MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 18.09.06

Sozialabbau und die Privatisierung
der Deutschen Bahn

 

Klaus Schramm trug den aktuellen Artikel einer befreundeten Journalistin vor:

Was über die aktuellen Schlichtungsgespräche zwischen der Deutschen Bahn AG und den beiden Gewerkschaften Transnet und GDBA nach außen dringt, verheißt nichts Gutes. Deren VerhandlungsführerInnen scheinen sich für den "integrierten Börsengang" zu erwärmen. Und dies im Widerspruch zur Mehrheit der Beschäftigten bei der Deutschen Bahn AG. "Die Gewerkschaftsbasis ist überwiegend gegen eine Privatisierung, egal nach welchem Modell", sagte Hans-Gerd Öfinger von 'Bahn von unten', einer Gruppe kritischer Transnet-Gewerkschafter, die sich dem Bündnis 'Bahn für Alle' angeschlossen hat.

Im November 2000 hatte sich der Transnet-Gewerkschaftstag noch für die Erhaltung einer "einheitlichen, flächendeckenden und bundeseigenen Bahn" ausgesprochen und jede Form von Börsengang und Ausverkauf abgelehnt. Zudem hat sich der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen Ende Mai 2006 in einem gemeinsamen Papier mit seinem Ver.di-Amtskollegen Frank Bsirske gegen eine Privatisierung der Deutschen Bahn AG ausgesprochen. "Statt sich von DB-Chef Hartmut Mehdorn vor den Privatisierungskarren spannen zu lassen, sollten die Spitzen aller Bahngewerkschaften jetzt ihre ganze Energie dafür einsetzen, gemeinsam eine Privatisierung zu verhindern. Damit ist den Beschäftigen am besten gedient", erklärte Öfinger.

Anlaß für die Tarifverhandlungen ist ein Beschäftigungspakt, der bis 2010 "betriebsbedingte Kündigungen" ausschließt. Nach Ansicht von 'Bahn für Alle' sichert der Vertrag aber selbst im Fall eines integrierten Börsengangs der DB Holding kaum Arbeitsplätze. Seit der 1994 begonnenen Bahnreform, deren Ziel die Börsenfähigkeit des bundeseigenen Konzerns sein soll, hat sich die Zahl der Beschäftigten bereits auf 180.000 halbiert - obwohl das Unternehmen als Ganzes fortbestand. Nach vorsichtigen Schätzungen würden bei einer Privatisierung weitere 50.000 Stellen abgebaut. Öfinger: "Auch das integrierte Modell ist kein Garant für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Schon jetzt geht der Stellenabbau tagtäglich weiter. Aller spätestens ab 2010 droht dann eine große Kündigungswelle."

Über den Stellenabbau hinaus befürchtet 'Bahn für Alle' Verschlechterungen für die Fahrgäste: Eine Börsenbahn würde sich nur auf profitable Strecken konzentrieren. Abgelegene Regionen, kleinere und mittlere Städte würden abgehängt. Insgesamt stehen 5000 Kilometer Strecke vor dem Aus. Auch würde Bahnfahren teurer: Mehdorn hat in einem 'stern'-Interview (28/2006) zugegeben, daß "die Fahrpreise sicher nicht sinken" werden". Erfahrungen aus Großbritannien haben darüber hinaus gezeigt, daß eine Bahn-Privatisierung zu massiven Unfall-Risiken und Fahrplanwirrwarr führt.

Wir befinden uns gerade inmitten zweier bundesweiter Aktionswochen: Mit Aktionen protestieren Aktivistinnen und Aktivisten des Bündnisses 'Bahn für Alle' in zahlreichen deutschen Städten gegen den geplanten Ausverkauf der Bahn. Das Bündnis 'Bahn für Alle' wird unterstützt von 'Robin Wood', BUND, 'Bürgerbahn statt Börsenbahn', 'Bahn von unten', UMKEHR e.V., attac, NETZWERK REGENBOGEN sowie den NaturFreunden Deutschlands.

Bereits im Oktober wird der Bundestag nach dem bestehenden Zeitplan darüber entscheiden, ob und wie die Deutsche Bahn an die Börse gebracht wird (Inzwischen wurde der Termin verschoben.). Wie kaum anders zu erwarten, verbreiten die Mainstream-Medien zu diesem Thema viel Desinformation. So wurde die von Bahnchef Mehdorn verbreitete Erfolgsbilanz unkritisch weiterverbreitet. In seiner Halbjahresbilanz Mitte August verkündete er stolz einen Überschuß von 1,9 Milliarden Euro. Tatsächlich fließen jedoch zugleich etliche Milliarden Euro an Subventionen in die Kassen der Deutschen Bahn AG. Diese setzen sich zusammen aus Bauzuschüssen, Mittel für den Regionalverkehr und Aufstockung der Gehälter der Bahnbeamten. Nur so kann die Dienstleistung Bahn überhaupt aufrecht erhalten werden. Doch diese Subventionen sind im Vergleich zur Subventionierung von Straßenverkehr und Flugverkehr gering und dieses Ungleichgewicht verursacht von Jahr zu Jahr ein Zurückdrängen der Bahn im Konkurrenzkampf.

Die Deutsche Bahn AG ist 2006 mit 25 Milliarden Euro wieder so hoch verschuldet wie 1994 die Bundesbahn. Die Verkehrsleistung im Fernverkehr lag 2005 niedriger als 1994 und dies, obwohl Investitionen von mehr als 100 Milliarden Euro in die IC-Strecken mehr Kundschaft bringen sollten - Kundschaft aus der "business class", die sich jedoch nicht in ausreichender Zahl zu einem Umstieg aus dem mit Subventionen in weit höherem Maße verwöhnten Flugverkehr in den IC verlocken ließ. Der von Mehdorn gefeierte Überschuß bedeutet lediglich, daß die staatlichen Subventionen nicht in vollem Umfang für dringend nötige Investitionen eingesetzt wurden.

Solange Flugverkehr und Straßenverkehr stärker subventioniert werden, läßt sich die Deutsche Bahn niemals profitabel betreiben. Doch eine gesellschaftlich organisierte Dienstleistung muß auch keinen Profit abwerfen, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Sie muß allerdings auch kein Geld verschwenden wie die weitaus ökonomischer und kundenfreundlicher arbeitende Schweizer Bundesbahn beweist.

Daß die Deutsche Bahn AG an die Börse gebracht werden soll, hat seinen Grund nicht darin, daß sie profitabel wäre. Und es hat auch Gründe, warum sich Investment-Firmen für einen Konzern interessieren, der nur durch Milliardensubventionen überleben kann. Denn die Subventionen werden weiter fließen unter dem Vorwand, daß nur so die "Versorgung in der Fläche" zu gewährleisten sei. Dafür will die Bundesregierung weite Teile des gesellschaftlichen Besitzes aufgeben. Und ein großer Teil der staatlichen Subventionen wird so zukünftig in die Taschen von AktionärInnen fließen.

Investment-Firmen und AktionärInnen werden selbstverständlich nach einer Privatisierung der Deutschen Bahn versuchen, möglichst hohe Dividenden herauszupressen. Dies wird sogar in den Gutachten thematisiert, auf deren Basis der Bundestag im Oktober über den Börsengang entscheiden soll. Der dringend nötige Ausbau des Streckennetzes wird negiert und auch die Verkehrsleistung im Personenverkehr soll nicht erhöht werden.

In eben diesen Gutachten ist nachzulesen, daß sich dann die bisherige zerstörerische Verkehrspolitik beschleunigt fortsetzen wird und mit dem weiteren Rückzug der Bahn aus weniger dicht besiedelten Regionen zu rechnen ist. Und dies ist völlig unabhängig davon, wie der Börsengang im Einzelnen organisiert würde. Weiter ist damit zu rechnen, daß Fahrpreise weiter erhöht, Service weiter reduziert und weiter Arbeitsplätze abgebaut werden. Der dann unausweichliche Zwang zur Profitmaximierung wird auch dazu führen, daß immer weniger in langfristige Infrastruktur investiert wird. Deshalb droht eine Entwicklung wie sie bereits seit vielen Jahren in Großbritannien und anderen Ländern zu beobachten ist: Investitionen ins Schienennetz werden reduziert und das gesamte Inventar auf Verschleiß gefahren.

Bei einer Privatisierung der Bahn würde die Chance für eine Verkehrswende auf lange Sicht verbaut. Dabei ist die Klimaschädlichkeit des Staßenverkehrs dreimal so groß und die des Luftverkehrs sieben mal so groß wie die des Bahnverkehrs. Im Sinne des Klimaschutzes müßte die Subventionierung von Flugbenzin, Flughäfen und Straßenbau (Seit 1960 wurde allein das Autobahn-Netz verdreifacht) zu Gunsten des Schienenverkehrs reduziert werden. Kosten für geplante 1.900 Kilometer neue Autobahnen müßten für die Erweiterung des Schienennnetzes umgewidmet werden.

Leider befürwortet der ökologisch ausgerichtete VCD die Privatisierung der Deutschen Bahn. Er argumentiert damit, der Verkauf der Bahn würde die Möglichkeit schaffen, daß vermehrter Wettbewerb zwischen verschiedenen Betreibern die Attraktivität der Bahn erhöhen könnte. Vorbild sind hierzu private Betreiber von Regionalstrecken, die gegenwärtig so manche BahnkundInnen begeistern. Der Nahverkehr wird aber bislang zu zwei Drittel mit staatlichen Zuschüssen, den "Regionalisierungsgeldern" finanziert. Das unternehmerische Risiko tendierte hier gegen Null und jeder private Betreiber bedient selbstverständlich auch eine unrentable Strecke, wenn er öffentliche Gelder zur Deckung seines Defizits bekommt. Doch mit der nun anstehenden Privatisierung werden auch der Personenfern- und der Güterverkehr, die bisher "eigenwirtschaftlich" - also ohne direkte Subventionen - arbeiten, privatisiert. Hier wird sich Wettbewerb auf lukrative Strecken beschränken - anderen Strecken droht die Stillegung, da die Bundesländer die "Regionalisierungsgelder" verstärkt kürzen. Es droht eine ähnliche Entwicklung wie sie seit Jahren auf dem Markt für Paket- und Postdienstleistungen zu beobachten ist.

Der VCD bastelt sich ein optimales Privatisierungsmodell und abstrahiert komplett von den Realitäten des Marktes sowie der Politik und den dort herrschenden Kräfteverhältnissen. Die Ergebnisse des Börsenganges sind leicht vorherzusehen, wenn die geplante Privatisierung der Bahn mit anderen Privatisierung im vergangenen Jahrzehnt vergleichen wird. Bei der Privatisierung der Energieversorger beispielsweise war das Ergebnis, daß öffentliche Regionalmonopole in private verwandelt wurden und die Strom und Gaspreise in Deutschland nun weit über dem europäischen Durchschnitt liegen. Daneben gibt es einige Nischenanbieter beispielsweise für Ökostrom, die jedoch mangels konkurrenzfähiger Werbeetats nicht ins öffentliche Bewußsein rücken.

Nichts deutet darauf hin, daß im Zuge der Privatisierung der Bahn mit Hilfe einer Regulierungsbehörde oder ähnlichem ein fairer Wettbewerb entstehen könnte. Falls ein solcher politisch gewünscht würde, hätte er auch unabhängig von einem Börsengang längst realisiert werden können. Anzunehmen, daß ausgerechnet eine "schwarz-rote" Bundesregierung der Konzentration wirtschaftlicher Macht entgegen treten könnte, die von "Rot-Grün" nach Herzenslust gefördert wurde, ist schlicht illusionär. Statt dessen sollte sich der VCD ein Beispiel an der Schweizer Bundesbahn nehmen.

Die Schweizer Bahn ist besser ausgebaut als die deutsche und dies, obwohl die Schweiz mit 7 Millionen EinwohnerInnen dünner besiedelt ist als Deutschland. Zudem sind die Betriebs- und Trassenkosten deutlich höher da die Höhen- und die Temperaturdifferenzen im Durchschnitt größere Herausforderungen stellen. Dennoch ist die Schweizer Bahn pünktlicher und die Zuschüsse pro Personenkilometer nur halb so hoch wie in Deutschland.

Die Schweizer legen 2,2-mal mehr Kilometer pro Jahr mit der Bahn zurück als die Deutschen, obwohl sie eine vergleichbare Autodichte haben. Das liegt auch am besseren Angebot wie einem flächendeckenden Halbstundentakt. Dagen haben in Deutschland selbst manche Metropolen wie beispielsweise Dresden nicht einmal einen übersichtlichen Stundentakt. In der Schweiz gibt es keinen Tarifdschungel. 2,5 Millionen also über 35 Prozent der SchweizerInnen besitzen das "Halbtax-Ticket". Es kostet mit rund 99 Euro pro Jahr weniger als die Hälfte der "Bahncard 50" in Deutschland. Vermutlich nennen sie deshalb nur 1,5 Millionen BundesbürgerInnen (knapp zwei Prozent) ihr Eigen.

Der Erfolg des Schweizer Modells liegt für den langjährigen Vorsitzenden der Schweizer Bahnen (SBB), Benedikt Weibel, vor allem auch in der großen Kontinuität, mit der nun seit vielen Jahren die Bevölkerung optimal versorgt wird - nicht in Profitabilität. Deshalb gab es bisher in der Schweiz immer erfolgreichen Widerstand gegen jedes Ansinnen einer Privatisierung der öffentlichen Bahn.

Ein gewichtiger Unterschied zwischen der Schweizer und der Deutschen Bahn besteht im Verhältnis der Manager zu "ihrer" Bahn. Der SBB-Vorsitzende Benedikt Weibel, der leider in diesem Hebst in den vorgezogenen Ruhestand geht, ist ein echter Bahnfan. Mehdorn dagegen stammt aus der Flugzeug-Branche, war bei Airbus und war Manager bei Daimler-Dasa bevor er 1999 von "Rot-Grün" zum Chef der Bahn berufen wurde. Er scheiterte bravourös, als er 2002/2003 das Tarifsystem der Bahn den Gepflogenheiten des Flugverkehrs anpassen wollte.

Aber auch in der Schweiz gab es in den 70er- und 80er-Jahren Bestrebungen, auf Hochgeschwindigkeit hin zu orientieren und kleine Regionen abzuhängen. Im Ergebnis einer größeren Zahl von Referenden wurden diese Planungen verhindert und die Bahnangebote den Bedürfnissen der Bevölkerung angepaßt.

Mehr Demokratie könnte in Deutschland ähnliches bewirken und hätte mit Sicherheit Milliardengräber wie die ICE-Strecke von München über Ingolstadt nach Nürnberg verhindert. Auf dieser Strecke werden im Vergleich zur Strecke über Augsburg gerade einmal 23 Minuten eingespart, was allerdings mindestens eine Milliarden Euro teurer kam.

Der weitaus größte Teil der Menschen ist im Nah- und Regionalverkehr unterwegs, 90 Prozent des Schienenverkehrs sind Bahnfahrten unter 50 Kilometer. Doch 60 Prozent aller Investitionen der DB-AG fließen in Hochgeschwindigkeitsstrecken. Ein Irrsinn, der sich nur erklären läßt, wenn wir unterstellen, daß Spitzenmanager wie Mehdorn bewußt eingesetzt wurden, um die Bahn als Konkurrenz für Autokonzerne und Fluggesellschaften zu liquidieren.

 

Adriana Ascoli

 

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