislich weder in Form zusätzlicher Arbeitsplätze noch in Form einer Erhöhung des ALG-II-Satzes bei der Unterschicht ankam, sei in den nun von ihm vorgelegten Zahlen "noch nicht abgebildet." Der Versuch von "Arbeits"-Minister Scholz die sich dramatisch öffnende Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland zu beschönigen, hat zudem kuriose Nebeneffekte: So bekommen heute Familien Hartz-IV-Zahlungen, die - nach offiziellem Maßstab - gar nicht arm sind. Denn die neu definierte Armutsschwelle liegt unter dem offiziellen Existenzminimum. In Anbetracht der Kinderarmut in Deutschland geht der Zynismus von Scholz & Co. noch weiter: Nach SOEP-Maßstab lag sie 2005 bei 26 Prozent, nach EU-SILC-Maßstab dagegen bei 12 Prozent. Mit all den Tricks versucht Scholz, die von "Rot-Grün" eingeführten Hartz-"Reformen" zu beschönigen. Tatsächlich jedoch handelt es sich um nichts anderes als Soziaabbau und bewußt vorangetriebene Umverteilung von Unten nach Oben. Dies belegen auch folgende Zahlen: 2002 gingen noch 30,4 Prozent des gesamten Nettoeinkommens aller Deutschen an die untere Hälfte der EinkommensbezieherInnen, 2005 waren es nur noch 28,7 Prozent. Profitiert davon haben vor allem die reichsten zehn Prozent: Sie konnten allein zwischen 2004 und 2005 ihren Anteil am gesamten Nettoäquivalenzeinkommen um 1,6 Prozent steigern. Allein durch die Steuerreform im Jahr 2000 wurden jährlich über 20 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verschenkt. Interessant ist trotz aller Verfälschungen auch der zweite Teil des Berichts, in dem es um die Entwicklung am oberen Ende der sozialen Pyramide geht. Als reich (mindestens 200 Prozent des mittleren Einkommens oder 3.268 Euro netto pro Monat) gelten 6,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Dieses auf Personen bezogene Einkommen gilt - ebenso wie die oben genannten Zahlen - für Alleinlebende. Ein Paarhaushalt mit zwei Kindern unter 14 Jahren muß ein Netto-Einkommen von 6.863 Euro haben, um als reich zu gelten. Diese gigantische Umverteilung ging einher mit sinkenden Löhnen. Zugleich stiegen insbesondere die Lebensmittelpreise und die Energiepreise (Strom, Heizöl, Gas, Sprit). Und es ist absehbar, daß "Schwarz-Rot" den Sozialabbau weiter zu beschleunigen gedenkt. Dabei sind nach aktuellen Umfragen über 80 Prozent der Deutschen der Ansicht, daß die soziale Ungerechtigkeit bereits heute zu groß ist. So heißt es nun selbst im aktuellen Armutsbericht: "Werden die Unterschiede zwischen Arm und Reich als zu groß und schwer überwindbar wahrgenommen, kann dies die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft und der Demokratie in Frage stellen." Es wäre jedoch naiv zu erwarten, daß "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" aus dieser Erkenntnis Konsequenzen zöge. Denn dies liegt nicht in deren Ermessensspielraum. Deren politisches Handeln scheint nicht nur in einer Hinsicht von der Maxime "Nach uns die Sintflut" bestimmt zu sein.
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