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Sozialabbau und Flüchtlinge
von Klaus Schramm Am Samstag fanden bundesweit - so auch in Freiburg - Demos gegen die Migrationskontrolle statt. Ein Jahr nach den Schüssen und den Toten an den Zäunen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko rief ein breites Netzwerk von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sowie antirassistischen Initiativen zu einem transnationalen Aktionstag für Bewegungsfreiheit, Bleiberecht und gleiche Rechte für alle auf. In neun deutschen Städten, acht europäischen und vier afrikanischen Ländern wurden für diesen Tag Demonstrationen und Aktionen vorbereitet. Einen solchen migrationsbezogenen Aktionstag zu organisieren, wurde auf dem Europäischen Sozialforum (ESF), zu dem sich im Mai 2006 rund 15.000 Menschen aus verschiedenen sozialen Bewegungen trafen, beschlossen. Seit dem letzten Jahr hat die Militarisierung der EU-Migrationspolitik ein weiteres Instrument bekommen: Frontex. Das ist der Name der neuen europäischen Grenzschutzagentur, die ihren Hauptsitz in Warschau hat. Frontex hat bereits EU-weite Charter-Abschiebungen organisiert und koordiniert jetzt eine Operation an der westafrikanischen Küste: Die Intensivierung der Kontrollen auf See und aus der Luft, um sogenannte afrikanische Bootsflüchtlinge daran zu hindern, Europa zu erreichen.
Bisher mit wenig Erfolg, denn jeden Tag landen neue Boote auf den Kanarischen Inseln mit mehr Menschen und aus immer entfernteren Ländern. In den letzten Monaten ertranken Hunderte von Menschen auf dieser riskanten Route.
Europäische Regierungen üben zunehmend Druck auf afrikanische Länder aus, eine Rolle als Hilfspolizei für ihre menschenfeindliche Migrationspolitik zu übernehmen. Insbesondere nord- und westafrikanische Länder sind Ziele einer solchen Externalisierungspolitik. Die europäischen Regierungen sind verantwortlich für Tausende von Toten in den letzten Jahren. Es wird eine Art Krieg gegen Flüchtlinge und MigrantInnen geführt. Die Frontex-Operation ist ein weiterer Schritt in diesem Krieg mit dem Ziel, bestehende und neue Fluchtrouten zu zerstören. Nach Auffassung der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat "die militärische Grenzabschottung der Europäischen Union Anfang Oktober 2005 in Ceuta und Melilla der Öffentlichkeit ihre Brutalität und Menschenverachtung drastisch vor Augen geführt". Bei ihrem Versuch in die spanischen Exklaven einzureisen, wurden hunderte afrikanische Flüchtlinge und MigrantInnen verletzt. Nach offiziellen Angaben seien 11 Menschen durch Schüsse marokkanischer und spanischer Grenzbeamter ums Leben gekommen. Andere Flüchtlinge starben aufgrund der Verletzungen, die sie sich bei dem Versuch, über den Zaun zu klettern, zugezogen hatten. Pro Asyl kritisiert, daß die europäischen Staaten "ihre menschenverachtende Flüchtlingsabwehr" noch immer fortsetzen. Die DDR wurde einst - zu recht - wegen der Mauer durch Deutschland gebrandmarkt. Die heutige Politik der Mächtigen im Westen zeigt, daß deren damalige Kritik am Ostblock pure Heuchelei war. "Statt die Verantwortung für die Todesfälle und Mißhandlungen durch das Militär zu übernehmen, leitete die spanische Regierung am 6. Oktober 2005 Massenabschiebungen nach Marokko ein", so Pro Asyl. "Ohne Prüfung des Einzelfalles und die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, wurden die Flüchtlinge unter Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention abgeschoben." Ein Jahr nach dem Flüchtlingsdrama bauen die europäischen Regierungen weiter an der "Festung Europa" und setzen "auf militärische Abwehrstrategien". Ende September 2006 haben sich die sieben EU-Mittelmeerländer und Portugal auf dem Immigrationsgipfel in Madrid erneut auf eine verschärfte Militarisierung der EU-Seegrenzen verständigt. "Diese Politik steht im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsabkommen und demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien", erklärt 'Pro Asyl'. "Weiterhin sterben Menschen bei ihrem Versuch, nach Europa einzureisen." Vor den Kanaren ertranken allein in der letzten Woche erneut 20 afrikanische Flüchtlinge. Zu den Auswirkungen einer globalisierten Wirtschaftspolitik Pro Asyl fordert von den EU-Staaten ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik. Der Zugang zum Asylverfahren muß ohne Einschränkungen gewährleistet werden. Abschiebungen ohne vorherige Asylprüfung seien "nicht nur völkerrechtswidrig, sondern verstoßen gegen die Europäischen Asylrichtlinien". Europa muß legale Einwanderungsmöglichkeiten schaffen, damit MigrantInnen nicht gezwungen sind, lebensgefährliche Wege nach Europa in Kauf zu nehmen. Statt Lippenbekenntnisse zur Bekämpfung von Fluchtursachen abzugeben, müssen "die Auswirkungen einer globalisierten Wirtschaftspolitik" einer menschenrechtlichen Überprüfung unterzogen werden. Am Zaun von Ceuta, wo vor einem Jahr mindestens 11 Menschen getötet wurden, haben am Samstag DemonstrantInnen aus Marokko dieser Toten gedacht und die Aufklärung der Umstände und eine andere Migrationspolitik gefordert. Vor Ort ist eine der wichtigsten Forderungen, daß neben anderen den rund 200.000 "Langzeitgeduldeten" endlich eine Bleiberecht gegeben wird. Durch die fallenden AsylbewerberInnen-Zahlen sinken Jahr für Jahr die Ausgaben nach dem AsylbewerberInnen-Leistungsgesetz - im vergangenen Jahr um 4,4 Prozent. Diese Einsparungen sollten als Anlaß genommen werden, um die Leistungen endlich zu verbessern: Barauszahlung statt diskriminierender Einkaufsgutscheine und "Freßpakete", Unterbringung in Wohnungen statt in ungenügenden Massenunterkünften, voller Zugang zu Gesundheitsversorgung statt der bisher bestehenden Notfallversorgung. Bisher liegen die Leistungen von Asylbewerbern um 30 Prozent unter denen für deutsche SozialhilfeempfängerInnen; diese werden überwiegend als Sachleistungen erbracht. Zudem ist die medizinische Versorgung der Betroffenen auf akute Behandlungen reduziert. Es muß endlich Schluß gemacht werden mit einer Politik, die für Flüchtlinge ein geringeres Existenzminimum vorsieht und ihnen damit letztlich eine geringere Menschenwürde beimißt. Dieses Gesetz ist in seinem Kern rassistisch. Und es wirkt bestätigend für rassistische Vorurteile gegenüber Flüchtlingen: die teils erbärmlichen Zustände in den Massenunterkünften, die sich auf dem Land zudem abseits der Siedlungskerne befinden, werden den Flüchtlingen angelastet. Dabei sind sie eine Folge staatlicher Politik. Die Abschaffung von Wohnheimunterbringung und Einkaufsgutscheinen wäre ein wichtiger Schritt, die Stigmatisierung von Flüchtlingen zu beenden. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, daß Flüchtlinge von einem Leistungsniveau 30 Prozent unter der regulären Sozialhilfe leben müssen. Auch Flüchtlinge haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Die Freiburger Montags-Demo erklärt sich solidarisch mit dem Widerstands gegen diese unmenschliche Politik. Für eine solidarische und diskrimierungsfreie Gesellschaft!
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