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Sozialabbau und Arbeitsplätze
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Verfasser des folgenden Textes, der bei der Montags-Demo in Freiburg vorgetragen wurde, ist Jonna Schürkes* Immer mehr Menschen sehen sich aufgrund fehlender Berufschancen gezwungen, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten und damit an riskanten Auslandseinsätzen teilzunehmen. Damit ist auch in diesem Bereich unserer Gesellschaft eine Abwälzung der Risiken auf sozial Schwache und Marginalisierte zugunsten derjenigen zu beobachten, die sich aufgrund ihrer Herkunft ohnehin schon weniger Risiken ausgesetzt sehen. Der Zusammenhang zwischen wachsender Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, Sozialabbau und zunehmenden Bundeswehreinsätzen im Ausland lässt sich nicht nur durch steigende Militärausgaben bei gleichzeitig sinkenden Sozialausgaben herstellen, wie dies im Allgemeinen geschieht. Diejenigen, denen die Sozialausgaben gekürzt werden, sind oft auch die, die bei Einsätzen im Ausland ihr Leben riskieren und die möglicherweise erst durch diese Kürzung dazu gezwungen werden. Gleichzeitig stoßen die Auslandseinsätze der Bundeswehr auf zunehmenden Widerstand. Eine Befragung der ARD ergab, dass der Kongoeinsatz von 59 Prozent der deutschen Bevölkerung abgelehnt wird.[1] Auch die betroffenen Soldaten sind von dem Sinn des Einsatzes nicht überzeugt.[2] Ebenso sprachen sich laut einer Emnid-Umfrage 64 Prozent der Befragten gegen den Einsatz im Libanon aus.[3] Aufschlussreich sind auch die jüngsten Ergebnisse einer Studie des German Marshall Fund. Demnach wollen 65% der Deutschen der Aussage: "Die Europäische Union sollte ihre militärische Macht ausbauen, um eine größere Rolle in der Welt zu spielen" nicht zustimmen.[4] Trotz der Ablehnung durch die Bevölkerung nimmt die Zahl und Intensität der Auslandseinsätze permanent zu und immer mehr Soldaten müssen an solchen Einsätzen teilnehmen. Hier soll zum einen dargestellt werden, warum sich Jugendliche bei der Bundeswehr verpflichten und damit auch an Auslandseinsätzen teilnehmen müssen. Zum anderen soll der Zusammenhang zwischen Sozialabbau und steigenden Bewerbungen bei der Bundeswehr und die Rolle der Agentur für Arbeit in diesem Zusammenhang beleuchtet werden. "Wer berufliche Alternativen hat, geht nicht zur Bundeswehr" Es gibt kaum Studien über die Motivation sich bei der Bundeswehr zu verpflichten bzw. sich freiwillig für Auslandseinsätze zu melden. Nina Leonard klagt in ihrem Lehrbuch Militärsoziologie - eine Einführung: "Zum Soldatenberuf in der Bundesrepublik liegen nur wenige wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse vor. Die Zahl der Arbeiten, die dies anhand eines systematischen theoretischen Zugangs, mittels fundierter methodischer Instrumente und auf einer soliden empirischen Basis tun, ist noch geringer. So steht etwa eine berufssoziologische Analyse des 'Arbeitsplatzes Bundeswehr' nach wie vor aus."[5] Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr führt zwar regelmäßig Umfragen unter Jugendlichen zum Thema "Berufswahl Jugendlicher und Nachwuchswerbung der Bundeswehr" durch, die Ergebnisse der jüngsten Studie stehen jedoch ausschließlich dem Verteidigungsministerium als Auftraggeber zur Verfügung. Es ist aber über die Auswertung älterer Untersuchungen und Befragungen von Auszubildenden und Studenten bei der Bundeswehr möglich, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Die zur Verfügung stehenden Ergebnisse zeigen, dass ein großer Teil der Jugendlichen, die sich bei der Bundeswehr verpflichten, dies vor allem aus ökonomischen Gründen und weniger aus Überzeugung tun (was einer der Gründe sein könnte, warum die Studien nicht öffentlich sind). Im Jahr 2003 konnten sich ca. 30% der männlichen Jugendlichen eine Verpflichtung bei der Bundeswehr vorstellen, wobei über die Hälfte davon dies nur "unter Umständen" tun würde. Dieses "unter Umständen" erklärt sich daraus, dass 30% angeben, sie würden sich verpflichten, da sie keine Möglichkeit sehen, einen anderen Ausbildungsplatz zu bekommen. Über 70% der Jugendlichen, die Interesse am Soldatenberuf haben, geben an, sie würden vor allem aufgrund der Arbeitsplatzsicherheit zur Bundeswehr gehen, fast 60% nennen die guten Einkommensmöglichkeiten als Grund. Im Gegenzug geben fast 90% der Jugendlichen, die sich nicht bei der Bundeswehr verpflichten wollen, hierfür als Grund an, sie könnten mit einem besseren Arbeitsplatz rechnen.[6] Leonhard fasst die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: "Wer berufliche Alternativen hat, geht nicht zur Bundeswehr. [...] Wer über ausreichende berufliche Chancen verfügt, zieht die Möglichkeit, Soldat der Bundeswehr zu werden, gar nicht in Betracht."[7] Ein ähnliches Bild ergibt sich bei denjenigen, die sich verpflichten und bei der Bundeswehr eine Ausbildung machen bzw. an einer Bundeswehr-Universität studieren. Eine Befragung von Studenten der Bundeswehr-Universitäten Hamburg und München aus dem Jahr 2002 kommt zum Ergebnis, dass fast 70% der Studenten den Beruf des Soldaten nicht gewählt hätten, wenn ihnen dadurch nicht ein Studium ermöglicht worden wäre.[8] Der Präsident der Wehrbereichsabteilung Ost, Hinrich Michael Schrömbgens, erklärte im April 2005 in Halle: "[Die Ausbildung bei der Bundeswehr] bietet Jugendlichen eine einmalige Chance auf einen Ausbildungsplatz mit attraktiver Zukunftsperspektive, der anderswo auf dem freien Markt kaum zu finden ist."[9] Von denjenigen, die sich verpflichten, um eine Ausbildung bei der Bundeswehr zu machen, waren 27% laut einer Umfrage von Unteroffizieren aus dem Jahr 2002 zuvor arbeitslos. Zudem, so die Untersuchung, könne man einen Zusammenhang feststellen, zwischen erlebter Arbeitslosigkeit und Verpflichtungszeit: "Wer vor der Bundeswehr arbeitslos war, neigte überrepräsentativ stark zu einer längeren Verpflichtungszeit."[10] Steigende Arbeitslosenzahlen - ein Hoffnungsschimmer für die Bundeswehr Auch wenn die unterschiedlichen Studien und Umfrageergebnisse kaum miteinander zu vergleichen sind, da jedes Mal andere Methoden angewendet wurden, so sind sich diejenigen, die die Studien durchgeführt haben, darüber einig, dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes, das Gehalt und die Weiterbildungsmöglichkeiten an Bedeutung gewonnen haben.[11] Noch im Mai 2000 berichtete die Berliner Zeitung zwar noch von sinkenden Bewerberzahlen, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, dass dies wohl aufgrund der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt kein dauerhaftes Problem der Bundeswehr sein würde. Als Begründung für den Rückgang an Bewerbungen werden die zunehmenden Bundeswehreinsätze im Ausland genannt.[12] Doch nachdem sich die Gesellschaft daran gewöhnt hat, dass deutsche Soldaten in aller Welt unterwegs sind, nehmen die Bewerberzahlen wieder zu. Der Stern meldete im Juni 2005 unter dem Titel "Bundeswehr verzeichnet Zulauf wegen Arbeitslosigkeit", dass die Zahl der Bewerber kontinuierlich ansteigt.[13] Eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt könnte jedoch zu Problemen bei der Nachwuchsgewinntng führen, wie dasselbe Magazin im April 2006 meldete.[14] Für das Jahr 2006 muss die Bundeswehr jedoch nicht damit rechnen, weniger Freiwillige rekrutieren zu können. Wie die Berliner Zeitung im Januar diesen Jahres meldete, werde die Bundeswehr zu einer "Armee der Arbeitslosen". Mehr als jeder Dritte einberufene Wehrpflichtige sei zuvor arbeitslos gemeldet gewesen. Der Run auf die Bundeswehr sei vor allem auf die Lage am Arbeitsmarkt zurückzuführen, so ein Sprecher der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg.[15] Soziale und regionale Unterschiede Die Tatsache, dass sich junge Leute aus ökonomischen Gründen, bzw. aufgrund fehlender Chancen verpflichten, lässt bereits vermuten, dass es sich größtenteils um Jugendliche aus sozial schwachen Familien und mit schlechteren Schulabschlüssen handelt. Allgemeine Daten über die soziale Herkunft von Zeitsoldaten stehen nicht zur Verfügung, wohl aber über diejenigen, die an einer Bundeswehr-Universität studieren. Die oben bereits erwähnte Studie der Bundeswehr Universität Hamburg kommt zu dem Ergebnis, dass Studenten der Bundeswehr-Universitäten in München und Hamburg eher aus sozial schwächeren Familien stammen, als Studenten anderer Universitäten: "[...] der Offizierberuf [bietet] insbesondere für die Studenten aus den mittleren und niedrigen sozialen Herkunftsgruppen Chancen des Aufstiegs."[16] Die Befragung von Unteroffizieren im Jahr 2002 ergab, dass fast 90% einen Hauptschul- (ca.40%) bzw. Realschulabschluss (ca. 50%) hatten, nur etwas mehr als 10% die Fachhochschulreife oder Abitur.[17] "Fasst man die vorliegenden Erkenntnisse zusammen, dann lässt sich sagen, dass die Bundeswehr als Arbeitgeber gegenwärtig in erster Linie für Haupt- und Realschüler mit oftmals geringen beruflichen Alternativen, die sich von der Armee Ausbildungs- bzw. Weiterbildungsmöglichkeiten versprechen, interessant ist. Demgegenüber nehmen viele Abiturienten die Streitkräfte als Beschäftigungsfeld erst gar nicht wahr"[18], so Nina Leonhard in ihrer Untersuchung zum Klientel der Bundeswehr. Es zeigt sich zudem, dass sich vor allem Jugendliche aus Ostdeutschland verpflichten und dies in erster Linie in Regionen, in denen eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht: "Unter den anderen Jugendlichen [die sich eine Verpflichtung bei der Bundeswehr vorstellen können] ist die Bundeswehr vor allem als Arbeit- und Ausbildungsgeber aufgrund der unsicheren Arbeitsmarktlage, der Sicherheit des Arbeitsplatzes und der Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung interessant. Während in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit das Interesse am Soldatenberuf steigt, ist in Gegenden mit guter Arbeitsmarktlage mit Rekrutierungsproblemen zu rechnen."[19] Dabei stehe die Bundeswehr in Konkurrenz mit der privaten Wirtschaft. André Heikenroths Umfrage von Unteroffizieren zeigt, dass die Anzahl der Bewerbungen als Zeitsoldat eng mit der wirtschaftlichen Situation in der Region zusammenhängt. "In den norddeutschen und ostdeutschen Wehrbereichen und Bundesländern besitzt demnach die Bundeswehr - nicht zuletzt wegen der hohen Arbeitslosigkeit - weit größere Anziehungskraft als im wirtschaftlich prosperierenden Südwesten. Hier scheint zwar der Dienst in der Bundeswehr als durchaus vorstellbar, aber angesichts der vielfältigen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten in der privaten Wirtschaft befindet sich die Bundeswehr in dieser Region in einem sehr ausgeprägten Konkurrenzverhältnis mit anderen potentiellen Arbeitgebern."[20] Die Schattenseite des Jobs: Auslandseinsätze Der Wehrdienstberater der Bundeswehr in Neuwied, Lothar Melms wies bei einer Werbeveranstaltung der Bundeswehr auf die Schattenseiten des Soldatenberufs hin: "'Wer Soldat werden will, der muss mobil sein. Und das nicht nur innerhalb Deutschlands - zunehmend wird der Dienst auch im Ausland geleistet.'"[21] Jeder, der sich bei der Bundeswehr verpflichtet, erklärt sich automatisch dazu bereit, an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilzunehmen. "Seit Beginn der 1990er Jahre beteiligt sich die Bundeswehr zunehmend an Auslandseinsätzen: Die Zahl der Einsätze, ihr personeller und materieller Umfang, die Aufgabenstellungen und die daraus resultierende Verantwortung sind dabei kontinuierlich gewachsen [...] die Gefährdung für Leib und Leben der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten [hat sich] vergrößert."[22] Laut dem Bericht des Wehrbeauftragten von 2005 haben bereits mehr als 195.000 Soldaten an Auslandseinsätzen teilgenommen.[23] Die Bundeswehr verfügt derzeit über 254.000 Soldaten, wobei 67.000 Wehrpflichtige sind, die bisher nicht für Auslandseinsätze verpflichtet werden können.[24] Die Wahrscheinlichkeit im Ausland stationiert zu werden ist demnach extrem hoch und steigt weiter. Bis Februar 2006 waren 63 Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen[25], zahlreiche wurden dabei verletzt und die Bundeswehr klagt über immer mehr durch Auslandseinsätze traumatisierte Soldaten.[26] Dass sich angesichts dieser Entwicklung die Begeisterung für den Soldatenberuf in Grenzen hält, ist allzu verständlich. Nun sind dies keine erstaunlichen Erkenntnisse. Man kann sich denken (und wird durch Gespräche mit Personen, die sich bei der Bundeswehr verpflichten darin bestätigt), dass ein großer Teil nicht zur Bundeswehr geht, weil er so scharf darauf ist, irgendwelche "deutsche Interessen" in den verschiedensten Teilen der Welt zu verteidigen und dabei sein Leben zu riskieren oder sich einer Struktur unterzuordnen, in der die eigene Meinung nichts zählt und in der man blind den Befehlen anderer zu gehorchen hat. Die empirisch belegten Erkenntnisse bekommen jedoch angesichts zunehmender Bundeswehreinsätze im Ausland und der damit verbundenen Gefahren für die Bundeswehrsoldaten, vor allem im Lichte von Hartz IV und rasantem Sozialabbau eine zusätzliche Brisanz. Anzeigen der Bundeswehr heben die Vorteile, wie Arbeitsplatzsicherheit, hohes Einkommen etc. hervor. Inzwischen wirbt auch die Agentur für Arbeit mit denselben Argumenten für die Bundeswehr. Die Agentur für Arbeit als Rekrutierungsbüro für die Bundeswehr Das Arbeitsamt vermittelt Arbeitsplätze - auch für die Bundeswehr. Dabei wird meist mit den hervorragenden Weiterbildungsmöglichkeit, der Sicherheit des Arbeitsplatzes und dem hohen Gehalt gelockt. Immer wieder gibt es Veranstaltungen zur Anwerbung von - vor allem jugendlichen - Arbeitslosen, bzw. Schulabgängern, die gemeinsam vom Arbeitsamt und der Bundeswehr organisiert werden.[27] Auf den Protest Bremer Arbeitsloser gegen die Anwerbung von Erwerbslosen für Auslandseinsätze im September 2001, reagierte der Vize-Chef des Arbeitsamtes mit Unverständnis. Die Bundeswehr sei eine ganz normale Firma, mit der man zusammenarbeite.[28] Die Agentur für Arbeit wirbt weiterhin für die Bundeswehr, Protest ist jedoch kaum mehr zu hören. Die Arbeitsagentur in Dessau startete im Juli 2006 gemeinsam mit der Bundeswehr ein Projekt, in dem arbeitslose Jugendliche als Zeitsoldaten gewonnen werden sollen. Auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit heißt es: "Im Agenturbezirk Dessau sind derzeit rund 2.500 Jugendliche unter 25 Jahre arbeitslos. Die Bundeswehr hingegen bietet freie Stellen. Ziel der Kooperationspartner ist es, den Jugendlichen, die sich für vier Jahre bei der Bundeswehr verpflichten, anschließend berufliche Perspektiven in der Region aufzuzeigen."[29] Sowohl die Arbeitsagentur als auch die Bundeswehr freuen sich über die "hervorragende Zusammenarbeit". Die hohen Anwerbezahlen von Zeitsoldaten über die Arbeitsagenturen sei "ein gutes Zeichen für die Motivation von jungen Arbeitslosen in der Region auch nichtalltägliche Chancen bei der Suche nach einer neuen Arbeit zu ergreifen und auch ein prima Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Arbeitsagentur", so der Leiter der Arbeitsagentur in Leipzig.[30] Dass es sich bei diesen "nicht alltäglichen Chancen" um Kriegseinsätze handeln könnte, bei denen Soldaten ihr Leben riskieren um deutsche wirtschafts- oder machtpolitische Interessen durchzusetzen, wird nicht erwähnt. Neben der direkten "Anwerbung", bieten die Agenturen Raum für Rekrutierungsveranstaltungen. Unter dem Titel "Vorbilder mit sicherem Arbeitsplatz", informiert die Agentur in Neuwied über die erfolgreiche Veranstaltung der Bundeswehr im Berufsinformationszentrum. In der Presseerklärung heißt es: "In einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, überhaupt eine interessante Lehrstelle zu finden, schätzen Jugendliche die vielfältigen Möglichkeiten, aber auch die Sicherheit, die ihnen hier geboten wird. [...] Früher mussten junge Leute erst mal schlucken, wenn sie erfuhren, dass ihre Ausbildung bei der Bundeswehr (BW) sie für mindestens acht, falls sie studieren wollten sogar für zwölf Jahren zu Soldaten machen würde. Doch die Zeit, in der diese Verpflichtung eine Hürde war, gehört längst der Vergangenheit an […], erklärt Stabsfeldwebel und Wehrdienstberater Lothar Melms. 'Wo in der freien Wirtschaft bekommt man heute schon eine solche Beschäftigungsgarantie?' [...]"[31] Für eine Informationsveranstaltung in Leipzig wirbt die dortige Agentur: "In Sachsen-Anhalt und Thüringen waren Ende Dezember 2005 ca. 31.500 Jugendliche unter 25 Jahren arbeitslos, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Für das Jahr 2006 hat die Bundeswehr einen erhöhten Bedarf zur Einstellung von Soldaten auf Zeit in der Laufbahn der Mannschaften. Die Einstellung als Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Mannschaften bietet Jugendlichen einerseits für vier Jahre ein gesichertes Einkommen, erweitert ihre sozialen und beruflichen Kompetenzen und entlastet andererseits den Arbeitsmarkt."[32] Im Zusammenhang mit den zunehmenden Auslandseinsätzen der Bundeswehr und dem "Versprechen" einen Großteil der Dienstzeit im Ausland zu verbringen, ist der Hinweis auf die Entlastung des Arbeitsmarktes mehr als zynisch. Das Verheizen von Arbeitslosen im Kongo, in Afghanistan und den zahlreichen anderen Ländern, in denen sich die Bundeswehr in Zukunft "engagieren" wird, entlastet natürlich den Arbeitsmarkt - Nachschub wird immer benötigt. Zwangsrekrutierung mit Hartz IV Der Druck, eine Ausbildungs-/Arbeitsstelle zu finden und sei es als Soldat bei der Bundeswehr, wurde mit Hartz IV zum Zwang. Die Verpflichtung von Hartz IV-Empfängern, jede "zumutbare" Arbeit anzunehmen, heißt in diesem Zusammenhang auch, dass es zumutbar ist, Soldat zu werden und "deutsche Interessen" mit dem eigenen Leben irgendwo auf dieser Welt "verteidigen" zu müssen. Auch wenn bisher noch niemand direkt dazu gezwungen werden muss, sich als Soldat zu verpflichten, kann man angesichts der befürchteten sinkenden Bewerberzahlen davon ausgehen, dass dies nicht dauerhaft so bleiben wird. Das Engagement der Agentur für Arbeit lässt diese Vermutung nicht unplausibel erscheinen. Die Verpflichtung von Arbeitslosen für die Bundeswehr wurde jedoch von dem ehemaligen Verteidigungsminister Peter Struck schon angedacht, wenn auch nicht für Auslandseinsätze, so doch als Lernobjekte für Soldaten, die auf Auslandseinsätze (in dem Fall auf einen Einsatz im Kosovo) vorbereitet werden. Beim Besuch einer Übung der Bundeswehr in Mecklenburg-Vorpommern im Juni 2005 kam Struck die Idee, man könne doch anstelle von teuren Soldaten, Arbeitslose dazu verpflichten, an den Übungen als Zivilisten oder feindliche Gruppen teilzunehmen. Das erspare Kosten und schaffe Jobs für einen Teil der Masse an Arbeitslosen in der Region. Mit der Kritik, der sich Struck daraufhin ausgesetzt sah, konnte er nichts anfangen und verwies darauf, dass in Bayern die Übungsobjekte von einer Zeitfirma angeheuert würden.[33] Das beunruhigende an der derzeitigen Situation ist, dass die Arbeitslosen bisher nicht einmal zum Kriegsdienst gezwungen werden müssen. Der ökonomische und soziale Druck ist so hoch, dass sie vermeintlich freiwillig in den Krieg ziehen. Das bedeutet, dass vor allem Menschen aus marginalisierten sozialen Schichten bei Bundeswehreinsätzen ihr Leben für deutsche Interessen lassen. Dadurch spaltet sich die Gesellschaft in diejenigen, die von Kriegseinsätzen profitieren und initiieren und diejenigen, die im schlimmsten Fall bei solchen Einsätzen sterben oder traumatisiert zurückkehren und somit weiter in unserer Gesellschaft marginalisiert bzw. `usgeschlossen werden. In diesem Kontext stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt noch von einer freiwilligen Entscheidung gesprochen werden kann. Die diesbezüglichen Worte von Matthias Rogg in einem von der Bundeswehr herausgegebenen Sammelband sind deutlich: "Auch die Frage, ob bei einem jungen deutschen oder amerikanischen Zeitsoldaten die sittliche Bindung stärker wiegt als der finanzielle Anreiz, kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Selbst strenge gesetzliche Regelungen, die den Handlungsspielraum eindeutig festlegen, vermögen die individuellen Motive nicht aufzulösen. Schließlich können wirtschaftlicher und sozialer Druck, bis hin zur Zwangsrekrutierung, den Charakter der Freiwilligkeit stark relativieren."[34] Der durch Hartz IV geschaffene Zwang, jede Arbeit anzunehmen, führt in diesem Zusammenhang zu einer Situation der Arbeitslosen, die sich von einer Zwangsrekrutierung nur noch formal unterscheidet. Militäreinsätze und Hartz IV hängen demnach enger zusammen, als eine rein quantitative Gegenüberstellung der für Auslandseinsätze aufgewendeten Mittel und der Sozialausgaben. Auswirkungen auf die interne Struktur der Bundeswehr Obwohl die Bundeswehr von einem gewissen sozialen Druck abhängig ist, um genug Soldaten rekrutieren zu können, die auch "bereit" sind, an Auslandseinsätzen teilzunehmen, fürchtet sie sich andererseits davor, nur noch Jugendliche aus sozial- und bildungsschwachen Schichten rekrutieren zu können. In diesem Zusammenhang ist auch das Festhalten an der Wehrpflicht zu sehen.[35] Nina Leonhard befürchtet vor allem einen "weiteren gesellschaftlichen Ansehensverlust" für die Bundeswehr. "Sollte sich die Entwicklung [dass sich nur noch diejenigen, die keine andere Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, bei der Bundeswehr verpflichten] zukünftig fortsetzen, dann besteht die Gefahr, dass es in der Folge zu einem Qualitätsverlust des militärischen Personals der Bundeswehr kommt. Dies könnte einen weiteren Ansehensverlust für die Streitkräfte mit sich bringen, der sich wiederum negativ auf die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber auswirken würde. Aus Sicht der Bundeswehr muss es somit von zentraler Bedeutung sein, einer solchen Abwärtsspirale entgegenzuwirken."[36] Besorgt über diesen Zustand ist - wenn überhaupt - die Bundeswehr. Es sollte sich jedoch vielmehr die Gesellschaft Gedanken über eine derartige Entwicklung machen. Es ist davon auszugehen, dass Soldaten, die sich aufgrund fehlender Alternativen oder direktem Zwang verpflichten, gefügiger sind als jene, die freiwillig und nicht mit dem Gefühl der Alternativlosigkeit den Beruf des Soldaten wählen.[37] Dies ist für die Bundeswehr wohl als durchaus positiv zu sehen, zumal die derzeitige Umstrukturierung der Truppe hin zu immer mehr und immer riskanteren Auslandseinsätzen von Soldaten abhängt, die sich nicht weigern, auch an solchen "Rambomissionen" teilzunehmen. Eine Armee, die sich vor allem aus Soldaten zusammensetzt, die keine andere Möglichkeit sehen, ihre Existenz zu sichern, ist von einer Söldnerarmee nicht mehr weit entfernt.
Anmerkungen
[1] Mehrheit der Deutschen lehnt Bundeswehreinsatz ab, Die Welt 02.06.06
* erschienen ist der Text in: AUSDRUCK (Oktober 2006),
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