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Bahnprivatisierung
Das größere Übel auf Kosten der Gesellschaft und der Umwelt Die Deutsche Bahn ist - je nach Schätzung - zwischen 100 und 200 Milliarden Euro wert. Bahn-Chef Hartmut Mehdorn jedoch ist da ganz anderer Ansicht: 18 Milliarden Euro. Mehdorn rechnet die Bahn billig, weil er sie an die Börse bringen will. So soll sie für Investoren attraktiv sein. In der Bahn-Bilanz stehen immerhin 40 Milliarden Euro. Doch Mehdorn wertet die Bahn ab, wo es nur geht, mit allen möglichen Tricks. Ein Beispiel: Fast ihr gesamtes Geld für Investitionen bekommt die Bahn vom Staat. Das sind jährlich mehr als 3 Milliarden Euro. Nun aber sagt Mehdorn: Wir müssen dieses Geld nicht in unseren Bilanzen als Anlagevermögen ausweisen. Es wurde uns ja geschenkt. Mehdorn versucht das Kapital der Deutschen Bahn möglichst niedrig zu veranschlagen, um so die Kapitalrendite schönrechnen zu können. Denn je höher das Kapital ist, desto geringer ist die prozentuale Kapitalrendite bei gleich hohem Gewinn. Denn an der Börse interessiert nicht, ob ein Unternehmen 100 oder 200 Millionen Euro Gewinn macht, sondern ob die Kapitalrendite bei 10 oder 12 Prozent liegt. Je geringer der Buchwert des Anlagevermögens, desto höher die Rendite. Wie sehr Buchwert und Markwert voneinander abweichen können, zeigt das Beispiel Rosenheim: Ende der 90er Jahre wollte die Deutsche Bahn ein stillgelegtes Rangiergelände, Lagerflächen und Laderampen in Rosenheim verkaufen. Der Buchwert war mit 680.000 Mark veranschlagt. Der Verkauf brachte jedoch 33 Millionen Mark - also rund das 50-fache des bilanzierten Wertes. Die Deutsche Bahn ist ein gigantischer Schatz gegen den selbst Kronjuwelen verblassen. Seit über hundert Jahren ist die Bahn Staatseigentum - also zumindest laut Grundgesetz Eigentum des deutschen Volkes. Millionen von Steuergeldern, fünf Generationen haben dieses Gemeineigentum geschaffen. Die Bahn ist der größte Grundbesitzer in Deutschland mit besten, fast unbezahlbaren Lagen in den Städten. Wer ein paar Gleise herausreißt und die Bahn "verschlankt", kann das verkaufen, was dann frei wird. Dabei geht es um unschätzbare Summen. Und Privatisierung ist das Zauberwort, mit dem dieser Schatz nun unter wenigen Investoren aufgeteilt werden soll. Bahn-Chef Mehdorn, zuvor Top-Manager bei Daimler-DASA und Airbus, brachte 1999 eine Gruppe von Spitzen-Managern aus der Flugzeug-Branche an die Spitze des Unternehmens mit. Der 1991 eingesetzte Vorgänger Mehdorns, Heinz Dürr, war bis 1991 Vorstandsmitglied bei Daimler-Benz. Er ist bis heute Eigentümer des weltweit führenden Autozulieferers Dürr AG. Diesem Umfeld von Flugzeug- und Automobil-Unternehmen gilt seit Jahren Mehdorns Loyalität. Das selbe gilt für Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als Auto-Kanzler von sich reden machte. Heute steht er im Sold der russischen Konzerns Gazprom. Nicht nur in der "rot-grünen" Ära von 1998 bis 2005 trieb er die Bahnprivatisierung voran - auch noch in den Koalitionsverhandlungen 2005 sorgte Schröder dafür, daß dieses Projekt festgeklopft und eine zunächst vorgesehene Prüfung der Zweckmäßigkeit gestrichen wurde. Neben Schröder setzte sich in dieser Verhandlungsrunde besonders der bayerische Verkehrsminister Otto Wiesheu für die Bahnprivatisierung ein. Wiesheu ist bekannt für seine Affinität zu schweren Limousinen. Nur wenige Wochen nach den Koalitionsverhandlungen wechselte Wiesheu aus dem bayerischen Ministeramt auf einen lukrativeren Vorstandssessel der Deutschen Bahn. Im Vergleich zu diesen Herren oder auch zu SPD-Fraktions-Chef Peter Struck, ehemals deutscher Kriegsminister, der die "rote" Bundestagsfraktion auf den Börsengang einschwört, ist Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee ein kleines Licht. Er ist froh, daß er in diesem Spiel mitmachen darf, und so sagt er, was von ihm erwartet wird: Die Bahn muß an die Börse. Das sei gut so, sagt Tiefensee, das werde "die Bahn stark machen". Aktuell hat sich auch der gegenwärtige SPD-Vorsitzende Kurt Beck auf die Seite der Privatisierungs-BefürworterInnen geschlagen. Er will nun seine Partei mit einem angeblich neuen Modell überzeugen: Es sollen nur 24,9 Prozent der Bahn an die Börse. Doch dies ist keineswegs neu. Bereits im Juli 2007 hieß es in offiziellen Verlautbarungen, ein Anteil von "20 bis 25 Prozent" der Aktien solle bis Ende 2008 an die Börse gebracht werden. Beck verfolgt die altbekannte Salami-Taktik. Ist erst einmal der Widerstand gebrochen, kann die Deutsche Bahn AG Scheibchen für Scheibchen weiter privatisiert werden. Bezeichnender Weise erklärte Beck auf einer Pressekonferenz Mitte April, nicht nur Bahn-Chef Mehdorn, sondern auch "Investorenvertreter" hätten sich im persönlichen Gespräch mit seinem Verkaufsmodell "einverstanden" erklärt. Bisher jedoch war Beck nicht bereit, Namen von Investoren zu nennen. So drängt sich die Frage auf, ob es sich um Geschäftsfreunde des Beck-Vor-Vor-Vorgängers als SPD-Vorsitzender und heutigen Gazprom-Vertreters Gerhard Schröder handelt. Auszuschließen wäre allerdings auch nicht, daß es sich um Investoren handelt, die der Beck-Vor-Vorgänger als SPD-Vorsitzender Franz Müntefering mit einem biblischen Tiervergleich belegte. Denkbar wären auch Vertreter der Russischen Staatsbahn RZB oder führender russischer staatlicher Banken, die solche Bahnanteile übernehmen, um diese zwischenzulagern und später an andere Interessenten in Putins Reich weiterzureichen. Bereits in den zurückliegenden Jahren hat Mehdorn im Sinne der Konkurrenz von Fluggesellschaften, Automobil- und Mineralöl- Konzernen einen "Umbau" vorangetrieben, bei dem von der Deutschen Bahn immer weniger übrig bleibt. Der Rückzug der Bahn aus der Fläche geht in erster Linie auf Kosten der kleinen Leute. Der Effekt besteht so in einer zusätzlichen Variante des seit Jahren auf vielen Feldern durchgesetzten Sozialabbaus. Und indem die Bahn sowohl dem Flugverkehr als auch dem PkW- und LkW-Verkehr Jahr für Jahr Marktsegmente überlassen hat, geht diese Zerstörungsarbeit ebenso zu Lasten von Umwelt und Klima wie zu Lasten der deutschen Gesellschaft. Die Bahn wurde nach dem Regierungsantritt von "Rot-Grün" 1998 nicht - wie versprochen - von der Mineralölsteuer befreit, sondern noch zusätzlich mit der "Ökosteuer" belastet. Demgegenüber zahlen Flugverkehr und Binnenschifffahrt keine Mineralöl- oder Kerosinsteuer. Von Seiten der EU-Kommission - und diese kann kaum als dem Schienenverkehr gegenüber voreingenommen bezeichnet werden - liegen seit Jahren Zahlen vor, wonach jeder Euro, den der Staat in die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene investierte, 15 Euro an Gesundheits- und Umweltkosten einsparen könnte. Und Studien der Forschungsinstitute IWW und Infras bestätigen, daß der LkW-Verkehr im Durchschnitt fünfmal mehr Gesundheits- und Umweltkosten als der Schienenverkehr verursacht, der PkW-Verkehr dreimal soviel. Dabei handelt es sich um Gesundheits- und Umweltschäden, deren Kosten nicht von den Verursachern bezahlt werden, sondern von der Allgemeinheit, etwa über Krankenkassenbeiträge und Steuern. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden deutschlandweit rund 200.000 Kilometer neue Straßen gebaut. Allein seit 1960 wurde das Autobahn-Netz verdreifacht. 5.300 Kilometer Schienen-Netz wurden hingegen zwischen 1994 und 2005 stillgelegt. Längst hat sich damit die Bahn von ihrem grundgesetzlichen Auftrag, die BürgerInnen flächendeckend mit einem Transportmittel zu versorgen, verabschiedet. Zudem ist die Zahl der Bahnhöfe um 400 gesunken und 100.000 Stellen bei der Bahn wurden abgebaut. Dennoch häufte die Bahn seit 1994, seit der "Bahnreform", 20 Milliarden Euro Schulden auf. Gab es in den 90er Jahren noch 13.629 Gleisanschlüsse für Firmen, waren davon 2004 weniger als ein Drittel übrig. Über kurze und mittlere Distanzen hat sich die Güterbahn praktisch abgemeldet. Dies hat zur Konsequenz, daß der Anteil an der Güterbeförderung auf 16,4 Prozent geschrumpft ist. Um die Bahn-Bilanz positiv erscheinen zu lassen, zehrt Mehdorn - wie die Bonzen zu Zeiten der DDR - an der Substanz. Unbeeindruckt läßt er sich dabei vom Bundesrechnungshof rügen, weil er Reparaturarbeiten in Milliardenhöhe unterläßt. Er spart so an der Sicherheit, was auch - siehe Großbritannien - das Risiko für die BahnkundInnen erhöht. 2.300 Mängel listete der Bundesrechnungshof auf. Lieber läßt Mehdorn die im Bundeshaushalt vorgesehenen Finanzmittel verfallen, als von seiner Schönung der Bilanz abzulassen. Die Schienen sind mittlerweile im Schnitt 19,8 Jahre alt, so daß Nahverkehrszüge heute länger benötigen als vor zehn Jahren und in den rumpelnden Abteilen dennoch kein Schüler mehr auf der morgendlichen Fahrt Hausaufgaben abschreiben kann. Mehr als zwei Milliarden Euro aus Steuergeldern fließen jährlich an die Bahn, um für die Instandhaltung der Schienen eingesetzt zu werden. Dies soll auch nach erfolgter Privatisierung so sein: Für fünfzehn Jahre hat sich der deutsche Staat verpflichtet, insgesamt 37,5 Milliarden Euro zu leisten - eine garantierte Einnahme für Investoren. Eine Milliarde jährlich gibt es noch obendrauf, für Ausbau und Neubau. Doch dieses Geld steckt Mehdorn bislang fast ausschließlich in Prestige-Großprojekte. Mehdorn orientiert auf wenige profitträchtige Fernverbindungen. So kostete der Ausbau der ICE-Strecke von München über Ingolstadt nach Nürnberg Milliarden Euro. Auf dieser Strecke werden im Vergleich zur Strecke über Augsburg gerade einmal 23 Minuten eingespart. Ein ähnliches Prestige-Projekt ist "Stuttgart 21". Dabei ist nicht nur die Umwandlung des bisherigen Stuttgarter Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof vorgesehen, sondern zudem eine Neuordnung des gesamten Bahnknotenpunkts. Denn mit dem geplanten Tunnelbahnhof mit nur acht Gleisen kann der bisher auf 16 Kopfbahnhofgleisen abgewickelte Verkehr nicht bewältigt werden. Weitere Zugstreichungen im Regionalverkehr wären die Voraussetzung, um einen reibungslosen Betriebsablauf zu ermöglichen. Allein "Stuttgart 21" soll nach offiziellen Berechnungen 2,8 Milliarden Euro kosten. Im November 2007 haben Stuttgarter BürgerInnen 67.000 Unterschriften gegen das "Milliardengrab" gesammelt, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Der weitaus größte Teil der Menschen ist im Nah- und Regionalverkehr unterwegs, 90 Prozent des Schienenverkehrs sind Bahnfahrten unter 50 Kilometer. Doch 60 Prozent aller Investitionen der DB-AG fließen in Hochgeschwindigkeitsstrecken. Zugleich ließ Mehdorn Geheimpläne anfertigen, aus denen hervorgeht, daß mindestens weitere 5000 Kilometer Schienennetz stillgelegt werden sollen. Rund drei Viertel aller Bahnhöfe stehen auf der Verkaufsliste. 49 Prozent der Bahn will Mehdorn meistbietend verscherbeln. Erwarteter Erlös: 4 bis 8 Milliarden Euro - ein Schnäppchen. Wenn der Staat dies jemals zurückkaufen wollte, müßte aus Steuergeldern ein Vielfaches aufgebracht werden. Im Oktober 2007 kam ein im Auftrag Mehdorns von der US-Bank Morgan Stanley erstelltes Geheim-Dokument an die Öffentlichkeit, in dem detailliert ausgeführt ist, wie die Deutsche Bahn AG zurecht gestutzt werden soll. Darin ist auch festgehalten, daß nach einem Börsengang die "Eigenmittelabflüsse" für die Instandhaltung "möglichst gering" gehalten werden sollen. Weiter heißt es darin, der Netzzuschnitt müsse sich an der "Optimierung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Konzerns" orientieren. Das Rendite-Interesse der privatisierten BahnAG müsse bestimmen, wo und wann die Züge fahren. Exakt wurde nachgerechnet, wie viel Geld sich bei "verschiedenen Reduktionen des Streckenumfangs" herauspressen lasse. So wurden Kahlschlag-Szenarien durchkalkuliert, bei denen im einen Fall 8.000, im anderen Fall 14.000 Kilometer - also mehr als 40 Prozent des heutigen Schienennetzes - stillgelegt würden. Mehdorn und Struck werben für die Privatisierung oder Teil-Privatisierung mit dem Argument, diese bringe zusätzliches Geld. Und dieses Geld könne in neue Züge und Infrastruktur investiert werden. Doch Gewinne, wie Investoren sie erwarten, sind auch mit einer Bahn nach Mehdorns Modell nicht möglich. Kaum ein Bahn-Unternehmen auf diesem Globus macht überhaupt Gewinne - geschweige denn Gewinne, die für Investoren interessant sind. Profite in dieser Größenordnung sind lediglich dann zu erzielen, wenn die Deutsche Bahn wie ein Steinbruch Stück für Stück ausgeschlachtet wird. Dieser größte Eisenbahn-Raub der Geschichte soll nun gegen den Willen der weit überwiegenden Mehrheit der Deutschen von "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" durchgezogen werden. Und dies, obwohl Umfragen von Emnid und Forsa zeigen, daß rund 70 Prozent sich gegen die Bahnprivatisierung aussprechen. Ein weiterer Aspekt wie mit der Zerstörung der Bahn als Verkehrsmittel für alle Bevölkerungsschichten zugleich Sozialabbau betrieben wird, zeigt sich in der Kürzung der Regionalisierungsmittel. Mit Hilfe dieser Finanzmittel konnte eine Blüte kleiner regionaler Bahnunternehmen ermöglicht werden. Diese Regionalbahnen, die von der Deutschen Bahn AG aufgegebene "Nebenstrecken" wiederbelebten, konnten in wenigen Jahren Zuwächse von 40, 120 oder gar 200 Prozent auf den von ihnen reaktivierten und modernisierten Bahnlinien verzeichnen. Doch in den drei Jahren von 2008 bis 2010 sollen die Länder insgesamt rund 2,8 Milliarden Euro weniger an Regionalisierungsmitteln bekommen als in den Jahren zuvor. Daß es auch anders geht, beweist die Schweiz: Die SBB gilt unter Fachleuten als Beispiel für ein zukunftsträchtiges, kundenorientiertes und ökonomisch erfolgreiches Unternehmen in Staatsbesitz. Dort sind Interregioverbindungen im Stundentakt ebenso selbstverständlich wie ein einheitliches Rabattsystem für alle Strecken und klar gegliederte Verbundsysteme. Zugservice und Pünktlichkeit werden in der Schweiz permanent verbessert. Das Ergebnis: Auf die Einwohnerzahl bezogen fahren die Schweizer sechmal häufiger als Deutsche mit der Bahn und zehnmal mehr Schweizer besitzen eine Bahncard. Im Schnitt zahlen sie, bezogen auf das Durchschnittseinkommen, pro Fahrtkilometer nur ein Drittel des deutschen Fahrpreises. In den Jahren 1949 bis 1993, in denen die Deutsche Bahn als Staatsunternehmen geführt wurde, hat sie umgerechnet rund 30 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft. Eine positive Entwicklung als Staatskonzern wie es das Beispiel der Schweizer Bahn zeigt, ist sicherlich nur in einem Land möglich, in dem die Automobil-Konzerne keinen vergleichbaren politischen Einfluß besitzen wie in Deutschland. Deshalb ist die augenblickliche Alternative zur Privatisierung, der Verbleib der Deutschen Bahn in Staatsbesitz, lediglich das kleinere Übel. Eine positive Entwicklung ist dabei kaum zu erwarten. Die bei einer Privatisierung unausbleibliche Zerstörung weiter Teile der Bahn kann so jedoch gebremst, vielleicht sogar gestoppt werden. Wenn nun in jüngster Zeit nicht wenige Linke in den Debatten um CBL und Privatisierungen der Verstaatlichung das Wort reden, wird damit sichtbar, daß sie Lektionen aus der Geschichte noch immer nicht gelernt haben. Nicht nur die Erfahrungen mit dem "real existierenden Sozialismus" des Ostblocks, sondern auch mit der großen Zeit der britischen Labour Party in den 1950er und 1960er Jahren bieten genügend Anschauungsmaterial. Eine positive Perspektive für die Zukunft wird sich nur auf dem Weg einer Demokratisierung der Wirtschaft, jenseits von Kapitalismus und zentraler bürokratischer Wirtschaftslenkung auftun.
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