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Sozialabbau und ÄrztInnen
Auf dem kürzlich in Münster statt gefundenen ÄrztInnentag hat der Präsident der Deutschen Ärztekammer Professor Jörg-Dietrich Hoppe, in seiner Rede einige erstaunliche Erkenntnisse geäußert. Dinge, die selten so deutlich von VertreterInnen der Ärzteschaft zu hören sind. Mit scharfem Intellekt analysiert er das sogenannte GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. GKV - das steht für Gesetzliche Krankenversicherung. Eingangs stellt er die Fragen: Wird da wirklich Wettbewerb verstärkt? Wer soll mit wem konkurrieren? Wer sind die Kunden? Was ist die Ware? Hoppe sieht bei der gegenwärtigen Entwicklung die Gefahr, daß die ÄrztInnen auf die Rolle der "ErfüllungsgehilfInnen im Medizingeschäft" reduziert werden. Er stellt die Frage: "Schließlich haben wir eine Fließbandmedizin - ist das wirklich eine Entwicklung, die wir haben wollen?" Glasklar diagnostiziert Hoppe, daß mit "zunehmender Privatisierung im Kliniksektor eine Konzentration einhergeht". "Im Jargon der Gesundheitsökonomen heißt das 'Marktbereinigung' der Krankenhauslandschaft." Hoppe verweist auf eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) laut der etwa zehn Prozent der Krankenhäuser bei 2010 vom Markt verschwinden. Im Krankenhaus-Rating-Report 2005 der Instituts heiße es lapidar: "Marktbereinigung verbessert Systemeffizienz." Die Schließung von Krankenhäusern werde sich vor allem an betriebswirtschaftlichen Kriterien orientieren und nicht an der Versorgungssicherheit. Versorgungslücken könnten daher prinzipiell entstehen, so das RWI. Weiter kritisiert Hoppe, daß vom Staat mit einem "Sonderopfer" jährlich Einsparungen von 380 Millionen Euro vorgesehen sind. Das habe ganz klar zur Folge, daß die kleinen, besonders die kommunalen Krankenhäuser kaum mehr eine Überlebens-Chance besitzen. Die "Wettbewerbsstärkung" bedeutet dann de facto, daß die Großen in der Krankenhauslandschaft gestärkt werden und die Kleinen auf der Strecke bleiben. Die stationäre Grundversorgung wird in der Folge empfindlich getroffen. Auch der zynische Umgang von Krankenhausbetreibern mit ihren angestellten ÄrztInnen wird von Hoppe ungeschminkt beim Namen genannt. Er zitiert einen den anwesenden ÄrztInnen nicht unbekannten Krankenhausmanager einer großen Klinikkette: "Jeder Krankenhausbetreiber sollte permanent bemüht sein, das ärztliche Personal in der Art und Weise einzubinden, daß nachhaltiges Unternehmenswachstum sichergestellt wird." Nebenbei bemerkt: Wenn ein Manager von nachhaltigen Wachstum redet, meint er exponentielles Wachstum. Hoppe analysiert die Äußerung: "Ein derart eingebundener Arzt kann aber nicht mehr frei sein. Er soll es auch gar nicht." Laut Hoppe habe dieser durchaus repräsentative Manager ganz offen das aus seiner Sicht "tradierte, eher handwerkliche Arztverständnis" angegriffen und statt dessen als Ziel formuliert, die ÄrztInnen müßten dort eingesetzt werden, wo sie die größte Wertschöpfung - sprich: den größten Profit - erbringen. In den eigenen Worten dieses Managers sei das Ziel: "Mit der neuen ärztlichen Arbeitsteilung geht die Krankenversorgung denselben Weg die Industrialisierung wie die Automobilindustrie vor hundert Jahren." Hoppe stellt in der Konsequenz in Frage, ob ein patientengerechtes Gesundheitswesen nach den Gesetzen des Marktes funktionieren kann. Doch statt aus diesen Erkenntnissen die naheliegenden Schlußfolgerungen zu ziehen, endete Hoppe seine Rede mit einem Festhalten am überkommenen Berufsbild des Arztes als Freiberufler - eine Position, die heute hoffnungslos illusionär ist. Professor Hoppe hofft darauf, den Status der Ärzte als Freiberufler und "frei von staatlichen Zwängen" erhalten zu können. Doch die ÄrztInnen haben heute keine Lobby mehr in der Politik, mit deren Hilfe sie ihre Besitzstände verteidigen könnten. Das zeigt sich darin, daß die Einkommen der allermeisten ÄrztInnen Jahr für Jahr real sinken. Die Zeiten als der Arzt als "Halbgott in Weiß" galt sind unwiederbringlich passé. Allmählich begreifen die ÄrztInnen zwar, daß sie in die Mühlen des Neoliberalismus geraten. Doch offenbar wird es noch einige Zeit dauern, bis sie auch begreifen, daß aus dieser Erkenntnis die Schlußfolgerung gezogen werden muß, daß sie sich dieser Durchkapitalisierung des Gesundheitswesens nicht als EinzelkämpferInnen erfolgversprechend entgegenstellen können, sondern daß dieser Angriff nur mit einer breiten Front und in Solidarität mit allen im Gesundheitswesen Beschäftigten abgewehrt werden kann.
Es muß auch immer wieder daran erinnert werden, wer zu den Gewinnern der sogenannten Gesundheitsreform zählt:
Dazu müssen wir uns nur die offiziellen Zahlen ansehen:
Um fast 17 Prozent sind in den vergangenen Jahren die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Medikamente in die Höhe geschossen. Mit rund 25 Milliarden Euro wird für Pillen und Ampullen inzwischen 20 Prozent mehr ausgegeben als für die unzufriedenen ÄrztInnen, deren Arbeitsbedingungen von Jahr zu Jahr verschlechtert wurden. Weit mehr noch als die privaten Krankenhausbetreiber haben die Pharma-Konzerne von der "Gesundheitsreform" profitiert. Um diese "Reform" durchzusetzen wurden den Menschen monatelang Tag für Tag von den Mainstream-Medien die Lüge von den "explodierenden Kosten im Gesundheitswesen" eingehämmert. Doch tatsächlich lag der Kostenanstieg insgesamt im Rahmen der üblichen Preissteigerung. Und kaum jemand kennt bis heute den tatsächlichen Grund für den Anstieg der Kosten. Eine Aufschlüsselung der Kosten des deutschen Gesundheitswesen kann sich jeder besorgen - das ist nicht geheim. Es wird allerdings nicht - oder höchst selten einmal - in den Mainstrem-Medien offengelegt. Hier eine vollständige Aufschlüsselung aller 8 Bereiche:
Um wieviel stiegen wohl die Kosten
2. im Bereich Krankenhaus?
3. im Bereich ärztliche Behandlung?
4. im Bereich Vorsorge / Reha?
5. im Bereich zahnärztliche Behandlung?
6. im Bereich Krankengeld?
7. im Bereich Zahnersatz?
Und welcher Bereich hat also die Kostensteigerung hauptsächlich verursacht? der 8. Bereich: die Arzneimittelkosten mit rund 17 Prozent Plus. Die ÄrztInnen sind genauso die Dummen wie die von Hartz IV Betroffenen und wie insgesamt zwei Drittel dieser Gesellschaft. Zwei Drittel der Deutschen geht es von Jahr zu Jahr schlechter - sicherlich auf verschieden hohem Niveau - und das erschwert die Solidarität. Und: Es erschwert die Solidarität, daß die allermeisten nicht einmal wissen, daß nur rund ein Drittel von der neoliberalen Wirtschaftspolitik profitiert. Und die ÄrztInnen müssen endlich einmal realisieren, daß sie - zu 90 Prozent jedenfalls - längst nicht mehr zur "belle Etage" zählen.
Siehe auch den Redebeitrag vom 16.10.06:
Sozialabbau und die Schließung
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