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Sozialabbau und Mindestlohn
Manchmal ist es ja ganz witzig, wenn eine echte Opposition im Bundestag sitzt. Zumindest gelegentlich erfüllt die Linkspartei diese Rolle. So hat sie genau diejenigen Formulierungen, mit denen sich die SPD in der Öffentlichkeit mit dem Thema Mindestlohn zu profilieren versuchte, wortwörtlich in einen Antrag gefaßt und im Bundestag zur Abstimmung gestellt. Es handelt sich um exakt die Formulierungen aus der SPD-Unterschriftenaktion zur Mindestlohneinführung. Zunächst hat die SPD-Bundestagsfraktion versucht, eine Abstimmung zu umgehen, indem sie zusammen mit der CDU/CSU den Antrag zur weiteren Beratung in einen Ausschuß verwies. Denn daß sie über ihre eigenen Worte abstimmen sollte, hat der SPD gerade während dem Wahlkampf in Bremen gar nicht gefallen. In Bremen wollte die SPD die Menschen zum Narren halten und glauben machen, sie setze sich für die Einführung eines Mindestlohnes ein. Im Bundestag verhinderte sie jedoch bislang eine Mehrheit für die Einführung des Mindestlohnes, ohne daß dies in den Mainstream-Medien je zur Sprache kam. Am 9. Mai kam es im Bundestag zum Schwur. Die SPD stimmte zusammen mit der CDU/CSU für die Absetzung des Themas Mindestlohn von der Tagesordnung des Ausschusses 'Arbeit und Soziales'. Damit wollte die SPD-Fraktionsführung vermeiden, daß sie noch vor dem gestrigen Wahltag in Bremen zu einer Abstimmung über ihren eigenen Vorschlag zum Mindestlohn gezwungen wäre. Wie schon bei der sogenannten Gesundheitsreform und der Rente ab 67 ist die SPD auf der Flucht, wenn es zum Schwur kommt. Den Spitzen der SPD sind Ministerämter offenbar wichtiger - und teurer - als die Realisierung sozialpolitischer Forderungen. Forderungen, die sie gerne vorgibt zu vertreten und für die kleinen Leute in Regierungspolitik umzusetzen. Besonders ekelerregend ist es, zu sehen wie sich einige SPD-Bundstagsabgeordnete verhalten, die in den Mainstream-Medien immer noch als Linke verkauft werden. Sogenannte Linke wie Klaus Brandner, Andrea Nahles, Anton Schaf und Andreas Steppuhn stimmten - wie so oft - genau so wie es die Fraktiionsführung verlangte. Aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werden sollten eigentlich SPD-Bundestagsabgeordnete wie Walter Riester, Franz Thönnes, Gerd Andres, Klaus Brandner, Karin Roth, Doris Barnet, Kurt Bodewig, Ute Kupf und Jörg Tauss, die aus Gewerkschaftsbeiträgen zum Teil bis heute bezahlt werden und sich dennoch der Fraktionsdisziplin unterwerfen. Auch die Mainstream-Medien kamen nun nicht mehr darum herum, über dieses Abstimmungsverhalten im Bundestag zu berichten. Der US-amerikanische Präsident Abraham Lincoln sagte einmal: "Ihr könnt alle Menschen für einige Zeit zum Narren halten, ihr könnt sogar einige Menschen für alle Zeit zum Narren halten, aber ihr könnt nicht alle Menschen für alle Zeit zum Narren halten!" Tatsächlich gibt es in folgenden europäischen Ländern Mindestlöhne - und dies zum Teil schon lange:
Es ist eigentlich eine Schande, daß der DGB mit einer Forderung nach 7,50 Euro in die Verhandlungen geht. Wo gab es das sonst schon einmal, daß die in Europa stärkste Gewerkschaft mit einer geringeren Forderung in die Verhandlungen geht, als sie andernorts bereits durchgesetzt wurde ? Dies ist gegenüber den abhängig Beschäftigten in Europa eine unsoziale und nationalistische Politik! Auch die Forderung der Linkspartei von 8 Euro, die sie bisher unabhängig von den 5 oder 6 Euro Diskussionsbeiträgen von Müntefering vorgebracht hat, ist schlichtweg nicht sozial. Bei einem Mindestlohn von 7,50 Euro ergibt sich bei einer 38,5 Stundenwoche ein Monatslohn von 1.250 Euro im Monat. Das bedeutet für einen Alleinstehenden 911 Euro netto - bei einem Krankenversicherungsbeitrag von 13,8 Prozent. Die Pfändungsgrenze liegt bei 990 Euro. Dieser Nettolohn würde im Durchschnitt bei Alleinstehenden einen ALG-II-Anspruch auslösen. Das durchschnittliche ALG-II-Niveau eines Alleinstehenden liegt bei 650 Euro. (345 Euro plus 305 Euro Warmmiete). Bei einem Bruttolohn von 1.250 Euro wäre der pauschalierte Freibetrag 280 Euro. Wenn die Werbungskosten 100 Euro übersteigen, entsprechend mehr. Der ALG-II-Bedarf liegt also bei 650 plus 280, d.h. bei 930 Euro. Der DGB fordert faktisch einen Kombilohn als Mindestlohn. Der Mindestlohn muß über dem durchschnittlichen ALG-II-Niveau liegen, nicht darunter. Es muß zudem gefordert werden, daß für Erwerbslose jede Arbeit unzumutbar ist, mit der man nicht unabhängig von ALG II leben kann. Alles andere würde bedeuten, für die Ausdehnung von Kombilöhnen einzutreten. Der Mindestlohn muß aber auch über der Pfändungsfreigrenze von 990 Euro liegen. Es wäre ein schlechter Witz, wenn ein Mindestlohn unter der Grenze liegt, unter der nicht mal gepfändet werden darf, wie es der DGB vorsieht. Bei einer 38,5 Stundenwoche liegen alle Stundenlöhne unter 8,60 Euro oder unter 1.450 Euro brutto im Monat unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Das trifft auch auf die 8 Euro brutto zu, die von der Linkspartei gefordert werden. Der Frankfurter Appell tritt für mindestens zehn Euro brutto ein. Das entspricht der Forderung von ver.di aus dem Jahr 2000, fortgeschrieben mit der Inflationsrate. Ver.di hat im Jahr 2000 noch 3000 DM brutto gefordert. Das waren 1.534 Euro brutto. Seither sind 5 Jahre vergangen. Hochgerechnet mit 8 Prozent Inflationsrate, kommen wir auf heute 1.656 Euro oder eben zehn Euro brutto bei einer 38,5 Stundenwoche. Die Gewerkschaft NGG (Nahrung, genuß, Gaststätten) hält an einem auf 1.500 Euro brutto umgerechneten und abgerundeten Mindestlohn fest. Während bei Tariflohnforderungen üblicherweise wenigstens ein Inflationsausgleich gefordert wird plus der Beteiligung am Produktivitätszuwachs, scheint das für NGG beim gesetzlichen Mindestlohn nicht zu gelten. Im Baugewerbe jedenfalls gilt ein Mindestlohn von zehn Euro brutto für ungelernte Kräfte. Warum soll es anderswo anders sein? Ver.di hat die eigene Mindestlohnforderung seit 2000 um 25 Prozent auf 1.250 Euro brutto gekürzt. Die Linkspartei hat mit ihren 8 Euro brutto die alte Forderung um 20 Prozent auf 1.336 Euro gekürzt. Die Mindestlohnforderung dermaßen abzusenken, steht in einem krassen Mißverhältniss dazu, daß man sich so massiv über die zu niedrige Binnennachfrage beklagt. Die ver.di-Führung, die ihre eigene Mindestlohnforderung so zusammengestrichen hat, nimmt das offensichtlich selber gar nicht so ernst. Das Argument mit der Binnennachfrage scheint mehr dem irrationalen Dogma vom immerwährenden Wirtschaftswachstum geschuldet zu sein. Es gibt für sie stärkere Beweggründe als die Binnennachfrage. Maßstab ist eher die internationale Konkurrenzfähigkeit. Da wird die nationalistische Komponente deutscher Gewerkschaftspolitik deutlich. Denn 7,50 Euro ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Frankreich und Großbritannien, die beide höhere Mindestlöhne aufweisen. 7,50 Euro sind ein Zugeständnis an das Kapital und ein Zugeständnis auch an die SPD, um diese Hartz-IV-Partei zu gewinnen. Bekanntlich sind aber gewerkschaftliche Lohnforderungen noch nie eins zu eins umgesetzt worden. Wer 7,50 Euro verlangt, kann möglicherweise mit sechs Euro abgespeist werden - wenn das Kapital und seine Parteien einen gesetzlichen Mindestlohn nicht mehr verhindern können. Wer an den früheren Forderungen von ver.di, NGG und IG BAU festhalten will, der muß heute für zehn Euro brutto eintreten. Dennoch erscheinen zehn Euro als hoch, weil jeder sechste Vollzeitbeschäftigte in Westdeutschland mit seinem Lohn darunter liegt. Daß die "schwarz-rote" Bundesregierung die Pläne des Kapitals nur zögernd umsetzt und sogar über gesetzliche Mindestlöhne redet, ist in erster Linie Ergebnis des Widerstands. Die LohnarbeiterInnen, seien sie beschäftigt oder arbeitslos, sollten ihre Kraft nicht unterschätzen. Wie das Beispiel Frankreich - mal von der grotesken Präsidentschaftswahl abgesehen - zeigt, ist es möglich, ein ganzes Gesetz zu Fall zu bringen, wenn Millionen energisch auf die Straße gehen. Zurück zur Übersichtsseite 'Redebeiträge' Zurück zur HAUPTSEITE
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