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Deutsche Mittelschichten werden aufgerieben
Hartz-Gesetze mit negativer Bilanz
Bereits im Jahr 2003 war erkennbar, daß die Mittelschichten in Deutschland in der gegenwärtigen neoliberalen (End-)Phase des Kapitalismus mehr und mehr aufgerieben werden. Nun legte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vor wenigen Tagen eine profunde Studie vor, die eben diese Entwicklung untersucht. Zusammenfassend kommt die IMK-Studie zu dem Ergebnis, daß das Wirtschaftswachstum der vergangenen drei Jahre lediglich den Unternehmen und Vermögenden ein Plus brachte, während die Reallöhne durchschnittlich um 3,5 Prozent sanken. Während der letzten vergleichbaren Phase eines stärkeren Wirtschaftswachstums (volkstümlich: "Aufschwung") in den Jahren von 1998 bis 2001 sah dies laut IMK noch ein wenig anders aus: In diesen drei Jahren um die Jahrtausendwende legt das Brutto-Inlandsprodukt, BIP, ebenso wie in den vergangenen drei Jahren, um rund 7 Prozent zu. Der Export entwickelte sich ebenfalls vergleichbar: Von 1998 bis 2001 legte er real um 25 Prozent zu, in den vergangenen drei Jahren waren es sogar 31 Prozent. Die Reallöhne - Nettolöhne abzüglich Inflationsrate - stiegen im damaligen 3-Jahres-Zeitraum nach den Berechnungen des IMK noch um vier Prozent. Auf der Grundlage von Zahlen des Statistischen Bundesamtes und der IG Metall wuchs der durchschnittliche Reallohn von 1095 Euro im Jahr 1998 auf 1.126 Euro in 2001 - also lediglich um 2,8 Prozent. Jedenfalls wuchs er damals noch, statt wie in den vergangenen Jahren zu sinken. Die IMK-Studie bestätigt also die Erfahrung des überwiegenden Teils der deutschen Bevölkerung, die bislang von neoliberalen KommentatorInnen als "gefühlte Inflation" diffamiert wurde: Der "Aufschwung" kommt real nicht ihnen zugute. Besonders deutlich wird dies bei der Analyse der Einkommen, die auf staatlichen Zahlungen beruhen - wie beispielsweise Renten - , die spürbar zurückgingen. Wirtschaftlicher Aufschwung heiße für den Großteil der Menschen nun, so formulierte Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des IMK, leicht zynisch: "Wachstum ohne Einkommenszuwachs". Auch die Argumente von "Schwarz-Rot", der "Aufschwung" habe eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gezeitigt - wenn schon keinen Zuwachs bei den Löhnen - werden von der IMK-Studie widerlegt: Zwar sei die Zahl der Arbeitslosen um rund 700.000 Personen gesunken, aber die Beschäftigung habe sich mit einer Zunahme um 2 Prozent während der vergangenen drei Jahre "nicht außergewöhnlich stark entwickelt". Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat laut offiziellen Zahlen diesmal um 759.000 zugelegt, während der Zuwachs zwischen 1998 und 2001 653.000 betrug. Die Hartz-Gesetze hätten in dieser Hinsicht "allenfalls leicht positive Effekte" gezeigt, so die IMK-Studie. In der Gesamtbilanz weist die IMK-Studie den Hartz-Gesetzen eine negative Wirkung nach. Immer mehr Menschen in Deutschland steigen sozial ab. Die Mittelschichten wurden seit 2002 um acht Prozent verkleinert. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt in einer aktuellen Studie fest, daß die Mittelschichten schrumpfen. Zu den Mittelschichten werden in der Soziologie jene Personen gezählt, die in Haushalten mit 70 bis 150 Prozent des Durchschnittseinkommens leben. Über einen langen Zeitraum in der Geschichte der Bundesrepublik stellten die Mittelschichten stabil 62 Prozent der Bevölkerung. Es war - vereinfacht formuliert - jener Teil des früheren Proletariats, der sich für Automobil und Eigenheim in die "bürgerliche Existenz" locken ließ und so den sozialen Kitt zum Erhalt des Kapitalismus bildete. Doch bereits seit der Jahrtausendwende - und zugleich seit Überschreiten des globalen Peak Oil im Jahr 2001 - können die gewohnten Profitraten nicht mehr allein aus der Steigerung der Produktivität, sondern nur noch bei zunehmendem Sozialabbau erzielt werden. Dies hat in den vergangen acht Jahren unter anderem dazu geführt, daß die Mittelschichten erodieren. Bis 2006 sank deren Anteil an der Gesamtbevölkerung von 62 auf 54 Prozent - eine Umschichtung um rund 6,4 Millionen Menschen, die sich als Teil der Unterschichten wiederfinden. Seit dem Jahr 2000 stieg der Anteil der Unterschichten um gut 7 Prozent - 2006 machten sie mit rund 20 Millionen bereits ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus. Laut DIW-Studie sind besonders Familien mit minderjährigen Kindern immer stärker von sozialem Abstieg bedroht. Ein weiteres Merkmal der sozialen Veränderungen stellt die Abnahme der Vollzeitjobs dar. Der Anteil der Menschen mit Vollzeitjob sank von 64 Prozent im Jahr 2000 auf nunmehr 55 Prozent. Und wie die DIW-Studie ergab, verfügen zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung über gar keine oder nur geringe Besitztümer. Das reichste Zehntel hingegen nennt knapp 60 Prozent des in Deutschland vorhandenen Vermögens sein Eigen. Sozial abgestiegen sind auch alle, die vom Staat Geld beziehen: RentnerInnen, Erwerbslose, Kindergeld- und BAFöG-EmpfängerInnen. Deren Einkommen sank in den vergangenen drei Jahren real um fast 6 Prozent. Im Zeitraum 1998 bis 2001 hingegen stiegen diese Einkommen im Durchschnitt um knapp 4 Prozent. Den Rückgang der vergangenen drei Jahre erklären die WissenschaftlerInnen mit "Nullrunden bei den nominalen Renten, stagnierenden nominalen Leistungen bei Kindergeld, BAFöG und anderen staatlichen Leistungen." Doch es sieht nicht danach aus, daß der "Aufschwung" etwa an Fahrt gewinnt - ganz im Gegenteil. Das DIW konstatiert, dass die Deutschen zunehmend ängstlich auf ihre wirtschaftliche Zukunft schauen. In den 80er-Jahren machten sich in Westdeutschland noch mehr als 40 Prozent der Menschen "keine Sorgen"; in den 90er-Jahren waren es in Gesamtdeutschland immerhin noch rund 30 Prozent. Inzwischen sind jedoch nur noch 23 Prozent optimistisch. Zurück zur Übersichtsseite 'Redebeiträge' Zurück zur HAUPTSEITE
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