MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 18.02.08

Sozialabbau und Zumutbarkeitsregeln

Am 11. Februar taten sich die sogenannten Wirtschaftsexperten Bert Rürup und Hans-Werner Sinn einmal mehr mit einem Vorschlag hervor, den Druck auf Langzeitarbeitslose weiter zu erhöhen. Klaus Ernst von der Linkspartei erkannte zurecht, daß deren Vorschläge dem immer gleichen Muster folgen: "Wer nicht in der Lage ist, gute Arbeit zu schaffen, erhöht den Druck auf die Erwerbslosen." Rürup und Sinn wollen die Zumutbarkeitsregeln für Langzeitarbeitslose verschärfen und die Zuverdienstgrenzen für erwerbstätige Arbeitslose heraufsetzen.

Dabei ist durch Untersuchungen belegt, daß Langzeitarbeitslose bereits heute durch rücksichtslos eingesetzte Sanktionen gezwungen werden, jede auch noch so schäbige Arbeit anzunehmen - es sei denn, sie ist sittenwidrig. Nun fordern die beiden Herren, es solle noch mehr Druck auf Erwerbslose ausgeübt werden. Es wäre aber anständige und gut bezahlte Arbeit nötig, die keiner anbietet. Statt stets nach unten zu treten, sollten besser die Zumutbarkeitskriterien für die fachlichen Aussagen von Regierungsberatern verschärft werden.

Unsinnig ist auch Sinns Forderung, die Zuverdienstgrenzen für erwerbstätige Langzeitarbeitslose heraufzusetzen. Dieser Ratschlag zielt auf die weitere Deregulierung am Arbeitsmarkt und zerstört noch mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.

Die so genannten Wirtschaftsexperten wollen mit ihrem fortgesetzten Stakkato immer neuer anti-sozialer Ratschläge vergessen machen, daß es gerade ihre Empfehlungen waren, die zu dem Desaster am Arbeitsmarkt geführt haben, das heute beklagt wird. Es war ein Fehler, alles zu tun, um Arbeit möglichst billig zu machen. Leider hatten auch die Gewerkschaften diesem wissenschaftlich verbrämten Unsinn noch vor wenigen Jahren kaum etwas entgegen zu setzen. Wer die Zunahme der Arbeitslosigkeit stoppen will, muß sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse schützen und für einen Existenz sichernden Mindestlohn von 10 Euro kämpfen.

Nehmen wir einmal an, die Häufigkeit von Sanktionen habe etwas mit der Anzahl arbeitsunwilliger Erwerbsloser zu tun. Daraus müßten wir schließen, daß die Zahl der Strafmaßnahmen gegen arbeitsunwillige Erwerbslose dort am höchsten liegt, wo sie überproportional anzutreffen sind. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Im Osten ist die Arbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern, aber bei der Sanktionsquote liegen die Westländer vorn. Daraus spricht zunächst einmal die schlichte Tatsache, daß es weniger an Arbeitswilligkeit mangelt, wohl aber an freien Arbeitsstellen.

Und wer Aussicht auf einen der raren Jobs hat, der wird eher zu Abstrichen bei Qualität und Bezahlung bereit sein, als ein Arbeitsloser, in dessen Heimat händeringend Personal gesucht wird. Insofern ist die Statistik der Nürnberger Bundesagenttr also keine Überraschung. Fatal wird es allerdings, wenn bestimmte Blätter wie beispielsweise Deutschlands meist verkauftes Toilettenpapier (das mit den vier Buchstaben) mit veralteten Zahlen Stimmung gegen Arbeitslose machen.

Mittlerweile sind die Sanktions-Möglichkeiten gegen potenzielle Drückeberger so einschneidend, daß es sich solche praktisch nicht mehr erlauben können, "zumutbare" Arbeit bis hin zu Ein-Euro-Jobs abzulehnen. Manche der sogenannten Wirtschaftsweisen suggerieren aber immer noch das Gegenteil und bedienen damit Stammtischparolen. Die große Mehrheit der Arbeitslosen besonders in den neuen Ländern würde wohl lieber heute als morgen einen Job annehmen.

Nun tat sich auch die 'Badische Zeitung' am vergangenen Mittwoch (13.02.) damit hervor, mit der Präsentation der Sanktions-Zahlen aus den Kreisen der Region Freiburg, die sattsam bekannten Stammtischparolen zu bestätigen. Bestätigen können die Zahlen jedoch nur, daß die Arbeitsagenturen in Südbaden mit einer besonders strengen Anwendung der Sanktionsmöglichkeiten hervorstechen. So wurde im Landkreis Emmendingen im September 2007 6,7 Prozent aller erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen Geld gestrichen. Diese Sanktionsquote ist ungewöhnlich hoch. Emmendingen liegt damit auf Rang elf aller 431 Kreise und kreisfreien Städten. Und mit dieser Härte - so die von der 'BZ' nahegelegte Logik - seien auch die "Erfolge" zu erklären.

Um sich ein vollständiges Bild der Lage machen zu können, gehört allerdings die Information beigefügt, daß die Sozialgerichte mit Klagen gegen Sanktionen in eben dem selben zunehmenden Maße beschäftigt sind wie die Arbeitsagenturen und ARGEN mit der Verhängung ungerechtfertigter Kürzungen und Streichungen. Daten hierzu wurden der Leserschaft der 'BZ' vorenthalten. Von der Quote zurückgewiesener Sanktionen war nichts zu finden. Lediglich die Überlastung der Sozialgerichte wurde in der 'BZ' erwähnt.

Statt den nachweislich auf die "Fallmanager" erhöhten Druck, mehr und härtere Sanktionen zu verhängen, auch nur zu erwähnen, breitet die 'BZ' die Legende aus, die neu gegründeten Arbeitsagenturen seien 2005 zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um stets zu prüfen, ob ein Arbeitsloser arbeitswillig war. Und mit vermeintlicher Logik wird die Stammtischparole präsentiert: "Mehr Menschen als früher offenbaren ihre Unwilligkeit - und die Zahl der Strafen steigt."

Pauschal heißt es in der 'BZ', in Emmendingen herrsche "Vollbeschäftigung". Zahlen zur Arbeitslosenquote sind daher offenbar überflüssig. Statt Vermittlungszahlen zu nennen, zitiert das Blatt lediglich Heinz Disch von der dortigen Arbeitsverwaltung mit der unpräzisen Aussage: "Wir machen so gut wie jedem Hilfebedürftigen ein Jobangebot." Allein hieraus folgt sodann die Bestätigung der Stammtischparole: "Wer aber ein Angebot ablehnt, muß mit weniger Geld auskommen."

Tatsächlich jedoch lag die Arbeitslosenquote nach einer Ermittlung der wirtschaftsnahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) nicht etwa bei Null, sondern bei 5,6 Prozent. Bei einer von der Größe und Wirtschaftsstruktur vergleichbaren Stadt wie beispielsweise Esslingen lag sie dagegen nach der selben Quelle um fünf Ränge besser. Rastatt schnitt mit einer Arbeitslosenquote von 6,2 Prozent ((Quelle: INSM) nicht wesentlich schlechter als Emmendingen ab. Und im Ortenaukreis lag sie bei 6,9 Prozent (INSM).

Der Landkreis Emmendingen hat laut von Landrat Hurth Anfang 2007 öffentlich präsentierten Zahlen mit einem Anteil von 22 Prozent bei den Langzeitarbeitslosen eine deutlich bessere Relation zu verzeichnen als der gesamte Arbeitsamtsbezirk Freiburg, in dem der Anteil der Langzeitarbeitslosen in den Jahren 2006 und 2007 von 28 Prozent auf 34 Prozent gestiegen war. Wenn gerade in Emmendingen ein Spitzenplatz bei der Sanktionsrate in ganz Baden-Württemberg zu konstatierten ist, müßten sich nach der von der 'BZ' angewandten Schein-Logik also ausgerechnet hier die verstocktesten Drückeberger konzentriert haben.

Heinz Disch von der ARGE Emmendingen nannte im März 2007 eine Arbeitslosenquote von 4,4 Prozent - trotz der von ihm geschwungenen Sanktions-Peitsche. In einer Pressemitteilung des Landratsamtes Emmendingen wurde dann im Dezember 2007 plötzlich eine Arbeitslosenquote von 3,4 Prozent verzeichnet - ein vermeintlicher Erfolg der verschärften Sanktionen. So rutschte Herrn Disch denn auch bezeichnender Weise eine sprachliche Offenbarung wie diese heraus: "Nicht ohne Stolz darf ich Ihnen berichten, daß die ARGE in diesem Zeitraum ihre zu betreuenden Langzeitarbeitslosen um 32,5 Prozent reduziert hat."

Die Verhältnisse in Emmendingen mit denen in Freiburg zu vergleichen, wäre wenig sachgerecht, da es sich bei der Arbeitslosenquote Freiburgs um das Maximum in Baden-Württemberg handelt. Dennoch wird in der 'BZ' alles über einen Kamm geschoren. Als Grund für die vermeintlichen Erfolge neoliberaler Arbeitsmarktpolitik wird der staunenden Leserschaft verkündet: "Noch nie seit Beginn der Arbeitsmarktreform 2005 wurden in den fünf Kreisen Freiburg, Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen, Schwarzwald-Baar und Lörrach so viele Strafen gegen Langzeitarbeitslose verhängt wie im September 2007. (...) In diesen fünf Kreisen wurden 1257 Langzeitarbeitslosen ihre Hartz-IV-Leistungen zum Teil oder ganz gestrichen. Das waren 88 Prozent mehr als ein Jahr zuvor." Als Fazit wirkt dann ein ans Ende gestelltes Zitat: "Heute merken wir, daß viele Bedürftige auch aus Furcht vor Strafen ihre Verhalten geändert haben."

Auch aus Düsseldorf vermelden die Mainstream-Medien, daß die Arbeitsagenturen 2007 deutlich mehr Sanktionen verhängten und Arbeitslosen zeitweise das Geld strichen. Die Ämter gingen rigoroser gegen "arbeitsunwillige" Arbeitslose vor. Wie aus einer Statistik der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, verhängten die Behörden in 7800 Fällen so genannte Sperrzeiten, weil Arbeitslose Job- oder Eingliederungsangebote ablehnten beziehungsweise zu wenig Eigeninitiative an den Tag legten. Das waren 1562 Fälle oder 25 Prozent mehr als im Vorjahr.

Nicht nur wegen "Unwilligkeit", auch insgesamt verhängten die Arbeitsagenturen in NRW voriges Jahr deutlich mehr Sanktionen als 2006. Die Behörden strichen Arbeitslosen in 139 051 Fällen zeitweise die Bezüge. Das waren 24 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bereits seit Anfang 2006 gelten strengere Vorgaben für die "Fallmanager".

Auch ohne daß jede der nahezu Woche für Woche neu ersonnenen Forderungen der Sozialabbau-Experten realisiert würde, wird die Lage für die unteren zwei Drittel dieser Gesellschaft weiter und weiter verschlechtert. Viele, die sich seit 2005 damit trösteten, mit Hartz IV sei das Ende der Agenda 2010 und endlich der versprochene Aufschwung erreicht, sehen sich nun einer bitteren Lehre gegenüber: Die Gier des oberen Drittels ist unersättlich. Je mehr dieser Gier nachgegeben wird, desto erbarmungsloser werden die Forderungen.

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