|
Sozialabbau, Perspektivlosigkeit und Jugendalkoholismus
Über Jahre hin wurde es geleugnet. Dann wurde das Problem des zunehmenden Jugendalkoholismus auf die Alkopops geschoben. So konnte weiter der Blick von den Ursachen abgewendet und eine populistische Scheinlösung mit dem Verbot des Verkaufs von Alkopops an Jugendliche aufgeboten werden. Doch die Wirkungslosigkeit dieser Scheinlösung blieb nicht lange verborgen und so kam "Familienministerin" Ursula von der Leyen im Herbst 2007 auf die glorreiche Idee - immer den Blick von den Ursachen starr abgewandt und auf Möglichkeiten der Repression schielend - , Kinder als Spitzel einsetzen zu wollen. Im Oktober kamen bei der Jahrestagung der Drogenbeauftragten wenigstens einige Fakten ans Licht, so daß das Problem nicht weiter klein geredet werden kann. Jugendliche trinken immer häufiger auf Partys mit Gleichaltrigen hochprozentige Alkoholika in extremen Mengen - offenbar mit dem Ziel, sich besinnungslos zu saufen. "Komasaufen" wurde zum geflügelten Wort. Dabei ist das Koma nicht immer unbedingtes Ziel, sondern schlicht die Bewußtlosigkeit. Immer häufiger werden Jugendliche mit Alkoholvergiftung in die Kliniken eingeliefert. Laut aktuellen Untersuchungen müssen bereits 50 Prozent der 15- bis 16-Jährigen nach der allgemeingültigen Definition als alkoholabhängig gelten, denn sie konsumieren regelmäßig wenigstens einmal im Monat Hochprozentiges. Die AlkoholkonsumentInnen werden immer jünger. 20 Prozent der 14-Jährigen trinken mindestens wöchentlich Alkohol. Rund 19.400 Menschen zwischen 10 und 20 Jahren wurden im Jahr 2005 mit Verdacht auf Alkoholvergiftung in Kliniken eingeliefert - mehr als doppelt so viele wie noch fünf Jahre zuvor. Darunter waren 3.500 Kinder zwischen zehn und fünfzehn Jahren. Während der durchschnittliche Alkoholkonsum Jugendlicher seit 2002 sank, wuchs die Zahl derer, die Alkohol offenbar als Droge benutzen. Nach wie vor ist Alkohol die bevorzugte Droge der gut Angepaßten: Jugendliche, die am Wochenende bei Besäufnis-Partys keine Grenze kennen, gehören nicht selten in Schule und Ausbildung zu den "Unauffälligen". Die Zahl der 15- und 16-jährigen Jugendlichen, die wegen Alkohol-Problemen behandlungsbedürftig werden, hat sich nach Schätzungen innerhalb weniger Jahre verzehnfacht. Ebenso erschreckend wie das Elend, das mit diesen Fakten zu Tage kommt, ist die gesellschaftlich auf breiter Front sichtbare Abwehrhaltung, sich mit den Ursachen auseinander zu setzen. Statt dessen wird verharmlost, indem beispielsweise von einer Welle des Heroin-Konsums in den 70er Jahren und von der Welle der Designer-Drogen in den 90ern fabuliert und so das Bild eines unvermeidlichen Auf und Ab von Modetrends evoziert wird. Auch den Jugendlichen selbst fällt oft nichts besseres ein, als nach stärkeren Kontrollen und härterer Repression zu rufen. Ebenfalls im Oktober 2007 wurden die Ergebnisse einer ersten Kinderstudie in Deutschland publik, bei der 1.600 Acht- bis Elfjährige befragt wurden. Fazit: Kinder leiden zunehmend unter Existenzängsten. Laut dieser Studie des christlichen Hilfswerks 'World Vision' sind rund 25 Prozent der Kinder heute in ihrer gesamten Entwicklung "durch fehlende Mittel, zu wenig Zuwendung und Anregung im Elternhaus" benachteiligt. Erschreckendes Ergebnis dieser Studie: Der Anpassungsdruck hat offenbar zugenommen. Die Kinder fügen sich in ihren Erwartungen der Realität einer zunehmenden gesellschaftlichen Ungleichheit der Chancen. So können sich nur rund 20 Prozent der Kinder aus "sozial schwachen Schichten" vorstellen, einmal Abitur zu machen. Unter den Kindern "aus gut situierten Schichten" glauben dies mehr als 80 Prozent. Die auffallende "Familienzentriertheit" in Deutschland ist nach Ansicht der ForscherInnen zugleich die größte Gefahr - ein erstaunliches Ergebnis für eine Studie, die von einem christlichen Hilfswerk in Auftrag gegeben wurde. In einem Kommentar zu dieser Studie wurde immerhin bemerkt, daß es sich lohne sie zu lesen, weil die jungen Individuen ihre Umwelt viel genauer analysieren als es ihnen Erwachsene in der Regel zutrauen. Der so naheliegende Schluß, von den Kindern zu lernen, wird allerdings nicht realisiert. Sonst müßte es auffallen, daß unter Kindern und Jugendlichen heute eine resignative Haltung weit verbreitet ist, die sich auf einen Nenner bringen läßt: Die Umweltprobleme, die uns unsere Eltern hinterlassen, sind nicht mehr zu lösen. In aller Klarheit und zynischen Konsequenz kommt diese Resignation, die von Erwachsenen oft nicht wahrgenommen wird, in folgendem Witz zum Ausdruck: "Zwei Planeten fliegen im Weltall aneinander vorbei. Einer ist krank und der andere fragt: "Was hast du?" Antwort: "Homo sapiens". Da tröstet der gesunde Planet: "Ach du ärmster, das hatte ich auch mal. Aber keine Sorge, das geht vorbei." Kinder und Jugendliche nehmen die Realität oft ungeschminkt wahr, weil sie noch nicht über die in zunehmendem Alter immer häufiger verwendete "rosarote Brille" verfügen. Statt dessen müssen sie von Kindesbeinen trainieren aus den Lügen der Erwachsenen die Informationen herauszufiltern, die ihnen eine realistische Sicht der Welt ermöglichen. Dabei haben sie nicht die Möglichkeit auf gesammelte Erfahrungen aus mehreren Jahrzehnten zurückzugreifen, wie sie aus folgendem Abschnitt hervorgehen: Bereits der 1987 veröffentlichte Bericht "Our common future" einer UN-Kommission enthielt eine deutliche Warnung vor den drohenden menschengemachten Klimaveränderungen auf diesem Planeten. 1990 fand eine gleichnamige UN-Konferenz im norwegischen Bergen statt. Resultat: Das Jahr 1990 wurde als Referenzjahr festgelegt, von dem ab "Verpflichtungen" zur Reduzierung von Klimagasen gerechnet werden sollten. Ein Beschluß über Maßnahmen, zu denen sich die teilnehmenden Staaten verpflichten könnten, wurde verschoben. 1992 fand die vielzitierte Konferenz in Rio statt. Es wurde eine "Rahmenkonvention" verabschiedet - wiederum ohne konkrete Verpflichtungen. 1993 wurde William "Bill" Clinton US-Präsident und zusammen mit seinem Vize Al Gore deklarierte er die Initiative für ein Weltklimabakommen mit dem Ziel, bis 2010 eine weltweite Minderung der Treibhausgase um 50 Prozent zu erreichen. Ab 1995 startete - in Berlin - die Serie der Weltklimakonferenzen. Von Beginn an aber trat die US-amerikanische Delegation als Bremser auf. Der als klimapolitischer Hoffnungsträger gehandelte Al Gore erschien schon gar nicht mehr zur Konferenz, um nicht in Verlegenheit zu kommen, dafür gerade stehen zu müssen. Das Klimaprotokoll, das seine Bezeichnung einer dieser Konferenzen in Kyoto (1997) verdankt, war in seinen Grundelementen im Jahr 2001 fertig. Mittlerweile war Bush jr. US-Präsident geworden. Aber schon zuvor war klar, daß die USA das Abkommen nicht mittragen würden, obwohl es in seinen Verpflichtungen weit hinter den von ihnen selbst einst vertretenen Zielsetzungen zurückblieb - im Schnitt sechs Prozent Emissionsminderung bis 2012. Und das allein für Industriestaaten, obwohl zu diesem Zeitpunkt das von der UN eingesetzte 'Intergovernmental Panel on Climate Change' eine mindestens weltweite Minderung von 60 Prozent bis 2050 als erforderlich betrachtet hatte. Das Kyoto-Protokoll selbst trat erst im Februar 2005 in Kraft, weil erst durch den Beitritt Rußlands das vereinbarte Staatenquorum erreicht war. Zu diesem Zeitpunkt waren die weltweiten Klimagas-Emissionen seit 1990 um etwa 40 Prozent gestiegen - schneller als je zuvor, und das trotz des zwischenzeitlichen Zusammenbruchs der russischen Wirtschaft. Wie sollen Kinder und Jugendliche angesichts einer solchen Entwicklung noch Hoffnung haben? Das Vertrauen in Erwachsene oder gar PolitikerInnen ist völlig zurecht auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Perspektiven, wie sie selbst aktiv werden können, bleiben ihnen in der Regel verborgen. Statt dessen werden sie von Politik und Verbänden häufig mit Pseudo-Aktivitäten beschäftigt und dann in noch größere Ratlosigkeit und Resignation entlassen. Wenn nun der hessische Ministerpräsident Roland Koch im Wahlkampf ein weiteres Phänomen der heutigen Jugendaggression aufgreift, um noch härtere Repression zu fordern, gibt er den "Roten" und "Grünen" nur eine willkommene Gelegenheit von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken. Jugendgewalt ist übrigens nur eine von einer ganzen Reihe von Formen der Aggressivität: Denn Alkoholismus ist nach innen gerichtete Aggression, die auf Selbstzerstörung zielt - je nach Veranlagung kann auch eine Karriere als Manager aus einem aggressiven und auf Zerstörung gerichteten Potiential gespeist sein. Wer nach den Ursachen dieser Aggression fragt, wird zu einem großen Teil in den Jahren zwischen 1998 und 2005 fündig werden, in denen eine "rot-grüne" Bundesregierung die Politik bestimmte. "Rot-Grün" setzte Krieg erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder als Mittel der Politik ein, der brachialste Sozialabbau seit Bestehen der Bundesrepublik wurde durchgesetzt und im Gegensatz zu allen Versprechungen stieg in Deutschland der Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid. Die Heuchelei in der Politik brach alle bisherigen Rekorde. Eine glaubwürdige Perspektive kann sich für Jugendliche also nur jenseits der von "Schwarz-Gelb" und "Rot-Grün" bestimmten politischen Lager auftun. Einer der wichtigsten Aspekte dabei ist die Frage, wie sich ein Weg aus der zunehmenden Massenarbeitslosigkeit finden läßt.
Zurück zur Übersichtsseite 'Redebeiträge' Zurück zur HAUPTSEITE
|