MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 24.12.07

Sozialabbau und christliche Moral

Wie kommt es, daß so wenige ChristInnen sich bemüßigt fühlen, an der Montags-Demo teilzunehmen?
Gibt es hierzulande etwa nur noch so wenige?
Oder wissen diejenigen, die sich auf einen Menschen namens Jeschuah berufen, der vor rund 2000 Jahren in Palästina lebte und der latinisiert und geadelt als Jesus von Nazareth bezeichnet wird, heute nicht mehr, auf welche Seite sie gehören?

Da sei es einem Atheisten erlaubt, einmal diesen außerordentlich klugen Menschen zu zitieren.

Ein reicher Mann, der anscheinend selbst nicht so recht zufrieden mit dem eigenen Lebenswandel war, und wissen wollte, was ihm fehlt, erhielt von Jeschuah folgende Antwort:
"Verkaufe deinen Besitz und gib das Geld den Armen!"
Das konnte der Reiche nicht übers Herz bringen. An dieser Stelle in den Evangelien folgt der bekannte Kommentar:
"Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als daß ein Reicher in den Himmel kommt."
(Mt 19,18 - 24 / Mk 10,17 - 26 / Lk 18,18 - 26)

In die heutige, profane Sprache übersetzt heiß dies: "Wer reich ist, kann kein guter Mensch sein!"

Auch an anderer Stelle heißt es nochmals ganz klar:
"Verkauft eure Habe und gebt den Erlös den Armen!" (Lk 12,33)

Und:
"Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet" (Lk 14,22)

Über die Preisung der Armen in der Bergpredigt gibt es die langatmigsten Erklärungsversuche, daß vielleicht die "Armen im Geiste" oder möglicherweise Asketen gemeint seien, dabei heißt es in der Bergpredigt zugleich ganz eindeutig:
"Wehe euch, die ihr reich seid - ihr habt keinen Trost zu erwarten." (Lk 6,24)

Ist es nicht merkwürdig, daß trotz einer Vielzahl klarer Aussagen in den Evangelien, der Inhalt bei heutigen ChristInnen wenig bekannt zu sein scheint:

"Sammelt keine Schätze hier auf der Erde..."
(Mt 6,19)

"Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird zu dem einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon."
(Mt 6,24 / Lk 16,13)

"Ihr wißt, daß die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht mißbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein: Der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste und der Führende soll werden wie der Dienende."
(Mt 20,25 / Mk 10,42 / Lk 22,25)

Jeschuah wußte ganz offensichtlich, auf welche Seite er gehörte: Er gab sich nicht mit Reichen, Priestern und Schriftgelehrten ab, die er öffentlich als Heuchler bezeichnete - er begab sich in die Gesellschaft der Armen und Unterdrückten, Huren, Verbrecher und unheilbar Kranken.

Daß die Frühchristen diese Haltung teilten, geht klar beispielsweise aus dem Jakobusbrief hervor:
"Der Bruder, der in niedrigem Stand lebt, rühme sich seiner hohen Würde, der Reiche sich aber seiner Niedrigkeit, denn er wird dahinschwinden wie die Blume im Gras."
(Jak 1, 9 - 11)
Und:
"Sind es nicht die Reichen, die euch unterdrücken und euch vor die Gerichte schleppen?"

Der Verfasser dieses Briefes war vermutlich ein Bruder des Jeschuah. Und er gilt als Märtyrer, da er im Jahr 62 der heutigen Zeitrechnung ermordet wurde.

Vor rund drei Jahren, im November 2004, versuchte sich der frühere CDU-Generalsekretär unter Helmut Kohl, Heiner Geißler - dem Vernehmen nach ein Christ - , an die Spitze der damals noch gegen "Rot-Grün" gerichteten Proteste gegen die Hartz-Gesetze zu stellen. Seine Argumente waren nicht falsch - doch inzwischen ist kaum mehr etwas von ihm zu vernehmen, obwohl sich die Lage von Jahr zu Jahr weiter verschlechtert hat.

Geißler erklärte im November 2004:
"Unter Berufung auf angebliche Gesetze des Marktes reden sie vielmehr einer anarchischen Wirtschaftsordnung, die über Leichen geht, das Wort. 100 Millionen von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen in Europa und den USA und 3 Milliarden Arme, die zusammen ein geringeres Einkommen haben als die 400 reichsten Familien der Erde, klagen an: die Adepten einer Shareholder-Value-Ökonomie, die keine Werte kennt jenseits von Angebot und Nachfrage, Spekulanten begünstigt und langfristige Investoren behindert. Sie klagen an: die Staatsmänner der westlichen Welt, die sich von den multinationalen Konzernen erpressen und gegeneinander ausspielen lassen. Sie klagen an: ein Meinungskartell von Ökonomieprofessoren und Publizisten, die meinen, die menschliche Gesellschaft müsse funktionieren wie DaimlerChrysler (...)"

"Die Arbeiter in den Industriestaaten und ihre Gewerkschaften, die angesichts der Massenarbeitslosigkeit mit dem Rücken an der Wand stehen, fühlen sich anonymen Mächten ausgeliefert, die von Menschen beherrscht werden, deren Gier nach Geld ihre Hirne zerfrißt."

Oder auch der frühere C-Politiker und Arbeitsminister (1982 - 1998) unter Helmut Kohl, Norbert Blüm, kritisierte im Juni 2004 ganz zu recht:
"Großmanager der deutschen Wirtschaft empfehlen sorgengeplagt Lohnzurückhaltung und sahnen gleichzeitig unverfroren ab. Die Vorstandsgehälter der Deutschen Bank, einer Leuchte der Deutschen Wirtschaft, stiegen beispielsweise zwischen 1997 und 2001 um 474 Prozent, während gleichzeitig 14.500 Stellen abgebaut wurden und die Aktionäre in diesen Jahren ein Drittel ihres Aktienvermögens verloren. Klaus Esser von Mannesmann erhielt als Goldenen Handschlag für die nicht verhinderte Fusion mit Vodafone 60 Millionen Mark, während die Deutschen Arbeitgeberverbände gleichzeitig über zu hohe Abfindungen für Arbeitnehmer in den Sozialplänen klagten. Der biblische Pharisäer war geradezu ein Stümper gemessen an der Scheinheiligkeit mancher Lohnzurückhaltungsapostel."

Weiter meinte Blüm:
"Nach Angaben des Caritas-Verbandes, einer kirchlichen Organisation, (...) gehen dem Gemeinwesen durch Sozialhilfemissbrauch jährlich 120 Millionen Euro verloren; durch Steuerhinterziehung jedoch 65 Milliarden Euro. Gleichzeitig werden schätzungsweise 2,2 Milliarden Sozialleistung nicht in Anspruch genommen von Menschen, die sich ihrer Armut schämen und sich deshalb scheuen, an der "komfortablen Normalität" des Sozialstaates zu partizipieren. Missbrauchsbekämpfung ist hierzulande selektiv: Die Kleinen hängen und die Großen laufen lassen."

Schade, daß solch christliche Erkenntnisse so selten zu hören sind. Da drängt sich ein Verdacht auf: Könnte es sein, daß Geißler und Blüm ihre Erkenntnisse nur einsetzten, weil 2004 ihre C-Partei in der Opposition war? Und daß sie heute schweigen und darauf hoffen, daß sich niemand mehr daran erinnert, weil heute die C-Politikerin Merkel Bundeskanzlerin ist? Geißler und Blüm sind schließlich nicht so dumm und wissen ganz genau, daß sich die unsoziale und unchristliche Politik Merkels keinen Deut von der ihres Vorgängers Schröder unterscheidet.

 

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