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Sozialabbau trifft Frauen härter
Viel wurde in den vergangenen Jahren geschrieben über die Lage der Frauen in Afrika, in Lateinamerika, in Afghanistan. Und deren unverändert trostlose Lage wird nicht selten benutzt, um Frauen hierzulande - und in anderen Industrienationen - ihre eigene Lage als Nonplusultra darzustellen, ja, um zu suggerieren, Feminismus und Emanzipation seien doch wunderbare westlich demokratische Errungenschaften und die Gleichheit der Frau müsse nunmehr nur noch in den Rest der Welt exportiert werden. Als Gipfel der Frechheit hatten Bush und Schröder sogar versucht, uns einzureden, Kriege würden um Frauenrechte geführt. Viele junge Frauen glauben heute tatsächlich, sie würden nicht mehr unterdrückt wie ihre Großmütter oder Urgroßmütter, die - oh Schreck! - nicht mal wählen durften. Doch in Deutschland hat sich unterm Strich seit Ende der 1960er Jahren an der Lage der Frauen nichts verbessert. Wie in vielen anderen Politikbereichen - denken wir nur einmal daran, daß heute nahezu alle PolitikerInnen sich für Umweltschutz aussprechen! - ist die Heuchelei zur politischen Grundausstattung geworden und es ist kaum mehr jemand zu finden, die oder der Frauen offen als minderwertig bezeichnen würde. Personalchefs lügen wie gedruckt, daß sie selbstverständlich Frauen dasselbe Gehalt oder denselben Lohn anbieten wie Männern. Doch gerade dieser Bereich ist nach wie vor ein untrüglicher Indikator, wie weit die Emanzipation der Frauen - und der Männer! - einer Gesellschaft tatsächlich entwickelt ist. Denn an diesen statistisch zu ermittelnden Zahlen kann - noch! - nicht herummanipuliert werden. Nun: Seit Ende der 1960er Jahren verdienen Frauen - bei der gleichen Arbeit wohlgemerkt - um 30 Prozent weniger als Männer. Und Frauen müssen sich dazu weit überwiegend mit den schlechteren Jobs abfinden. Da diese Situation bei den meisten Paaren auch anzutreffen ist, bevor die Geburt des ersten Kindes - unter den vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen - die Aufgabe des Berufs eines der beiden Eltern erzwingt, ist es "vernünftiger Weise" die Frau, die ihren Job aufgibt und zu Hause bleibt. Die Unterbrechungen der Ausbildung und der Berufszeiten tragen dann unweigerlich auch wiederum zur schlechteren Bezahlung von Frauen bei - ein sattsam bekannter Teufelskreis. Dazu ist nach wie vor die Bereitschaft der Männer, sich in der Familie anteilig zu engagieren, auch in Deutschland äußerst schwach entwickelt. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier himmelweit auseinander. Illusionen bestimmen die Selbsteinschätzung. So wurde 2004 eine internationalen Studie veröffentlicht, laut der die deutschen Frauen in puncto Emanzipation Weltspitze seien: Rund 75 Prozent der deutschen Frauen lehnt die Vorstellung ab, nur Hausfrau zu sein und keiner Erwerbsarbeit nachzugehen. Deutsche Männer stimmen ihnen da mit großer Mehrheit zu: 68 Prozent. Ganz anders in den USA: Rund 80 Prozent der US-Frauen hält es für richtig, wenn eine Frau ausschließlich Hausfrau ist. Messen wir den "Grad der Emanzipation" an solchen die Realität verzerrenden Idealen, haben selbst Chinesinnen und Inderinnen die US-Frauen überholt. Doch statt solcher illusionärer Selbsteinschätzungen erhellt folgende Tatsache die gesellschaftliche Realität weit mehr: Laut Angaben der Forschungsstelle Sozialökonomie der Freien Universität Berlin beträgt die Zahl der Hausmänner in Deutschland über die Jahre hin unverändert gleichbleibende kümmerliche 100.000. Davon arbeiten allerdings die meisten halbtags im Wechsel mit den Ehefrauen. Die Zahl der Ganztags-Hausmänner liegt dagegen bei 10.000 bis 20.000. Und selbst dann, wenn Frau und Mann subjektiv meinen, die Haushaltsarbeit gerecht aufzuteilen, hält dies in den meisten Fällen einer objektiven Überprüfung nicht stand. Auch von den berühmten alleinerziehenden Vätern gibt es bundesweit lediglich rund 200.000 Exemplare. Und Erziehungsurlaub nehmen nach wie vor nur rund zwei Prozent aller Väter. Wie neuere Untersuchungen zeigen, arbeiten Männer, wenn sie Vater werden, in der Regel eine Stunde länger - am Arbeitsplatz, nicht zu Hause. Bei den deutschen Frauen, die nach wie vor klaglos am kaum zu bewältigenden Spagat zwischen Mutter- und Berufsrolle leiden, ist es nicht einfach nur umgekehrt: Sie arbeiten dann nicht etwa eine Stunde weniger - nach der Geburt eines Kindes steigen sie im Durchschnitt für zweieinhalb Jahre aus dem Berufsleben aus. 42 Prozent der deutschen Frauen kehren nach dem ersten Kind gar nicht mehr in ihren alten Job zurück. Und durch die zähen und durch Illusionen überdeckten Rollenmuster bedingt arbeiten rund 40 Prozent der Frauen Teilzeit - am Arbeitsplatz, nicht zu Hause. Seit der Einführung von Hatz IV zum 1. Januar 2005 wird der reale Stand der Emanzipation der Geschlechter in dieser Gesellschaft schleichend abgebaut statt weiterentwickelt. Gerade Frauen, die für Kinder verantwortlich sind, und darunter wiederum in extremer Form die alleinerziehenden Mütter, trifft der Sozialabbau wesentlich härter als Männer. Ein deregulierter Arbeitsmarkt, Arbeitszeitverlängerung und Lohndumping trifft die Schwächsten in diesem Arbeitsmarkt am härtesten, und das sind nun mal überwiegend Frauen. Die Armutsspirale wird denkbar einfach in Gang gesetzt: Weil sie die Erziehung von Kindern übernehmen, sind Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt meist "zweite Wahl". In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit belastet sich kaum ein Unternehmen mit einer Mitarbeiterin, die Kinder hat und deswegen - entsprechend der sich selbst bestätigenden Logik - öfter ausfällt. Allenfalls Teilzeitarbeitsplätze in den bekannten "Frauenberufen" werden angeboten. Aus Zeiten dieser Erwerbsarbeit erwachsen den Frauen kaum - oder bei sozialversicherungsfreier Arbeit keine - Leistungen für den Fall der Arbeitslosigkeit oder Krankheit und später als Rentnerin. Es ist für die meisten Frauen nahezu unmöglich, eine existenzsichernde Arbeitsstelle zu finden - und so ist die Koppelung von Armut und weiblichem Geschlecht bei allen Lippenbekenntnissen zur "Gleichheit der Frau" eine gesellschaftliche Konstante. Und da dies nicht erst eine "Errungenschaft" des Kapitalismus darstellt, müssen wir feststellen, daß dies die Folge patriarchalischer Gesellschaftsstrukturen ist. Diese wirken fort, auch wenn die heute nahezu einhellig geleugnet werden. Frauenarmut ist von der Sozial-und Geschichtsforschung bisher weitgehend ausgeblendet worden. So ist Frauenarmut bis in die Gegenwart in der gesellschaftlichen Wirklichkeiten der Industrienationen in gewisser Weise unsichtbar geblieben. Dies ist so zu erklären, das die Verbindung von Weiblichkeit und Armut bis heute schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen wird. Ein Beispiel dafür ist, daß Armuts-Statistiken - so der jährliche Bericht der Bundesregierung, nicht geschlechtsspezifisch erhoben werden. Häufig wird Armut als individuelles Schicksal dargestellt oder als Ergebnis sozialen Fehlverhaltens interpretiert. Realistisch müßte Armut allerdings als Prozeß betrachtet werden, in dem Frauen durch gesellschaftlich vorgegebene Strukturen, konkret: durch die Arbeitsmarktkrise, die existierenden Geschlechterverhältnisse , den Abbau der sozialen Sicherungssysteme, die Veränderung von Lebensformen wesentlich häufiger Männer die Nieten ziehen. Sie tragen ein auffallend höheres Armutsrisiko. Die genannten Entwicklungen betreffen Frauen wie Männer - doch die Folgen unterscheiden sich stark je nach Geschlechtszugehörigkeit. In vielen Bereichen werden Daten nicht geschlechtsspezifisch erfaßt oder sie sind traditionell an die am Mann orientierten Norm gebunden, so daß die Lebenswirklichkeit von Frauen nicht abgebildet wird. Dennoch sind zumindest folgende Fakten bekannt: Frauen stellen mit 76 Prozent einen weit überproportionalen Anteil der sogenannten Niedriglöhner. Ebenso sind in den unteren Lohngruppen überwiegend Frauen zu finden. Hinzu kommt die bereits eingangs genannte und immer wieder statistisch bestätigte Tatsache, daß Frauen bei gleicher Arbeit 30 Prozent weniger verdienen als Männer. Geringfügige Beschäftigung ist mit 77 Prozent Frauenanteil eine Frauendomäne; in Westdeutschland: 90 Prozent. Und die Beschäftigungsquote von Frauen geht in Ostdeutschland seit dem Anschluß der DDR bergab. Wer die Realität unvoreingenommen beurteilt, kommt nicht umhin zu konstatieren, daß in der DDR einiges besser war als in der BRD. Dennoch ist nicht zu leugnen, daß es sich um einen Unrechtsstaat handelte. Frauen erhalten heute häufig kein ALG II, weil aufgrund der Bedürftigkeitsprüfung das Einkommen des Ehegatten oder Partners in eheähnlicher Gemeinschaft angerechnet wird. Eine finanzielle Unabhängigkeit der Frauen wird dadurch untergraben. Da unser gesamtes Sozialsystem an Erwerbsarbeit geknüpft ist, haben geringe Einkommen, Arbeitslosigkeit und die Unterbrechung der Erwerbsarbeit durch Familienarbeit weitreichende negative Folgen. Die Abdrängung in die Sozialhilfe trifft häufig Frauen, die getrennt lebend sind , ledig oder geschieden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird primär als Problem der Frauen betrachtet. Unternehmen stellen daher deutlich weniger Frauen im gebärfähigen Alter ein als Männer dieser Altersgruppe - bei gleicher Qualifikation. Neben der Erwerbsarbeit erfüllt die Ehe in Deutschland traditionell die Rolle als das zweite Versorgungssystem. Ab dem Zeitpunkt der Geburt eines Kindes sind die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten für die Frau im Vergleich zu denen des Mannes drastisch eingeschränkt. Daß dies keineswegs biologisch vorbestimmt ist, kann auch heute nicht als unzweifelhaftes gesellschaftliches Basiswissen vorausgesetzt werden - trotz aller Lippenbekenntnisse zur "Gleichheit". Da die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Dank ungenügend verfügbarer Halbtagsstellen und anderer institutionalisierter Mängel gesellschaftlich unmöglich gemacht wird, unterbrechen in aller Regel Frauen und nicht Männer ihre Erwerbsarbeit, um Kinder und Haushalt zu versorgen. Angesichts eines Heeres von real über sieben Millionen Arbeitslosen und den enormen direkten und indirekten gesellschaftlichen Kosten, die das Festhalten an Vollzeitarbeitsplätzen verursachen, stellt dies eine gigantische Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen dar. Dies ist mittlerweile auch der Wirtschaft bewußt und hieraus resultierten die Bemühungen der derzeitigen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, gut ausgebildete junge Frauen mit Hilfe verschiedener "Angebote" auf den Arbeitsmarkt zu locken. Nebenbei bemerkt: Mit dem seit den 1970er Jahren hartnäckigen Widerstand gegen weitere Verkürzungen der Wochenarbeitszeit und dem gleichzeitigen zielgerichteten Aufbau von Massenarbeitslosigkeit - bei entgegengesetzter politischer Rhetorik - konnte die Macht der deutschen Gewerkschaften auf ein historisches Minimum gedrückt werden. Doch zumindest der Wirtschaft scheint klar geworden zu sein, daß diese Strategie nun restlos ausgereizt ist. Daß im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte nebenbei die gesellschaftlichen Rollenmuster zementiert wurden, störte das Kapital wenig. Die gegenwärtig zu beobachtende "Frauenförderung" zielt jedoch lediglich auf den Teil der mit überdurchschnittlichem IQ ausgestatteten weiblichen Kinder und auf gut ausgebildeten junge Frauen. Wenn also Teile der Frauenbewegung (Stichwort: "Alpha-Mädchen") hierin eine Interessenidentität sehen, ignoriert sie den überwiegenden Teil der Frauen und begeben sich auf einen illusionären Kurs. Mit dem nicht erst mit den Hartz-Gesetzen exekutierten Sozialabbau wurde das auf der Ehe basierende Ernährer-Modell zunehmend obsolet. Schließlich war es an der Norm des männlichen "Ernährers" der Familie, an Vollzeiterwerbsarbeitsplätzen und gewissen "Sozialstaats"-Standards orientiert. Der mit dem Ausfall des "Ernährers" eingetretene Notfall wurde für immer mehr Frauen zum Normalfall. In zunehmender Zahl gerieten sie in die Rolle der "Dazuverdienerin" und so in einen sich verschärfenden Zwiespalt zwischen den Ansprüchen von Beruf und Familie. Auch jene Frauen, die sich - ob gezwungen oder subjektiv freiwillig - auf die traditionelle Rollenverteilung einließen, sehen ihre ökonomische Sicherheit zunehmend gefährdet: Nicht nur durch das gesteigerte Risiko des Arbeitsplatz-Verlustes der "Familienernährers" - jede zweite Ehe wird geschieden, sinkende Reallöhne im Niedriglohnsektor reichen nicht mehr aus, um eine Familie zu ernähren und immer häufiger führen bereits kleine finanzielle "Ausrutscher" in die Privatinsolvenz. Individuelle Frauenarmut wird auch dann nicht sichtbar, wenn sie in der Statistik lediglich als Armut der Familie auftaucht. SoziologInnen vermuten unsichtbare Armut von Frauen auch hinter der ungleichen Verteilung des Haushaltseinkommens: Trotz relativ ausreichendem Haushaltseinkommen kann eine Frau von Armut bedroht sein, wenn der (besser) verdienende Ehemann das Einkommen nicht partnerschaftlich teilt. Die Verfügung über Geld wird in vielen Beziehungen zu einer Machtfrage und ist häufig eng verknüpft mit der Ausübung von Gewalt. Die verborgenen Armutsrisiken durch das Geschlechterverhältnis werden ebenfalls bei genauerer Betrachtung des von vielen als vorteilhaft beurteilten Ehegattensplittings sichtbar. Auch der Steuergesetzgebung liegt das Ernährermodell zugrunde und trägt indirekt zur potentiellen Verarmung von (Ehe-)Frauen bei. Denn in der Regel werden die Einkommen der "Zuverdienenden" hoch besteuert. Frauen nehmen also durch die Splitting-Regelung Nachteile für sich persönlich hin, Frauen werden dadurch extrem abhängig gemacht von ihren Ehemännern. Das Ernährermodell spiegelt das Grundmuster des hierarchischen Geschlechter-Verhältnisses. Die Strukturen des Zusammenlebens gerade in Bezug auf Ehe und Familie haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Diese Tatsache wird von der staatlichen Sozialpolitik aber völlig ignoriert. Sie setzt weiterhin auf das Ernährermodell, grenzt Frauen damit tendenziell aus und diskriminiert sie als Abhängige. Denn faktisch ist Familienarbeit unbezahlt und wird weit überwiegend von Frauen geleistet. Das sogenannte Familieneinkommen wird der Ehefrau statistisch zwar zugerechnet, real aber entsprechend der traditionellen Rollenverteilung meistens allein vom Mann verwaltet. Die gerne und häufig kolporierte Rolle der Frau als "Finanzministerin" der Familie entspricht nach soziologischen Studien nur in den seltensten Fällen der Realität. Auch Armut im Alter trifft weit überwiegend Frauen. So geht aus Studien hervor, daß von den über 65-Jährigen 43 Prozent der geschiedenen oder ledigen Frauen und 18 Prozent der Witwen von Armut betroffen sind, jedoch nur 12 Prozent der alleinstehenden Männer und nur 10 Prozent aller Ehepaare von über 65-Jährigen. 98 Prozent der Rentnerinnen erhalten eine Renten unter 900 Euro - bei den Rentnern sind es rund 50 Prozent, die mit einer Rente unter 900 Euro auskommen müssen. Auch an diesen Zahlen zeigt sich eine späte Folge der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung. Über 30 Prozent der Frauen im "Rentenalter" bekommen überhaupt keine Rente - bei den Männern liegt die entsprechende Quote bei knapp unter 8 Prozent. Das Rentenversicherungssystem bestätigt das Geschlechterverhältnis, indem es die lebenslange Erwerbstätigkeit nach dem Vorbild der männlichen "Normal"-Biographie zugrunde legt. Weibliche Armut im Alter ist das Spiegelbild der Verteilungsverhältnisse im Erwerbsleben und damit ein Spiegelbild von Privilegien und - Diskriminierung. Gerade auch bei älteren Frauen lebt eine große Zahl in verdeckter Armut: Sie verzichten aus Scham, aus Unkenntnis oder, um eine vermeintliche Belastung der Familie zu vermeiden, auf die Inanspruchnahme von "ergänzender Hilfe". Das gesamte Ausmaß der in Armut lebenden oder von Armut bedrohten alten Frauen kann nur geschätzt werden, da in vielen Bereichen wenige oder keine aktuellen Zahlen vorliegen. Aber nicht nur in diesem Bereich bleibt die Hierarchie des Geschlechterverhältnisses bis ins hohe Alter erhalten . Es sind wiederum Frauen, die bis ins hohe Alter hinein, als wesentliches gesellschaftliches Hilfepotential angesehen und genutzt werden. Das heißt, auch für die Zukunft wird auf die heimliche Ressource der Sozialpolitik, die Frauen, gesetzt. Dahinter verbirgt sich die Zuschreibung der weiblichen Sorge, der Betreuung und Pflege im familiären , verwandtschaftlichen und nachbarschaftlichen Bereich. Geleistet wird diese Arbeit überwiegend von Frauen - häufig parallel zu einer Erwerbsarbeit. Ab dem mittleren Alter, wenn sie frei sind von Familien-und Erziehungspflichten und wieder (voll-)erwerbstätig sein können oder könnten und sich noch eine minimale Alterssicherung aufbauen könnten, werden sie in wachsender Zahl durch neue Hilfs- und Pflegeverpflichtungen gegenüber ihren alten Eltern oder Schwiegereltern, daran gehindert. Die Anrechnung der privaten Betreuungsarbeit in der Altersversorgung sowie Leistungen der Pflegeversicherung für geleistete Pflege führen in keinem Fall zu einer Existenzsicherung. Bezogen auf ihre Teilhabe am Erwerbsleben sind Frauen nach wie vor "Bürger zweiter Klasse". In den vergangenen Jahren wurden zwar einige geringfügige Verbesserungen im Hinblick auf die frauenspezifischen Sicherungslücken erreicht: eine Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf die Rente, ein mehr theoretischer als praktischer Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und eine winzige Ausdehnung der Zahl an Teilzeitarbeitsplätzen. Mit der bereits genannten Zielsetzung will Bundesministerin von der Leyen die Situation arbeitender Frauen, vor allem Akademikerinnen, mit Kindern verbessern, um deren Arbeitskraft für die Wirtschaft verfügbar zu halten. Sie präsentiert das neue Elterngeld als Erfolg. Es beträgt 67 Prozent des Netto-Lohns, wird aber nur ein Jahr gezahlt, statt wie bisher zwei Jahre. Wer gut verdient, bekommt auch mehr Elterngeld. Nur 15 Prozent 1000 Euro und mehr. Die Untergrenze von 300 Euro erhalten 33 Prozent. Es ist also klar, daß nur ein kleiner Teil der Frauen von diesen Neuerungen profitiert. Nach wie vor besteht nicht nur in der Höhe der Bezahlung bei gleicher Arbeit ein eklatanter Unterschied. Typische "Frauenarbeitsplätze" sind gekennzeichnet durch geringere Qualifikationsanforderungen, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrigere Bezahlung und mangelnde Aufstiegschancen. Ältere, geringqualifizierte und alleinerziehende Frauen haben größere Schwierigkeiten, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Dies wird in Zeiten eines hohen Arbeitskräfteüberangebots und verschärften Sozialabbaus besonders deutlich. Arbeitslosigkeit, Rückzug in die "stille Reserve" und Entmutigungseffekte sowie deren Folgen sind Ergebnisse geschlechtshierarchischer Strukturen des Arbeitsmarktes. Während einige wenige Vorzeige-Frauen beruflich Karriere machen können, verschlechtert sich für die Mehrheit der Frauen die Situation von Jahr zu Jahr. Die sogenannten Arbeitsmarktreformen haben eine erneute Verdrängung von Frauen aus dem Arbeitsmarkt und eine Verschlechterung ihrer sozialen Sicherung zur Folge. Ausnahmslos alle der im folgenden aufgezählten Veränderungen treffen Frauen härter: die Aufweichung des Kündigungsschutzes, die Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die beschleunigte Anhebung des Rentenalters und die Jahr für Jahr erneut beschlossenen realen Rentenkürzungen, die Kürzung der umzuverteilenden Leistungen im Rentenrecht und die diversen Veränderungen im Arbeitsförderungsgesetz. Der Anteil der Frauen, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit vollem arbeits-, tarif- und sozialrechtlichem Schutz arbeiten, geht stark zurück und der Anteil derer, die in atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse abgedrängt werden, nimmt zu. Diese Entwicklung hat ein vermehrtes Armuts-Risiko zur Folge: In solchen Beschäftigungsformen ist die Existenzsicherung über Erwerbsarbeit nicht mehr gesichert. Zumeist können keine oder keine ausreichenden Ansprüche beispielsweise auf Rente oder auf Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld I) erworben werden. In der Folge tritt das Verarmungsrisiko vor allem dann auf, wenn die Erwerbstätigkeit unterbrochen oder beendet wird. Im Bereich Zunahme der Teilzeitbeschäftigten hat sich in vergangenen Jahren eine dramatische Entwicklung vollzogen. Deutlich wird dies am Beispiel der Frauenbranche Einzelhandel. Hier arbeiten rund 2,3 Millionen Menschen, davon knapp 70 Prozent Frauen. Damit die Konkurrenzfähigkeit des Einzelhandels erhalten bleibt, werden die Personalkosten drastisch gesenkt. Das führte zu einem Wechsel von vollzeitbeschäftigten Arbeitsverhältnissen in teilzeitbeschäftigte Arbeitsverhältnisse. Inzwischen gibt es in dieser Branche kaum noch Vollzeitarbeitsplätze. Hinzu kommen flexible Veränderungen im Arbeitszeitvolumen der Teilzeitbeschäftigten und teilweise tarifvertragswidrige Flexibilisierung der Arbeitszeit. Diese Veränderung bringen eine Ausweitung der nicht existenzsichernden Arbeit und sind für Frauen in hohem Ausmaße armutsgefährdend. Es gäbe also objektiv mehr als genug Gründe für ein Erstarken der Frauenbewegung. Zurück zur Übersichtsseite 'Redebeiträge' Zurück zur HAUPTSEITE
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