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5 Jahre hungern wegen Hartz IV?
Manche bemerken erst jetzt die steigenden Lebensmittelpreise. Hartz-IV-Betroffene, die von einem ALG-II-Betrag von monatlich 347 Euro leben müssen, haben die steigenden Lebensmittelpreise bereits in den letzten zweieinhalb Jahren zu spüren bekommen. Der Betrag von zunächst 345 Euro wurde auf der Basis der sogenannten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) erhoben. Die so errechneten "Regelsätze" - beispielsweise stehen für ein Kind 86 Cent monatlich für Spielsachen, 1 Euro 76 Cent monatlich für Schulsache zur Verfügung - sollen nur alle fünf Jahre angepaßt werden. Die Basis der jetzigen Regelsätze ist das Jahr 2003. Infolge der jährlichen Preissteigerungen soll also unsichtbar bis 2008 jedes Jahr das ALG II gekürzt werden, denn die Kaufkraft der 347 Euro wird jedes Jahr weniger. Zum 1. Juli 2007 wurde das ALG II um lächerliche 2 Euro auf monatlich 347 Euro erhöht. Dies bedeutet konkret, daß beispielsweise der Regelsatz für Schulkindern bis 14 Jahren für die Ernährung somit von 2,27 Euro auf 2,28 pro Tag angewachsen ist. Einer aktuellen Studie der Universität Bonn zufolge reicht der Hartz-IV-Regelsatz nicht aus, um Kinder und Jugendliche gesund und ausgewogen zu ernähren. Die bis zu 50 Prozent angestiegenen Lebensmittelpreise unter anderem für Milch werden besonders die Kinder in Hartz-IV-Haushalten treffen. "Die Bedingungen, unter denen Millionen arme Kinder in Deutschland aufwachsen, werden dadurch noch schlechter", sagt der Armutsforscher Christoph Butterwege. In der vom Institut für Kinderernährung der Universität Bonn vorgelegten Studie wurden noch die Lebensmittelpreise von 2004 zugrunde gelegt. Dennoch ist das Resultat erschreckend. Im Sommer 2004 startete die damalige Verbraucher-"schutz"-Ministerin Renate Künast eine Kampagne, um gegen das sich ausbreitende Übergewicht der heutigen Kinder und Jugendlichen angehen. Die Organisation 'foodwatch' merkte dazu kritisch an: "Die Regierung scheut die harte Auseinandersetzung mit der Industrie. Statt Hersteller, Handel und Werbewirtschaft zu echter Produktverantwortung zu zwingen, versetzt das Haus Künast die Industrie in die komfortable Lage, nur unverbindliche Zusagen machen zu müssen." Anstatt eine "Alibi-Politik mit regierungsamtlichem Stempel" zu betreiben, sei es wichtig darüber zu debattieren, "wie gesunde Ernährung aussehen müsse und wie diese verbreitet werden müsse". Tatsächlich sind heute rund 20 Prozent der deutschen Kinder und 30 Prozent der Jugendlichen übergewichtig. Mit steigender Tendenz. Übergewicht führt für die betroffenen Kinder und Jugendlichen oft genug zusätzlich zur körperlichen Behinderung zu großen psychischen Problemen. Sie werden ausgestoßen und gehänselt und können in Mitten der allgegenwärtigen "fit for fun"-Mentalität kaum ein gefestigtes Selbstvertrauen entwickeln. Hinzu kommen gesteigerte Krankheitsrisiken. Bluthochdruck, Herzinfarkt, Diabetes und Überbelasung der Knochen korrelieren in hohem Maß mit Übergewicht. Immer mehr Kinder leiden beispielsweise an Krankheiten, die noch vor Jahren nur bei alten Menschen bekannt waren: Eine Studie der Berliner Charité brachte zu Tage, daß auffallend viele Kinder an Diabetes Typ 2 erkranken. Renate Künast stimmte den Hartz-IV-Gesetzen und dem so von "Rot-Grün" verschärften Sozialabbau zu. Während die genannte Kampagne lediglich ihrem Image nutzte, bewirkte sie real mit der Zustimmung zu Hartz IV das genaue Gegenteil der mit der Kampagne propagierten Ziele. Schon heute betragen die durch falsche Ernährung bedingten Kosten mehr als 70 Milliarden Euro pro Jahr. 2,5 Milliarden Euro pro Jahr gibt die Ernährungsindustrie für Werbung aus. Davon entfällt laut 'Foodwatch' rund ein Viertel allein auf Süßwaren. Erst vor wenigen Wochen wurde von "Schwarz-Rot" ein neuer "Nationaler Aktionsplan für gesunde Ernährung" vorgestellt. Er ist ebenso wenig wert wie die 2004 von Künast gestartete Kampagne. Weiterhin sollen Jugendliche bis 18 Jahre nur 80 Prozent der 347 Euro ALG II erhalten, Kinder unter 14 Jahren gar nur 60 Prozent. Für inzwischen 2,7 Millionen Kinder in Deutschland, die auf ALG II angewiesen sind, bedeutet dies schlicht und einfach, daß der Regelsatz für Gesundheit, Ernährung, Schulsachen und Bildung nicht ausreicht. Der stellvertretende Vorsitzende der "S"PD-Fraktion, Ludwig Stiegler, und der arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Fraktion, Klaus Brandner, haben sich jüngst für eine sofortige Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes ausgesprochen, falls dieser sich als nicht bedarfsdeckend erweisen sollte. Welche Beweise benötigen diese Herren noch? Die Konsequenz aus der sich immer deutlicher abzeichnenden Misere, die durch die Hartz-IV-Gesetze bewußt angesteuert wurde, kann nur heißen: Weg mit Hartz IV! Wenn PolitikerInnen mit der aktuellen Erhöhung der Milch- und Fleischpreise nun eine Debatte um eine mögliche Anhebung der Regelsätze beginnen, ist dies ein doppeltes Armutszeugnis - ein geistiges Armutszeugnis, das sich diese PolitikerInnen selbst ausstellen und ein Armutszeugnis für diese Gesellschaft. Dem stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestags-Fraktion der Linkspartei, Klaus Ernst, ist zuzustimmen, wenn er sagt. "Wer die jetzigen Preissteigerungen allein zum Anlaß nimmt, die Erhöhung der Grundsicherung zu fordern, wie es Teile der ehemaligen Hartz-IV-Regierungsparteien SPD und Grüne tun, muß sich den Vorwurf des Populismus gefallen lassen. Hartz IV muß überwunden werden." Ungeachtet der angeblich rückläufigen Arbeitslosigkeit hat die Zahl der Hartz-IV-Betroffenen nach Angaben des Deutschen Landkreistags (DLT) einen neuen Höchststand von 7,4 Millionen Menschen erreicht. Der DLT machte darauf aufmerksam, daß die Zahl der Hartz-IV-Betroffenen die in der Arbeitslosenstatistik erfaßten Langzeitarbeitslosen um ein Vielfaches übersteigt und stetig wächst. DLT-Präsident Hans Jörg Duppré kritisierte, daß die Zahl der Hartz-IV-Betroffenen bislang auf die Langzeitarbeitslosen verengt werde. Ein-Euro-Jobber mit mehr als 15 Wochenstunden, Kranke oder Ausbildungsplatzsuchende etwa fänden sich dagegen nicht in der Arbeitslosenstatistik wieder, obwohl deren Lage oft nicht besser sei. Gleiches gelte für Erwerbstätige im Niedriglohnbereich, die zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind. "Es wird endlich Zeit, daß wir uns den vielschichtigen Problemen offen stellen und uns eingestehen, daß die Zahl der Personen wächst, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind", so Duppré.
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