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Sozialabbau
Der Kapitalismus zerstört seine eigenen Grundlagen Wenn in dieser Gesellschaft heute über Bildung diskutiert wird, geht es meist um den Begriff Elite. Daher rücken sofort die Universitäten in den Mittelpunkt. Von oben her gedacht, hat diese Betrachtungsweise dann auch ihre Konsequenzen bis hinab zur Basis - bis in die Kindergärten. In Vorschulen sollen bereits Sprachen gelernt werden - nicht etwa, weil dies den Kindern Spaß bereiten könnte und durchaus mit Spiel verträglich wäre, sondern, weil die Kinder als spätere ArbeitnehmerInnen für einem gemeinsamen europäischen Markt zugerichtet werden sollen. Bei einer solchen Intention ist schon von vorn herein klar, daß den Kindern der Spaß und die Wißbegier ausgetrieben wird und Disziplinierung an erster Stelle kommt. Kinder sind das Wertvollste in einer Gesellschaft. Das ist nicht nur eine Erkenntnis, auf die mensch mit ein wenig Nachdenken selbst stoßen kann, die uns die Vernunft lehrt, sondern das wäre eigentlich auch ein zentrales Erbe der christlichen Überlieferung. In den Evangelien heiß es nicht etwa: Was ihr dieser Frau antut, das habt ihr mir angetan. Oder. Was ihr einem Mann oder einem Bettler antut, das habt ihr mir angetan. Da steht unverfälscht bis heute: Das, was ihr den Kleinen antut, das tut ihr mir an. Da könnten die, die sich ChristInnen nennen, auch nachlesen: Die Kleinsten sind die Größten - und: Wer groß sein will, soll sich ein Kind zum Vorbild nehmen. Wer Ambitionen hat, zu führen, sollte sich im Dienen üben. Das ist ein interessantes Verständnis von "Elite", über das es sich nachzudenken lohnt. Ob eine Gesellschaft christlich geprägt ist - oder doch eher kapitalistisch, zeigt sich deutlich und unmißverständlich an deren Umgang mit den Kindern. Seit Jahren wächst hier in Deutschland die Kinderarmut. Kein anderes Land in der EU ist derart kinderfeindlich wie Deutschland. Innerhalb von nur fünf Jahren wurde die Kinderarmut in Deutschland von "Schwarz-Rot-Grün-Gelb" nahezu um auf das Sechsfache gesteigert. Allein im Stadtgebiet Freiburg sind derzeit rund 4700 Kinder unter 15 Jahren auf Hartz IV angewiesen. Daß sich in dieser Gesellschaft Kinderelend, Kindesmißhandlungen und Kindesmord immer mehr ausbreiten, darf nicht verwundern. Der tägliche Anteil fürs Mittagessen im ALG-II-Satz liegt bei 1,02 Euro für Kinder bis 14 Jahren und 1,37 Euro für Jugendliche bis 18 Jahre. Nun wird vielerorts mit viel caritativem Tamtam das Schulmittagessen für 3,50 Euro mit 2,50 Euro subventioniert, damit die Kinder nur einen Euro bezahlen müssen. Das hört sich nobel an, erinnert an den heiligen Martin mit dem halben Mantel. Wer sich fragt, wieviel dann eigentlich für ein Kind zur Ernährung pro Tag übrigbleibt, entdeckt Merkwürdiges: Pro Tag stehen nach dem ALG-II-Satz für die Ernährung eines Kindes 2 Euro 28 Cent zur Verfügung. Bei einem Euro fürs Mittagessen bleiben also noch 1 Euro 28 Cent für den restlichen Tag. Da paßt es hervorragend, daß viele Kinder schon darauf trainiert sind, morgens ohne Frühstück zur Schule zu gehen.
Hartz IV und die seit der Einführung zum Januar 2005 real - also im Verhältnis zur Kaufkraft - sinkenden Regelsätze beruhen auf einer sogenannten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2003. Aufgrund dieser Regelsätze steht einem Kind in Deutschland folgendes zu:
Die Folgen dieser politisch gezielt ausgeweiteten Armut zeigen sich vor allem im Bildungsbereich. Kinder aus armen Verhältnissen weisen deutliche Verhaltensstörungen bei der Einschulung auf, die einer therapeutischen Behandlungen bedürfen. Dies ist laut Kinderreport 2007 heute bereits bei jedem dritten Kind festzustellen, das eingeschult wird. PISA hat aufgezeigt, daß das deutsche Schulsystem eines der schlechtesten in Europa ist. Ursächlich dafür ist vor allem die frühe Selektion mit Hilfe des dreigliedrigen Schulsystems. Ein Kind, das auf die Hauptschule ausselektioniert wird, weiß heute mit 99-prozentiger Sicherheit, daß es keine Chancen auf dem Arbeitsmakt haben wird. Dennoch versuchen ParteipolitikerInnen von "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" weiter an diesem System von Hauptschule, Realschule und Gymnasium festzuhalten. Bereits mit der Auswahl unter den in der Regel 10-jährigen Kindern bei ihrem Übergang von der Grundschule in Hauptschule, Realschule oder Gymnasium wird die Bildungs- und damit auch sehr weitgehend über deren Zukunfts-Chancen entschieden. Untersuchungen zeigen, daß dieser Auswahl nicht etwa nach Intelligenz - wie es aus kapitalistischer Sicht wünschenswert wäre - sondern je nach sozialer Schicht-Zugehörigkeit der Eltern erfolgt. Dies funktioniert selbstverständlich verdeckt und nahezu unsichtbar, weil Eltern aus höheren sozialen Schichten die finanziellen Mittel besitzen und auch motiviert sind, ihre Kinder mit Nachhilfe und Druck auf die "höhere Schullaufbahn" zuzurichten. Und während zugleich Millionen bei elitären Universitäts-Wettbewerben ausgeschrieben werden, wird in den Landeshaushalten das Geld für LehererInnen-Stellen gestrichen. Deutschland liegt bei den Bildungsausgaben deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Doch zunächst - weiter von unten nach oben - müssen wir den Zustand der beruflichen Bildung betrachten: Im Februar waren immer noch über 300.000 junge Menschen als "AltbewerberInnen" auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Nach Einschätzung von ExpertInnen hat mittlerweile fast jeder zweite Jugendliche, der eine Lehrstelle sucht, die Schule bereits im Vorjahr oder länger verlassen. Die Warteschleifen werden immer länger. Und nur 24 Prozent der Unternehmen bildet aus. Zugleich wird von der Wirtschaft über Fachkräftemangel lamentiert. Ebenfalls im Februar wurde bekannt, daß in Brandenburg nur noch jeder dritte Jugendliche einen betrieblichen Ausbildungsplatz erhält. Alle übrigen werden mit überbetrieblichen Lehrstellen oder "Maßnahmen" abgespeist. Die Zahl betrieblicher Ausbildungsstellen stagniert unter 2.000. Lediglich die Zahl der staatlich finanzierten Ausbildungsstellen stieg 2007 an. Nach einer Analyse der IG Metall hat die Wirtschaft 2007 weit weniger zusätzliche Lehrstellen geschaffen, als von ihr behauptet. Der Zuwachs bei den Lehrverträgen sei in Wahrheit überwiegend durch die Ausweitung der von den Arbeitsagenturen finanzierten "Hilfsmaßnahmen" zustande gekommen. Diese haben ihre Angebote - die meist auf Warteschleifen hinauslaufen - in 2007 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. So sind nach Angaben der IG Metall von den 48.600 zusätzlichen Ausbildungsverträgen im Westen weniger als die Hälfte der betrieblichen Seite zuzurechnen. Die IG Metall stützt sich dabei auf Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung. Mittlerweile ist die Zahl der Menschen ohne Ausbildung, die jünger als 25 Jahre sind, auf rund 1,5 Millionen angewachsen. Trotz des Ausbildungspakts gibt es für viele Jugendliche keine Perspektive auf Berufsausbildung. Mit der Initiative 'Ausbildung für alle' fordert deshalb das Bündnis aus Landesschülervertretungen, GEW und DGB-Jugend ein Grundrecht auf Ausbildung. Und dies muß unabhängig von der konjunkturellen Lage gewährleistet werden. Durchschnittlich 40 Prozent eines Jahrgangs - so die politische Vorgabe - sollen für die höchste Sprosse deutscher Ausbildung - das Universitätsstudium - ausgesiebt werden. Doch von 100 Kindern mit Akademiker-Vater rutschen 83 durchs Sieb, während nur 23 Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien zu den Auserwählten zählen. Noch deutlicher wird die soziale Auslese, wenn Beamten-Kinder mit Arbeiter-Kindern verglichen werden: Ihre Chance auf ein Universitätsstudium ist fünfeinhalb mal so hoch wie die von Arbeiterkindern. Angesichts dieser seit Jahren immer wieder veröffentlichten Zahlen, fordert das Deutschen Studentenwerks (DSW) die "soziale Öffnung der Hochschulen". Beschämend ist allerdings die Begründung des DSW für diese Forderung. Es geht heutzutage nicht etwa um Gerechtigkeit, sondern um Human-Ressourcen. Die "Rekrutierungspotentiale in den hochschulnahen Bildungsmilieus" seien erschöpft, erklärt der DSW-Präsident trocken. Die Wirtschaft verlangt nach mehr HochschulabsolventInnen. Deshalb müsse der Nachschub nun aus "hochschulfernen und einkommensschwächeren Schichten mobilisiert werden". Im Durchschnitt haben StudentInnen monatlich 770 Euro zur Verfügung. Aber die Bandbreite ist groß: 20 Prozent der StudentInnen müssen mit weniger als 585 Euro pro Monat auskommen - mit weniger als dem BAFöG-Höchstsatz. Immerhin ein Drittel der StudentInnen verfügt über weniger als 640 Euro und damit über weniger als von Familiengerichte als Orientierungswert für den Unterhalt durch die Eltern festgelegt wurde. Auf der anderen Seite sehen 60 Prozent der StudentInnen ihre Studiumsfinanzierung als "gesichert" an. Lediglich 25 Prozent der StudentInnen verfügt über mehr als 900 Euro monatlich. Dies belege, daß die "soziale Schere unter auch unter Studierenden erneut weiter auseinandergeht", sagte Konstantin Bender vom 'freien zusammenschluß von studentInnenschaften' (fzs). Der Anteil der Arbeiterkinder unter den StudentInnen stagnierte in den letzten zehn Jahren bei 10 Prozent. Die Einführung von Studiengebühren hat nun ein übriges getan, um die soziale Auslese noch zu verschärfen. Immer mehr junge Menschen resignieren und entscheiden sich gegen ein Studium. Zu dieser negativen Entscheidung sahen sich allein an der Uni Freiburg seit Einführung der Studiengebühren weit über 1000 junge Menschen gezwungen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert eine sofortige BAFöG-Erhöhung um mindestens zehn Prozent, ein Investitionsprogramm für 30.000 neue Wohnheimplätze, den Ausbau von Betreuungsangeboten für StudentInnen mit Kindern sowie die Aussetzung von Studiengebühren "auf unbestimmte Zeit". Die aus der Sicht der Wirtschaft mangelhafte Ausnutzung der Humanressourcen brachte ihr jedoch zugleich in den vergangenen vierzig Jahren einen entscheidenden Vorteil: Der Widerstand der StudentInnen, sei es gegen die Verschlechterung ihrer eigenen sozialen Lage, sei es gegen die umweltfeindliche, unsoziale und militaristische Politik von "Schwarz-Rot-Grün-Gelb" wird so erheblich gedämpft. Ein weiterer Effekt der schleichenden Zurichtung der Universitäten nach den Bedürfnissen der Wirtschaft darf nicht übersehen werden. Während von Elite die Rede ist, sinkt in der Realität das wissenschaftliche Niveau. Bereits seit Jahren ist zu beobachten, daß insbesondere in den Bereichen Atomphysik und Biologie eine unabhängige Forschung mehr und mehr erschwert wird. Durch den Zwang zur Einwerbung von "Drittmitteln" werden Institute von den Aufträgen der AKW-Betreiber und der Gentech-Konzerne abhängig. Kritische Studien können leicht das finanzielle Aus zur Folge haben. So mußte beispielsweise die atomenergiekritische ÄrztInnen-Organisation IPPNW eine Untersuchung an einem Universitäts-Institut in Minsk vornehmen lassen. Und wer sich als Molekular-BiologIn kritisch zur Gentechnik äußert oder an mißliebigen Studien beteiligt, kann seine Universitäts-Karriere auch gleich an den Nagel hängen. Ein pseudowissenschaftlicher Filz ist hier entstanden, der transparentes wissenschaftliches Arbeiten mehr und mehr unmöglich macht. Zugleich ist zu beobachten, daß sich pseudowissenschaftlicher Humbug an den Universitäten ausbreitet, der sich kaum mehr von der Sprache der Werbebranche unterscheidet. Statt von einer Theoriebildung, die sich einem empirischen Test unterziehen muß, ist inzwischen ganz offen davon die Rede, daß mal die eine, mal die andere Theorie "in" sei, daß sie gerade große Popularität genieße. Verwundern darf dabei nicht, wenn bei solcher Art Wissenschaft kein Unterschied mehr gemacht wird, ob ein Phänomen den Tatsachen entspricht oder nur den Eindruck vermittelt als ob. Solche moderne Alchimie mag zwar für manipulative Zwecke hervorragend geeignet sein, sie untergräbt jedoch das Fundament der Wissenschaften. In der Folge ist nicht nur die Sicherheit bei der technischen Umsetzung von Wissenschaft in Frage gestellt, sondern zugleich die Stabilität der abendländischen Zivilisation, die ja nicht durch den Kapitalismus gewährleistet wird, sondern mit den Errungenschaften der Aufklärung steht oder fällt.
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