MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 24.03.08

Sozialabbau im internationalen Vergleich

"Aktivierungsmaßnahmen" dienen lediglich der Repression

Dieser Tage veröffentlichte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine Studie, in der die Effekte von "Aktivierungsmaßnahmen" für Langzeitarbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen in Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Großbritannien untersucht werden.

Seit der Einführung von "Hartz IV" zum Januar 2005 mit dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) sind in Deutschland die Bedingungen an die Auszahlung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, die ab diesem Zeitpunkt zum ALG II zusammengelegt wurden, rigoros verschärft worden. Mit der vorgeschobenen Formel des "Fördern und Fordern" wurde ein sogenanntes Aktivierungsprinzip eingeführt, das vor allem zur Schikane von Erwerbslosen und zur Schönung der Statistiken dient.

In anderen Ländern gibt es ähnliche Entwicklungen, die nicht selten deutlich früher eingeleitet wurden als die deutsche "Hartz-IV-Reform". Das Arsenal der Programme geht in der Regel und schwerpunktmäßig über finanzielle Anreize hinaus, wie sie etwa der amerikanische "Earned Income Tax Credit" vorsieht. Aktivierung im Sinne des "Gesetzes über Arbeit und Sozialhilfe" (Niederlande), des "Gesetzes über aktive Beschäftigungsmaßnahmen" (Dänemark) des schwedischen "Sozialgesetzes" oder der britischen "Jobseeker's Allowance" soll durch vorgebliche Hilfe bei und Kontrolle während der Arbeitssuche, durch sogenannte Schulungen der zukünftigen Bewerber ("Schlafkurse"), Ausbildungs- und Trainingsmaßnahmen aller Art sowie die Bereitstellung von befristeten, weit unter Tarif bezahlten Arbeitsplätzen, die hierzulande als "Ein-Euro-Jobs" bekannt geworden sind, gewährleistet werden.

Zur Außendarstellung dienen weitere Programme zur "sozialen Aktivierung". Diese Programme haben vorgeblich den Zweck, den Betroffenen bei der Überwindung von Ausgrenzung und Isolation, grundlegenden finanziellen Problemen oder auch Suchterkrankungen zu helfen.

Die aktuell veröffentlichte Studie hat diese Programme, zu deren Teilnahme Langzeitarbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen mit der Androhung von Kürzungen gezwungen werden können, in Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Großbritannien nun genauer untersucht und vor allem die vorgeblich beabsichtigen Eingliederungseffekte analysiert.

Die Teilnahme an "Aktivierungs-Programmen" ist für die Teilnehmer zwar verpflichtend, allerdings nicht überall und nicht zu jeder Zeit. Während in Dänemark, den Niederlanden und Schweden manche Kommunen keine Ausnahmen machen, sind in Großbritannien zum Beispiel Alleinerziehende von den Regelungen ausgenommen. Schweden und Dänemark haben überdies Ausnahmebestimmungen für sogenannte arbeitsmarktferne SozialhilfeempfängerInnen entwickelt, wenn ihre Jobperspektiven als zu gering eingeschätzt werden.

Während die Situation in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern überwiegend als schlechter eingeschätzt wird, gibt es für kleine Gruppen von Betroffenen auch Vorteile. So ist in Schweden bislang kein Recht auf Fortbildungs-, Qualifizierungs- oder Beschäftigungsmaßnahmen vorgesehen, hingegen jedoch die Pflicht, an entsprechenden Maßnahmen - soweit angeboten - teilzunehmen.

Über die Auswirkungen der Maßnahmen in der Praxis liegen noch kaum offizielle Daten vor: Noch fehlt es in vielen Ländern an einer empirischen und aktuellen Datensammlung. Immerhin: In Großbritannien haben seit 1997 insgesamt etwa 1,9 Millionen Menschen an einem der beiden verpflichtenden Programme teilgenommen - 1,2 Millionen am "New Deal for Young People" und rund 700.000 am "New Deal for Long-Term Unemployed".

In den Niederlanden wurden allein 2004 etwa 69.500 neue SozialhilfeempfängerInnen gezählt. 41.300 von ihnen wurden als "arbeitspflichtig" eingestuft, etwas mehr als die Hälfte - 23.490 Personen - nahmen an einer Maßnahme teil und 9.280 bekamen schließlich ein "Reintegrations-Trajekt". Neuere Daten kommen aus Dänemark, wo 31,3 Prozent der 301.422 Personen, die im Jahr 2006 Sozialhilfe in Anspruch nahmen, auch an einer "Aktivierungsmaßnahme" teilgenommen haben.

Über eine Erfolgsquote dieser Maßnahmen sagt dies zunächst gar nichts aus. Zudem kann die Erfolgsquote durch eine Vorauswahl der TeilnehmerInnen geschönt werden. Dies bestätigt sich bei einem genaueren Blick auf die Teilnehmerliste der Aktivierungsmaßnahmen. Sie zeigen in vielen Fällen eine überraschend starke Selektion. Dabei gilt das Prinzip "Arbeitsmarktferne Gruppen haben geringere Chancen auf Zugang zu arbeitsmarktnahen Programmen" vor allem in Großbritannien.

So steht Lohnsubventionierung vor allem Menschen mit relativ guter Qualifikation, geringer Dauer der Arbeitslosigkeit und guter Ressourcenausstattung (Führerschein, Auto, Wohnsituation) offen. Dagegen finden sich bei Arbeitsgelegenheiten im Umweltbereich (Environment Task Force, ETF) besonders viele gering Qualifizierte, Personen mit psychosozialen Schwierigkeiten und mit geringen Ressourcen. Dabei wird in Kauf genommen, daß die Umweltproblme zunehmend als "Luxusprobleme" der Besserverdienenden angesehen werden.

In den Niederlanden und Dänemark entscheiden oft soziodemografische Merkmale. Die AutorInnen der Studie haben festgestellt, daß in beiden Ländern Männer und Jüngere "deutlich überrepräsentiert" sind. Gleiches gilt für die Gruppe der Personen, die erst seit kurzer Zeit Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld beziehen.

Für diese bemerkenswerte Feststellung sind möglicherweise sehr verschiedene Ursachen verantwortlich. Sie kann Folge der Selbstselektion der TeilnehmerInnen sein, das Ergebnis einer gezielten Steuerung - etwa durch das "Profiling" von potenziellen TeilnehmerInnen - oder einer unbeabsichtigten Diskriminierung, die sich durch das Fallmanagement und andere Aspekte der Organisation der "Aktivierungsmaßnahmen" ergibt. Auch bewußte Diskriminierung kann nicht ausgeschlossen werden.

Dies vor allem deshalb, weil schon der Begriff "Aktivierungsmaßnahme" alle Voraussetzungen zur Diskriminierung mit sich bringt. Suggeriert er doch vor allem, daß passive Erwerbslose erst gedrängt werden müßten, sich aus ihrer unerfreulichen Lage zu befreien.

Der zentrale Teil der aktuellen Studie befaßt sich mit der Bilanz der verschiedenen "Aktivierungsmaßnahmen". Zwar habe zum einen die gezielte Lohnsubventionierung, zum anderen ein Fallmanagement mit intensiver Betreuung und qualifizierter Beratung durchaus positive Effekte. Von 100 ehemaligen TeilnehmerInnen, die im Anschluß an eine Maßnahme wieder eine Beschäftigung aufnahmen, hätten allerdings durchschnittlich 90 bis 95 ohnehin eine Arbeit gefunden. Für "Aktivierungsprogramme" zugunsten von "Personen mit multiplen Vermittlungshemmnissen" lägen bislang lediglich aus den Niederlanden und aus Dänemark Ergebnisse vor, die sogar auf "tendenziell negative Beschäftigungseffekte" hindeuteten.

Ganz anders stellt sich das Ergebnis dar, wenn es um die Überwindung sozialer Isolation und Vereinsamung geht. Die Teilnahme an "Aktivierungsprogrammen" kann die Zunahme von Selbstvertrauen bewirken und durch das Erlernen neuer Fähigkeiten Handlungsmöglichkeiten erweitern. Durch die Bewältigung unterschiedlichster Probleme wie Verschuldung, Wohnungsnot oder Suchterkrankung können die Voraussetzungen für Erwerbsintegration verbessert werden. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Programme auch als sinnvoll und nicht als Instrument der Repression erlebt werden. Eine Untersuchung des Interfaith Center on Corporate Responsibility, die mit besonderer Berücksichtigung der Situation in Österreich durchgeführt wurde, kam schon im vergangen Jahr zu ganz ähnlichen Ergebnissen.

Selbst wenn die "Aktivierungsmaßnahmen" mehr Menschen als je zuvor erreichen, können sie nicht als effektiv bezeichnet werden. Eine interne Evaluation wies nach, daß 50 Prozent der TeilnehmerInnen solcher Kurse einen Job fanden - verglichen mit 48 Prozent bei Nicht-KursteilnehmerInnen. In anderen Worten: Es fand sich keine signifikante Differenz zwischen TeilnehmerInnen und NichtteilnehmerInnen. Wissenschaftliche Untersuchungen legen darüber hinaus nahe, daß die Auswahl der KursteilnehmerInnen selektiv ist, und zwar insofern, als denjenigen die Kursteilnahme ermöglicht wird, die ohnehin eine höhere Chance auf einen Arbeitsplatz haben.

Dieses Ergebnis deckt sich mit den Erfahrungen der Betroffenen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat dies bereits im Jahr 2007 dokumentiert. Eine Befragung von mehr als 20.000 Arbeitslosengeld-II- und ehemaligen ArbeitslosenhilfeempfängerInnen ergab, daß mehr als zwei Drittel von ihnen weder an eine Verbesserung ihrer Lebenssituation noch an eine Aufwertung ihrer Arbeitsmarktchancen durch Hartz IV glauben. Auch die "Aktivierungsmaßnahmen" werden nicht positiver beurteilt: Mehr als 80 Prozent haben nicht das Gefühl, daß sich jemand um ihre Probleme kümmert. Daß die Annahme von Jobs auch dann verlangt wird, wenn sie weit unter dem eigenen Qualifikationsniveau liegen, erleben knapp 40 Prozent als "Abwertung ihrer beruflichen Erfahrungen und Leistungen". Mit der Furcht vor Verarmung und sozialer Deklassierung lebt fast die Hälfte aller Hartz-IV-Betroffenen.

Die aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zum Ergebnis, daß durch die neueingeführten verschiedenen "Aktivierungsmaßnahmen" nicht mehr Menschen als zuvor in den Arbeitsmarkt (re-)integriert werden können. Sie widerspricht damit so mancher euphorischen Beschwörung früherer Jahre, wonach solchen Maßnahmen eine Vorbildfunktion zugeschrieben worden war.

 

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