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Sozialabbau und Rentenklau
von Klaus Schramm Zum aktuellen Beschluß des Merkel-Kabinetts, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufzusetzen Der Gesetzentwurf sieht eine schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre zwischen 2012 und 2029 vor. Jedes Jahr, das ArbeiterInnen früher in Rente gehen, bedeutet dann eine faktische Rentenkürzung um 3,6 Prozent. Zugleich tritt kurzfristig eine Stichtagsregelung zur Altersteilzeit in Kraft, die zu erheblichen Verschlechterungen bei den Betroffenen führt. Wenn Oskar Lafontaine einmal nicht in den Mainstream-Medien zitiert wird, war es wahrscheinlich nicht so falsch, was er gesagt hat. Ich zitiere deshalb aus seiner gestrigen Pressemitteilung: "Es ist jetzt regierungsamtlich: Die Bundesregierung schröpft das Volk, während sie den Unternehmen und vornehmlich den großen Konzernen Milliarden in die Taschen stopft. Die verheerende Entwicklung der Einkommen der privaten Haushalte, die seit 1991 real um zwei Prozent gesunken sind, ist das Ergebnis der Politik der letzten Jahre. Dem Volk werden mit Mehrwertsteuererhöhung, Halbierung des Sparerfreibetrages, Abschaffung der Eigenheimzulage, Senkung der Entfernungspauschale sowie dem Anstieg der Beiträge zur Renten- und zur Krankenversicherung allein 2007 rund 30 Milliarden Euro genommen. Dieses Geld wird mit der Unternehmenssteuerreform ein Jahr später in die Kassen der Konzerne umgeleitet. Das ist ein sozialer Skandal und ökonomisch widersinnig. Wie Rot-Grün setzt Schwarz-Rot die Umverteilung von unten nach oben in brutaler Weise fort." Ich ergänze - es ist noch krasser. JedeR von uns kann sich die Zahlen anhand der offiziellen Angaben des Statistischen Bundesamtes nachrechnen. Durch die Steuerreform der "rot-grünen" Bundesregierung wurden ab 2001 jedes Jahr - ich betone: jährlich! - über 20 Milliarden Euro verschenkt. Die jährlichen Steuereinbußen - vergleichen mit den Steuereinnahmen der Jahre vor 2000 - setzen sich zusammen aus den Minderungen bei Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Zinsabschlagsteuer, Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer. Das sind bis inklusive des Jahres 2006 mehr als 120 Milliarden Euro Umverteilung von Unten nach Oben. Und auf der anderen Seite ist es ebenso krasser als Lafontaine schildert. Er nennt nur die Zahl von rund 2 Prozent, um die die Einkommen der privaten Haushalte insgesamt seit 1991 real gesunken sind. Die Einnahmen der ArbeitnehmerInnen sind in diesem Zeitraum real um rund 5 Prozent gesunken. Und in nur 11 Jahren - andere Zahlen habe ich gerade nicht zur Verfügung - stiegen die Unternehmensgewinne real - also ebenso unter Einberechnung der Teuerungsrate - um über 40 Prozent. Während 7 Prozent aller Haushalte überschuldet sind. 365.000 deutsche MillionärInnen - also knapp ein halbes Prozent der Bevölkerung - besitzen 26 Prozent des gesamten Geldvermögens. Und denen stehen 50 Prozent gegenüber, die zusammen ganze 4,5 Prozent des Geldvermögens ihr eigen nennen können.
Tatsächlich erhalten bereits heute 98 Prozent der Rentnerinnen eine Renten unter 900 Euro - also unter der Pfändungsfreigrenze. 62 Prozent sogar unter 450 Euro. Von den Rentnern erhalten immerhin die Hälfte unter 900 Euro.
Die Aufspaltung in Oben und Unten wurde unter "Rot-Grün" in den Jahren von 1998 bis 2005 exorbitant beschleunigt. Die pseudo-grüne Partei bemüht sich derzeit sehr darum, ihr unglaubwürdig gewordenes Umwelt-Image aufzupolieren - die EU-Verfassungs-Befürworterin und Atomkonsens-Propagandistin Rebecca Harms und der Bundes-Co-Vorsitzende Reinhard Bütikofer hüpften bei den CASTOR-Blockaden vor drei Wochen nach jahrelanger Abstinenz plötzlich wieder im Wendland herum, allerdings nicht, um sich auf die Straße oder die Schienen zu setzen, sondern - ich hab's mit eigenen Augen gesehen - fünf Schritte links, zehn Schritte rechts, zwei Schritte links - immer dem Mikrofon hinterher. Aber: bei der aktuellen Kürzung der Renten zeigen sie nach wie vor ihr wahres Gesicht: Als Stellvertreterin der Pseudo-Grünen im Bundestag stellte sich die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk hinter die Pläne der "schwarz-roten" Koalition. Die "Grünen" teilten die Ansicht, so Schewe-Gerigk, daß die Anhebung des Rentenalters tatsächlich ein Weg sei, die steigenden Kosten durch "die älter werdende Gesellschaft" aufzufangen. Doch eine Lüge wird nicht dadurch besser, daß sie nochmals und nochmals wiederholt wird. Das Argument von der älter werdenden Gesellschaft hält keiner ernsthaften Überprüfung stand: Es wird der Eindruck erweckt, die "Rentenreform" - de facto: Rentenkürzungen - seien wegen der "Überalterung" der Gesellschaft zwingend notwendig. Verschwiegen werden dabei zwei Fakten. Auch schon vor Jahrzehnten verschlechterte sich das Zahlenverhältnis zwischen beitragszahlenden Erwerbstätigen auf der einen und RentnerInnen auf der anderen Seite. Doch dem stand und steht auch heute ein weit größerer Zuwachs bei der Produktivität gegenüber. Vereinfacht gesprochen: Wenn sich der Kuchen verdreifacht, können auch locker doppelt so viele RentnerInnen mit durchgefüttert werden. Das war früher so und wäre auch heute weiterhin möglich. Daß es nicht gewollt ist, hat ganz andere Gründe als die vorgeschobene "Überalterung". Der zweite Fakt - und da kommen wir den tatsächlichen Gründen - schon ein Stück näher - der heute verschwiegen wird, ist, daß über die Rentenkassen seinerzeit die deutsche Einheit finanziert wurde. Eine weitere Tatsache ist, daß die Arbeitslosigkeit gewollt ist. Von den offiziell vier bis fünf Millionen Arbeitslosen - real 7,7 Millionen - sind über eine Million unter 25 Jahre alt. Es gäbe keine sogenannte Misere in den Sozialkassen, wenn die Löhne in den letzten 15 Jahren nicht real gesunken wären, sondern wenigstens in dem Maße gestiegen wie in den Jahren zuvor - wenn schon nicht nach Maßgabe des Wirtschaftswachstums oder gar nach Maßgabe des Produktivitätszuwachses. Außerdem ließe sich die Sicherheit der Renten politisch auch so bewerkstelligen, daß für jedes Kind ein Kindergeld ausgezahlt würde, das die tatsächlichen Kosten in einem Durchschnittshaushalt kompensiert und weiter freie Krippenplätze sowie die Rückkehr in den Beruf nach der Erziehungszeit verbürgt wären. In der von den Mainstream-Medien gelenkten Renten-Debatte werden politische Entscheidungen und soziale Sachverhalte umgebogen und umgelogen in einen angeblich biologischen Tatbestand. MeinungesmacherInnen, Pseudo-WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und die auftraggebende Wirtschaft versuchen so, einer unter politischer Amnesie leidenden Bevölkerung weiterhin ein X für ein U vorzumachen. Doch die Mehrheit der Deutschen betet brav allen Unsinn nach und glaubt treudoof, daß die gesellschaftliche Stellung jeweils den individuellen Fähigkeiten entspreche. Sie glaubt treudoof, daß sie selbst schuld sei an der strukturellen Ungerechtigkeit der Gesellschaft. Die Mehrheit der Deutschen fühlt sich sogar frei - offenbar, weil sie die Worte schlicht und einfach vergessen hat, mit denen unsere gegenwärtige Unfreiheit beschrieben werden müßte.
Einer der profiliertesten Propagandisten des Neoliberalismus ist der sogenannte Wirtschaftsexperte Bernd Raffelhüschen. Immerhin sagt er ganz offen, was sich die meisten PolitikerInnen noch nicht zu sagen trauen:
Auch er versteht es - wie die Mainstream-Medien uns einzureden versuchen - "komplizierte Sachverhalte in einfachen Worten auszudrücken und mit Witz zu verbinden". Und auch er beginnt jeden seiner Vorträge mit dem Hinweis: "Die Deutschen werden immer älter und es gibt immer weniger Junge." Eine unbestreitbare Tatsache. Zur Lüge wird das Ganze erst - wie ich eingangs schon darlegte - wenn er das auf 2030 hochrechnet: "Zwei Drittel der Menschen von heute müssen dann zwei Mal so vielen Menschen wie heute die Rente finanzieren" und dann als "demografischen Orkan" bezeichnet. So versucht er den Menschen Angst zu machen, um sie für den Abschluß privater Rentenversicherungen weichzuklopfen - woran - honi soit qui mal y pense - wiederum die Sparkassen und Volksbanken ihr Scherflein verdienen. Längst wird auch von vielen sogenannten RentenexpertInnen umstandslos erklärt, die BeitragszahlerInnen dürften nicht erwarten, mehr ausgezahlt zu bekommen als sie einbezahlt haben. Das ist so dreist, daß viele gar nicht begreifen, was das bedeutet. Stellt Euch mal vor, eine Bank erklärt Euch: Sie dürfen aber nicht erwarten, daß Sie für Ihr Guthaben Zinsen bekommen. Tatsächlich ist das heute bereits bei den meisten Rentnern und insbesondere den Rentnerinnen der Fall, daß sie an Rente weniger herausbekommen als sie über die Jahre hin einbezahlt haben. Wie sieht die Bilanz für RentnerInnen mit der Durchschnittsrente von 831 Euro aus? Die durchschnittliche Lebenserwartung von Arbeiterinnen liegt heute bei 70 Jahren, von Arbeitern bei 68,5 Jahren. Wenn das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht wird, muß entweder die Durchschnittslebensdauer kräftig ansteigen oder - für viele war die Einzahlung der Rentenbeiträge für die Katz. Minusrente? Für viele läuft es auf eine nahezu vollständige Enteignung hinaus. Gehen wir zur Berechnung mal von vier Jahren Rente - zwischen 65 und dem Tod mit 69 Jahren - aus. Also bei jenen, die noch vor 2012 65 Jahre alt werden! Bei der Durchschnittsrente werden also 4 mal 12 mal 831 Euro ausbezahlt. Das sind 39.888 Euro. Dem stehen einbezahlte Rentenbeiträge von - ohne Zinsen - insgesamt rund 100.000 Euro gegenüber. Ein Minus von rund 60.000 Euro. Inzwischen ist nun der Sozialverband Deutschland (SoVD) aufgewacht und bezeichnet den Kabinettsbeschluß zur Rente mit 67 klipp und klar als "Rentenkürzungsprogramm". Er weist zudem darauf hin, daß ältere ArbeitnehmerInnen auf absehbare Zeit schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Der Präsident des SoVD, Adolf Bauer, kritisierte, für Ältere bedeute die Rente mit 67, daß sie wegen der schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt noch länger arbeitslos sein werden, bevor sie mit hohen Abschlägen in Rente gehen könnten. "Wir befürchten, daß die Rente mit 67 zu einem Anstieg der Vorruhestandsarmut führt", sagte Bauer. Die Regelung benachteilige außerdem Menschen mit schwerer körperlicher Arbeit, da sie kaum bis zum 67. Lebensjahr arbeiten könnten. Laut einer aktuellen Umfrage von Emnid sagen 80 Prozent der Befragten zwischen 30 und 39, sie wollen nicht bis 67 arbeiten. Fast drei viertel aller Befragten möchten nicht bis zum 67. Lebensjahr arbeiten, sondern vorzeitig in den Ruhestand gehen. Das "Wunschrentenalter" von 72 Prozent der Befragten liegt bei 60 Jahren. Auch wenn die Umfrage von einem Versicherungs-Konzern in Auftrag gegeben wurde, ist dieses Ergebnis glaubwürdig. Die Veröffentlichung der Zahlen wurde jedoch mit der Interpretation verknüpft, daß "sich durch die Anhebung des Rentenalters auf 67 das Bewußtsein der Bürger über die Notwendigkeit zur Eigenverantwortung weiter verstärkt" habe. Werbung wird hier ersetzt durch das was heutzutage "Anreize setzen" heißt - also nichts anderes als: Druck machen. Für die Linkspartei gab bereits letzte Woche deren Renten-Experte Volker Schneider die nicht mehr ganz neue Parole zu Protokoll: Rente mit 67 ist staatlich verordnete Altersarmut. Zugleich jedoch bezieht er sich positiv auf das vorgebliche Ziel der "schwarz-roten" Bundesregierung, die Renten "armutsfest" zu machen.
Immerhin nennt er konkrete Zahlen:
Müntefering, unser Vizekanzler mit dem roten Schal rühmt sich nun, das Rentenniveau werde Dank dieser "Reform" dauerhaft bei 46 Prozent zu halten sein.
Ein kleiner geschichtlicher Rückblick: Die gesetzliche Rente, die im 19. Jahrhundert von den Gewerkschaften und der damals noch real sozialdemokratischen Partei gegen den damaligen Kanzler Bismarck 1889 erkämpft wurde, wird seit den 1970er Jahren Schritt für Schritt zerstört. Bismarck hatte gehofft, mit der Einführung der Invaliden- und Altersversicherung "in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung (...) erzeugen zu [können], welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt." Dies war ihm nicht vergönnt. Es dauerte immerhin bis 1914 bis die SPD durch innere Korruption zerstört werden konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das alte System der Sozialversicherungen auf die BRD übertragen. Die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens wurden jedoch nicht umgesetzt, wonach ein einheitliches Sozialversicherungssystem für ganz Deutschland geschaffen werden sollte, in welchem die Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten "ohne Rücksicht auf die Höhe des Einkommens" abgeschafft werden sollten. 1956 entsprach die Durchschnittsrente nur einem Drittel des Arbeitslohns. Durch den Druck der Gewerkschaften (nicht durch einen imaginären Einfluß der "Systemkonkurrenz" - wie von altlinker Seite immer wieder behauptet wird) konnte 1957 die dynamische Rente durchgesetzt werden. CDU und SPD stellten sich zwar - im Vergleich zu heute - als sozial dar, hatten aber lediglich die Funktion, den zwischen den Kräften von Kapital und Arbeit austarierten Kompromiß in Gesetzesform zu gießen. Von nun an wurde das Rentenniveau stetig angeglichen und erreichte in den 1970er Jahren mit einer Rentenhöhe von rund 70 Prozent des Nettolohns den Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Klassengesellschaft der Kaiserzeit und der Weimarer Zeit hatte sich tatsächlich in eine "nivellierte" - und entsolidarisierte - Schichtengesellschaft transformiert. Doch der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital war in der "Mittelstandsgesellschaft" (Helmut Schelsky) nicht aufgehoben, sondern nur verschleiert. Die Wende kam mit der Wirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre (und nicht etwa wie von altlinker Seite nicht selten behauptet mit dem Fall der Mauer 1989). Hohe Produktivitätszuwächse hatten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf die damals erschreckende Zahl von über einer Million geführt. SPD-Kanzler Helmut Schmidt gewann die Wahl 1976 unter anderem mit dem Versprechen, die Renten seien sicher. Zu dieser Aussage sah er sich wegen verbreiteter Zweifel angesichts rückläufiger Beitragszahlungen genötigt. Doch bereits wenige Wochen nach dem Wahlsieg - RentnerInnen waren weit überwiegend Unions-WählerInnen - beschloß die "rot-gelbe" Regierung, die anstehende Rentenerhöhung um ein halbes Jahr zu verschieben. Und in den folgenden Jahren sanken die Rentenanpassungen von Jahr zu Jahr. Unter der "schwarz-gelben" Regierung des CDU-Kanzlers Helmut Kohl wurden die Renten 1983 durch die Einführung der Krankenversicherungspflicht für RentnerInnen unsichtbar gekürzt. Ihr Wahlverhalten hatte den RentnerInnen also nichts genützt. Scheibchen für Scheibchen wurden die Leistungen in den folgenden Jahren weiter gekürzt. Immerhin stiegen die Renten noch real - wenn auch nicht mehr gekoppelt an die Lohnentwicklung. So ließen sich die Menschen den schleichenden Einstieg in den Sozialabbau gefallen. Doch die Zweifel an der "Stabilität" des Systems wuchsen. So sah sich "Arbeits"-Minister Norbert Blüm 1997 gezwungen, einmal mehr die Sicherheit der Rente zu beschwören, während er zugleich den "demographischen Faktor" in die Rentenformel einbaute. So lange also wird bereits mit dem Argument von der "Überalterung" der Gesellschaft versucht, die Menschen zu belügen. "Die Rente ist sicher", erklärte Blüm. Es wurde damals zwar gescherzt, "Arbeits"-Minister Norbert Blüm, der sich zu solcher Rede genötigt sah, meine lediglich seine eigene Rente. So richtig ernst nahm vor 10 Jahren noch kaum jemand das Thema. Dieser "demographischen Faktor" führte dann ab 1999 (ab 1998 regierte dann "Rot-Grün") dazu, daß die Renten noch langsamer stiegen - unter Berücksichtigung der Preissteigerung sanken sie real in den meisten der letzten Jahre. Beim sogenannten "Eckrentner" (einer Berechnungsgröße) sank bezogen auf 45 Versicherungsjahre das Rentenniveau von 70 auf 64 Prozent des Nettolohns. 1998 konnte der SPD-Kanzlerkandidat und niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schöder die deutschen RentnerInnen im Wahlkampf mit dem Versprechen ködern, den demographischen Faktor rückgängig zu machen, die Kürzung der Renten sei "unanständig". Doch statt einer Verbesserung wurde es schlimmer. Der Blüm-Faktor blieb bestehen und "Rot-Grün" weitete den Sozialabbau unter dem Schlagwort "Reform" aus. In einer "Jahrhundertreform" wurde festgelegt, daß die Beiträge zu Rentenversicherung bis 2020 maximal auf 20 Prozent, bis 2030 maximal auf 22 Prozent steigen dürfen. Ein Geschenk ans Kapital und ein Versprechen auf Arbeitsplatzzuwächse durch Senkung der Lohnnebenkosten. Flankiert wurde diese weitere Demontage durch die Einführung der Riester-Rente. Mit der "rot-grünen" Koalition und der Einbindung der Gewerkschaften mit Hilfe von Herrn Riester, war es möglich, die Enteignung über das undurchsichtige Modell der "Riester-Rente" zu verschleiern. Die Versicherten sollen nun eine zusätzliche, alleine und nicht mehr paritätisch (das heißt je zur Hälfte von Kapital und Arbeit) finanzierte, private Rentenversicherung abschließen. Hierzu sollen sie 0,5 Prozent des Bruttolohns im Jahr 2001, 1 Prozent im Jahr 2001, 1,5 Prozent im Jahr 2002 und ansteigend in jedem Jahr um 0,5 Prozent bis auf 4 Prozent im Jahr 2008 einbezahlen. Alles immer schön sachte nach der Methode "Frosch im Kochtopf". Aus Steuermitteln soll der Staat bis zu 50 Prozent - maximal aber nur 400 Euro - dazuzahlen. Nach den Plänen der "rot-grünen" Bundesregierung werden dann im Jahr 2030 die Versicherten 15 Prozent, die Unternehmen jedoch nur maximal 11 Prozent aufbringen. Eine paritätische Finanzierung zu 11,8 Prozent wurde als "nicht finanzierbar" dargestellt. Damit war die Aufgabe der paritätischen Finanzierung der Renten besiegelt. Mit einem weiteren schleichenden Umbau hin zur privat finanzierten Rente ist zu rechnen. Weiter wurde die "Jahrhundertreform" durch folgende zusätzliche Regelungen unübersichtlich und schwer zu durchschauen gestaltet: Mit einem Ausgleichsfaktor für "Neurentner" sollte ab 2011 ein jährlicher Abschlag von 0,3 Prozent bis insgesamt 6 Prozent im Jahr 2030 eingeführt werden. Dieser Abschlag würde dann bereits zu einer Absenkung des Rentenniveaus auf 61 Prozent führen. Und außerdem ist vorgesehen, einen "Altersvorsorgeanteil" (Riester-Faktor) in die Rentenformel einzufügen. Damit werden dann - unabhängig davon, ob sich die Leute eine private Rentenversicherung überhaupt leisten können - fiktive Aufwendungen für diese vorweg vom Einkommen abgezogen. Auch dies ein "Anreiz", die nicht gerade euphorisch angenommene "Riester-Rente" den Menschen aufzuzwingen. Real führte dies zu einem weiteren Abschlag von der jährlichen Rentenanpassung. Unterm Strich hätte ist diese "Reform" also zu einer tieferen Absenkung geführt als der, die in Folge von Blüms "demographischem Faktor" gedroht hatte. Doch da regte sich Widerstand. RentnerInnen gingen massenhaft auf die Straße. Mehrere Gewerkschaftsführer kritisierten Riester und warnten vor koordinierten Kampfmaßnahmen. Die Gewerkschaftsbasis machte Druck. Doch bereits im Sommer 2000 signalisierte die DGB-Führung Gesprächsbereitschaft - lediglich nach außen gab sich der DGB kämpferisch. Der damalige IGM-Vorsitzende Zwickel und Vorstandsmitglied Schmitthenner kritisierten Schröder und Riester öffentlich. Das gesamte Rentenkonzept sei "gänzlich inakzeptabel". Doch kurz vor Weihnachte 2000 handelten Schröder, Riester und einige wenige Gewerkschaftsfunktionäre einen Kompromiß aus. Die IG Metall verteilte daraufhin Handzettel, auf denen es hieß: "Das kann sich sehen lassen! Der Ausgleichsfaktor ist vom Tisch. Es bleibt dauerhaft bei einem Rentenniveau von 67 Prozent." Das 'Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften' kommentierte dies im Frühjahr 2001: "Zehntausende haben sich seit November letzten Jahres zu Protestversammlungen in Betrieben und zu Kundgebungen in der Öffentlichkeit versammelt. Trotz der Regierungspropaganda, trotz der Vernebelung durch die Medien und trotz der voreiligen Absegnung der Riesterpläne durch den DGB-Vorsitzenden und andere. Entgegen der Darstellung von DGB und IG Metall wurden den Rentenplänen der Regierung an keiner einzigen wichtigen Stelle die 'Giftzähne' gezogen. (...) Trotz dieses bisher nie dagewesenen An- und Eingriffs in die wichtigste Säule unseres Sozialversicherungssystems hat die Regierung mit den Vorsitzenden der IG Metall, IG BCE, DAG und ÖTV vor Weihnachten Einigung erzielt. Dies widerspricht der Beschlußlage fast aller DGB-Gewerkschaften." Damit war der Umbau des Rentensystems und der Einstieg zur Privatisierung der Rente durchgesetzt. Und seitdem gehen die Rentenkürzungen unvermindert weiter: Abschaffung der Berufsunfähigkeitsrente, Erschwerung des Zugangs zur Erwerbsminderungsrente, Belastung der Betriebsrenten mit dem vollen Beitragssatz für die Krankenversicherung, Übergang zur "nachgelagerten Rentenbesteuerung" (also eine verdeckte Steuererhöhung), Belastung der Renten mit dem vollen Beitragssatz zur Pflegeversicherung, Wegfall der Anrechnungszeiten für Schul- und Hochschulausbildung, Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung von 0,9 Prozent für Zahnersatz und Krankengeld und schließlich Nullrunden in den kommenden Jahren für einen sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor, wonach potentielle Rentenkürzungen mit potentiellen Rentenerhöhungen verrechnet werden sollen. Real werden damit die Renten Jahr für Jahr weiter abgesenkt. Vor einem Jahr hieß es noch von einigen Experten pessimistisch: Nach ihren Berechnungen sei nunmehr ein Rentenniveau von 52 Prozent im Jahr 2030 programmiert. Und nun stellt sich dieser Müntefering hin und erklärt kackfrech, ihm sei zu verdanken, daß das Rentenniveau dauerhaft bei 46 Prozent bleibe. Ohne ihn als Verteidiger unserer Rechte, hätten wir ja mit noch Schlimmerem rechnen müssen... Wenn er damit durchkommt, wird er noch frecher!
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