|
Sozialabbau und Suppenküchen-Staat
Wenn von der Linksspartei etwas Vernünftiges zu hören ist, bin ich immer gerne bereit, das aufzugreifen. So hat Diana Golze, deren kinder- und jugendpolitische Sprecherin im Bundestag, letzte Woche das Wort vom Suppenküchen-Staat Deutschland in die Debatte geworfen. Als Reaktion auf eine Pressekonferenz des Bundesverbands Deutsche Tafel meinte sie: "Dass ein reiches Land wie Deutschland es aber überhaupt so weit hat kommen lassen, dass zahlreiche Menschen auf Almosen angewiesen sind, ist empörend. Deutschland hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr in einen Suppenküchenstaat verwandelt. Und Politiker, die Millionen Menschen Verarmungsprogramme wie Hartz IV oder Rente ab 67 verordnen, übernehmen auch noch die Patenschaft für öffentliche Suppenküchen. Das ist Zynismus pur." Das sind deutliche Worte. Und da hat sie recht. Übersehen dürfen wir aber dabei folgendes nicht: Karitative Aktionen, die sich nicht gegen die Ursache des Übels wenden, sondern lediglich deren Folgen abzumildern suchen, haben eine gesellschaftliche Funktion. Und sie stehen in Europa in einer gesellschaftlichen Tradition von knapp 1.700 Jahren. Und wer PolitikerInnen, die das Übel verbrochen haben, auch noch dazu einlädt, Patenschaften zu übernehmen, bekämpft ganz offensichtlich nicht die Ursachen. Gestern war Sankt-Martins-Tag und der Auftritt des Bundesverbandes Deutsche Tafel stand nicht zufällig in diesem engen zeitlichen Kontext. Mit der Figur des heiligen Martin wird hierzulande den Menschen schon von Kindesbeinen an die pseudo-christliche Heuchelei eingeimpft. Dabei ist die immer wieder geschilderte Szene von einer Komik, die selbst jene bekannte Szene von des Kaisers neuen Kleidern übertrifft. Die Parallele ist ebenso frappierend: Im einen Fall bewirkt eine Art kollektive Suggestion, daß die Mehrheit einfach übersieht, daß der Kaiser in Wahrheit nackt vor ihnen steht. Im anderen Fall haben die Menschen gelernt, das Groteske an dieser Sankt-Martin-Szene einfach zu übersehen. Da reitet ein Soldat namens Martin daher, steigt nicht einmal vom hohen Roß herunter als er einen frierenden Bettler erblickt und teilt seinen Mantel mit dem Schwert. Den halben Mantel überläßt er dem Frierenden und diesen seinem Schicksal. Und er reitet - so dürfen wir annehmen - mit beruhigtem Gewissen seines Wegs. Einen halben Mantel - das verstehen auch heute noch viele, die sich Christen nennen, unter Teilen. Wir müssen auch gar nicht wissen, auf welche Zeit das Leben dieses Scheinheiligen datiert ist - denn: In den ersten drei Jahrhunderten war für ChristenInnen noch selbstverständlich, daß ihr Glaube nicht vereinbar ist mit dem sogenannten Beruf des Soldaten. Und die Kinderlein müssen über den Herrn Lanzenreiter singen: "Sankt Martin war ein guter Mann..." Wie aus den Mainstream-Medien zu erfahren ist, will nun auch Sankt Müntefering - Franz Münterfering - dem Martin nacheifern: Dem Vernehmen nach erwägt er schon seit geraumer Zeit - beachtet bitte diese noble Formulierung - besondere Hilfen für Kinder aus armen Familien. Voraussichtlich noch im November werde "Schwarz-Rot" diese Unterstützung beschließen. Prompt kommentieren die Mainstream-Medien, dies bedeute "eine Abkehr vom Hartz-IV-Konzept" und versuchen so, die Leute zum Narren zu halten. Konkret plant die Regierung nicht mehr als einmal im Jahr ein sogenanntes Schulstart-Paket und Zuschüsse - sie haben also genau verstanden, was ein halber Mantel bedeutet - für Mahlzeiten in Schulen und Kindergärten. Ausgeschlossen wird selbstverständlich, was selbst einige Wohlfahrtsverbände fordern: eine deutliche Erhöhung der Regelsätze. Nicht selten heißt es dann in den Mainstream-Medien ganz eindeutig: Dem Druck, die Hartz-IV-Regelsätze deutlich zu erhöhen, will Müntefering gleichwohl - das heißt auf deutsch: trotzdem - nicht nachkommen. Müntefering ist schließlich mit allen Wassern gewaschen. Er hat genau registriert, daß der Druck, der im Sommer aufgrund der sprunghaft gestiegenen Lebensmittelpreise enorm angewachsen war, inzwischen wieder nachgelassen hat. Mit ein klein wenig Almosen, so hoffen er und Bundeskanzlerin Merkel, wird sich weiter Druck abbauen lassen. Und der "rote" Chef des Berliner Senats, Klaus Wowereit, assistiert mit dem Argument, daß Unterschichten-Leute bekanntlich nicht mit Geld umgehen könnten - und daher käme eine Erhöhung des Regelsatzes gar nicht bei den hungrigen Kindern an. Der am 1. Januar 2005 eingeführte Hartz-IV-Regelsatz von 345 Euro wurde seither um 2 Euro - entsprechend 0,6 Prozent - auf 347 Euro erhöht. Angesichts der Preissteigerungen bedeutete dies bereits 2006 und ganz besonders in diesem Jahr real eine Absenkung, und die RentnerInnen werden - schon seit vielen Jahren - mit fortlaufenden realen Absenkungen "geehrt". Eine Mehrheit der deutschen Bundestagsabgeordneten will ihr Salär - die sogenannten Diäten - zum 1. Januar 2008 drastisch erhöhen. Von derzeit 7.009 Euro sollen sie um 4,7 Prozent auf 7.339 Euro aufgestockt werden. Und in einem Aufwasch soll gleich die nächste Erhöhung auf 7.668 Euro zum 1. Januar 2009 mit beschlossen werden.
Dazu würde Wilhelm Busch vermutlich dichten:
Dieses Gesindel im Reichstag - sie sollten ja mal als Gesinde, also Diener "dem deutschen Volke" ergeben sein, sein Wohl mehren und Schaden von ihm wenden - kann offenbar den Rachen nicht voll genug kriegen. Tröstlich ist immerhin, daß laut Umfragen mehr als 80 Prozent der Deutschen realisiert haben, daß sie politisch nichts zu sagen haben. Ebenfalls über 80 Prozent sind der Ansicht, daß "auf die Interessen des Volkes keine Rücksicht" genommen werde. Da kann es nicht mehr allzu fern liegen, daß die Menschen die nötigen Schlüsse daraus ziehen.
Zurück zur Übersichtsseite 'Redebeiträge' Zurück zur HAUPTSEITE
|