MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 30.04.07

Hungertod eines Arbeitslosen in Speyer

Der 'stern' berichtet über die "tödliche Logik" von Hartz IV

In der Ausgabe des 'stern' vom 19. April berichtet Rudolf Stumberger aus Speyer vom Hungertod eines Hartz-IV-Betroffenen, der sicherlich noch leben würde, wenn Hartz IV hätte verhindert werden können.

Recht bald schon wird vermutlich die alleinige Verantwortung dem Opfer selbst in die Schuhe geschoben werden. Von Seiten der Behörden heißt es schon jetzt, der Mann sei psychisch krank gewesen und habe auf Behördenschreiben nicht reagiert. In einer Presseinformation der Stadt Speyer ist zu lesen, daß die zuständige Behörde, die GFA, sich um den 20-jährigen Arbeitslosen und seine Mutter "sehr bemüht" habe. Die Konsequenz der "Bemühungen" hatte darin gegipfelt, daß den beiden bereits zum Jahreswechsel die finanziellen Zuwendungen - Arbeitslosengeld II - völlig gestrichen wurden. Zuvor habe sich die GFA bemüht, dem jungen Mann Praktikumsplätze anzubieten oder der Mutter einen Ein-Euro-Job zu vermitteln. Der nun Verhungerte habe allerdings die Angebote nicht angenommen und auch nicht auf die Aufforderung reagiert, beim zuständigen "Fallmanager" vorzusprechen. Auch auf eine Vorladung zur Erstellung eines psychologischen Gutachtens habe er nicht reagierte. Weiter bestanden die Bemühungen der GFA dann darin, die Zahlungen zunächst um 10 Prozent, dann um 30 Prozent zu kürzen. Ende des Jahres wurden die Zahlungen schließlich vollständig eingestellt.

Sämtliche "Bemühungen" hatten also in bedruckten Papier bestanden. Schumberger und dem 'stern' kommt das Verdienst zu, den Skandal auch all denen zu verdeutlichen, die es bis hier noch nicht begriffen haben oder begreifen wollen: "Und der Skandal wird erst dann deutlich, wenn man Hartz-IV mit der Sozialhilfe vergleicht. Denn das Todesopfer bezog bis zum 31. Dezember 2004 Sozialhilfe, danach kam Hartz IV. Das wiederum bedeutete, daß die zuständigen Sozialarbeiter ihre Klientel zu Hause besuchten, sich ein Bild von den Hilfebedürftigen machten und mitbekamen, wie sie lebten. Darüber hinaus verpflichtete das Sozialhilfegesetz die Behörde, auch dann tätig zu werden, wenn ihr ein Tatbestand der Hilfebedürftigkeit - wie auch immer - bekannt wurde." Schumberger zitiert aus dem alten Gesetzestext: "Die Sozialhilfe setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, daß die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen." Die Sozialhilfe verkörperte also die Pflicht des Trägers zur öffentlichen Fürsorge, zur Hilfeleistung - auch wenn niemand einen Antrag gestellt hatte.

Dies alles gilt nicht mehr seit Hartz IV, jedenfalls für diejenigen Hilfsbedürftigen, die drei Stunden am Tag arbeiten können. Ohne Antrag - der alle sechs Monate zu stellen ist - kein Hilfeleistungen. Statt dem direkten Kontakt mit einem Sozialarbeiter, der die Verhältnisse vor Ort kannte und einzuschätzen wußte, urteilt nun ein Sachbearbeiter vom Schreibtisch aus und seine "Bemühungen" haben die Form von amtlichen Bescheiden. Statt Betreuung durch den allgemeinen Sozialdienst steht bei Hartz IV höchstens der Besuch durch den "Sozialdedektiv", der dem "Sozialbetrug" auf der Spur ist. Statt Kontakt mit Menschen gibt es bei Hartz IV Kontakt mit einer überforderten Behörde - die anonyme Automatenstimme, die einem bei einem Telefonanruf dort entgegenschallt, ist Symbol dafür.

Schumberger läßt auch den Bereichsleiter der GFA, Hans Grohe, zu Wort kommen: Außer bei Verdacht auf Sozialbetrug "haben wir keine Möglichkeit, Wohnungen aufzusuchen." Man werde tätig und informiere den Sozialdienst, wenn Hinweise zum Beispiel auf Verwahrlosung vorlägen, aber in diesem Fall habe es keine Hinweise gegeben. Nach Ansicht des Sozialdezernenten von Speyer, Hanspeter Brohm, brachte Hartz IV eine "totale Änderung", eine Betreuung wie bei der Sozialhilfe sei nun nicht mehr gegeben.

Hartz IV hat das Prinzip der Fürsorge durch das Prinzip der bürokratischen Verwaltung ersetzt. Wer sich nicht um sich selbst kümmert, um den kümmert sich amtlich keiner mehr. Der junge Mann war bis zur Einführung von Hartz IV in einer Reha-Maßnahme vom Sozialamt betreut worden. Der Sozialhilfebezug hätte für das 20-jährige Todesopfer aus Speyer die Chance einer Hilfestellung durch den zuständigen Sozialarbeiter bedeutet. Hartz IV aber hieß für ihn: Eine Serie von papierenen Bescheiden - bis zum Tod.

Der 20jähriger Arbeitslose wurde am Sonntag, 15. April, verhungert in der Wohnung seiner Mutter aufgefunden. Die 48-jährige Frau selbst wurde mit Mangelerscheinungen in eine Klinik eingeliefert. Der stark abgemagerte arbeitslose Sohn hatte offensichtlich seit Monaten keine ausreichende Nahrung zu sich genommen. Als Todesursache wurde Herz-Kreislaufversagen festgestellt. Die Mutter hatte angegeben, sie hätten nicht mehr genug Geld gehabt, um Lebensmittel zu kaufen. Daß in Deutschland Arbeitslose an Hunger zugrunde gehen, gab es zuletzt während der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre und in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen, lautet die Quintessenz der von "Rot-Grün" eingeführten Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze. In Speyer konnte Hartz-IV auf grausige Weise seine tödliche Logik beweisen:

Oder wie Rudolf Stumberger es formuliert: "Das Gesetz, das als Hartz-IV bekannt ist, trägt nicht nur den Namen eines rechtskräftig verurteilen Straftäters, sondern kann auch zum Tode führen."

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