MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 11.09.06

Sozialabbau und der Milliarden-Überschuß
der Bundesagentur für Arbeit

 

Bereits im Mai hatte Oskar Lafontaine löblicher Weise - ich hatte ihn in einigen Redebeiträgen ja auch schon heftig kritisiert - in einer Pressemitteilung die sogenannte Hartz-IV-Kostenexplosion als "bösartige Täuschung" bezeichnet. Ich lese daraus mal kurz vor:

"Die große Koalition versucht im Verein mit den Wirtschaftsverbänden erneut die Wählerinnen und Wähler zu täuschen, wenn von einer Kostenexplosion bei Hartz IV die Rede ist. Nach Untersuchungen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe werden Bundesagentur, Bund und Kommunen im Jahr 2006 voraussichtlich insgesamt 0,8 Mrd. Euro weniger für Arbeitslosigkeit ausgeben als geplant."

0,8 Milliarden hieß es noch im Mai! Im August schätzte die Bundesagentur für Arbeit ihr Plus schon auf 8,8 bis 9,6 Milliarden Euro. Aktuell verkündet Frank-Jürgen Weise, der Chef der Bundesagentur für Arbeit, daß in diesem Jahr sogar die Grenze von 10 Milliarden überschritten werden könne. Das ist Geld, das aus den Arbeitslosen herausgepreßt worden ist. Wie, fragen nun leider viele, wie kann aus Leuten was rausgepresst werden, die nichts haben?

Der Bildungsstand der deutschen Erwachsenen ist leider im Durchschnitt noch schlechter als der unserer durch PISA disqualifizierten Kinder und Jugendlichen. Deshalb müssen wir das den Menschen immer wieder erklären: Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II sind keine Almosen, sondern Versicherungsleistungen, für die im Laufe eines Arbeitslebens erhebliche Mittel vom Lohn oder Gehalt abgezogen werden, und berechtigte Ansprüche, die aus Steuergeldern - also letztlich von der arbeitenden Bevölkerung - bezahlt werden. Die Kürzung von Arbeitslosengeld I sowohl in Höhe als auch in der Dauer war schlicht und einfach eine Enteignung!

Es ist Lafontaine auch zu danken, daß er dies so klar ausspricht. Ich zitiere weiter:
"Es ist daher schon bösartig, den Anstieg der Kosten für Hartz IV aufzubauschen und die sinkenden Auszahlungen der Bundesagentur für Arbeit zu verschweigen. Zwischen beidem besteht ein untrennbarer Zusammenhang, der durch die Hartz-Reformen bewußt initiiert worden und keineswegs Ausdruck einer Kostenexplosion ist."

Nebenbei bemerkt: Der Anstieg der Ausgaben für Hartz IV ist keineswegs beeindruckend. Für Hartz IV wurde im vergangenen Jahr eben mal 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgegeben. 2006 werden es rund 2,1 Prozent sein.

Lafontaine fordert darüber hinaus, daß die Arbeitslosenversicherung auf eine solide Grundlage gestellt wird und daß - ich zitiere - die "brutale Enteignung der älteren Arbeitnehmer durch die Verkürzung der Zahlung des Arbeitslosengeldes I zurückgenommen" wird.

Über die Enteignung von Konzernen hier in Deutschland auch nur nachzudenken, ist tabu. Realität ist statt dessen die Enteignung von Menschen aus dem unteren Zweidrittel dieser Gesellschaft. Dagegen regt sich - zumindest im Moment - nur recht wenig Widerstand.

Lafontaine resümierte im Mai: "Die "bisherigen Politik der Koalition von Union und SPD, von der Mehrwertsteuererhöhung über die Beschränkung der Pendlerpauschale bis zur Kürzung des ALG II für junge Leute, hat die soziale Schieflage weiter verstärkt."

Und zugleich mit der Meldung von den Milliardenüberschüssen der Arbeitsagentur ist heute in den Zeitungen zu lesen, daß ein Club von Pseudo-Weisen vorschlägt, das ALG II um 30 Prozent zu kürzen. Dies würde eine Reduzierung von 345 Euro auf 242 Euro bedeuten.

Nun haben ja bereits einige Sozialverbände Stellung bezogen und öffentlich darauf hingewiesen, daß ein Mensch nicht von 345 Euro leben kann. Bekannt wurde inzwischen auch, daß der bestehende Regelsatz von 345 Euro auf der Grundlage eines Warenkorbs bestimmt wurde, der auf der auf den statistisch ermittelten Ausgaben der unteren 20 Prozent der Ein-Personen-Haushalte. Nun wissen aber die wenigsten, daß in dieser Bevölkerungsgruppe RentnerInnen überproportional vertreten sind. Deren Mobilitätsbedürfnisse beispielsweise sind im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerung aber wesentlich geringer.

Eine Arbeitsgruppe der "rot-grünen" Bundesregierung entschied in geheimen Sitzungen, zu wieviel Prozent die Bedarfspositionen dieser Verbrauchergruppe in den Regelsatz eingehen sollen. Nur durch Detektivarbeit konnte zurückgerechnet werden, was da schon im Vorfeld gekürzt wurde. So wurden beispielsweise Telefonkosten nur zu 60 Prozent in den Regelsatz aufgenommen - konkret: 17,85 Euro. Stromkosten wurden nur zu 85 Prozent in den Regelsatz übernommen - konkret: 20,74 Euro. Verkehrskosten sind nur mit 18,11 Euro enthalten - eine Regiokarte kostet allein in Freiburg (im Dauerabo) 38,50 Euro. Völlige Willkür und schlicht ein zynischer Witz!

Haßprediger müssen nicht unbedingt dem Islam angehören. Der Fraktionsvorsitzende der Union im Deutschen Bundestag, Volker Kauder, predigte vor einigen Monaten, ALG-II-BezieherInnen könnten "ohne Risiko" zwei Monate in Urlaub fahren. Die 'Süddeutsche Zeitung' bot ihm dafür mit einem Interview eine Plattform. Wer glaubte, solche Hetze sei nur in der BILD-Zeitung möglich sah sich getäuscht - immer mehr sogenannte Qualitätszeitung sinken allmählich auf dasselbe Niveau! Der Kampagne schloß sich flugs auch der neue SPD-Vorsitzende Kurt Beck an. Prompt wurde zum 1. August eine weitere Verschärfung durchgesetzt: Die sogenannte Erreichbarkeitsanordnung wurde für das SGB II in Kraft gesetzt. Dies bedeutet, daß ALG-II-EmpfängerInnen nur noch an drei Wochen im Jahr - nach Beantragung - ortsabwesend sein dürfen.

Das bedeutet, du mußt für drei Wochen nicht jeden Tag in den Briefkasten schauen und möglicherweise zu zahllosen Bewerbungsgesprächen fahren, von denen du im Voraus weißt, daß es keinen Zweck hat. Für Urlaub reicht 345 Euro allerdings nicht - höchsten für Urlaub auf Balkonien!

Auf der anderen Seite weiß kaum jemand, wieviel an Steuern jährlich hier in Deutschland hinterzogen werden kann. Da kann ich mich einmal auf Norbert Blüm, den früheren Arbeitsminister unter Kohl berufen, der 2004 öffentlich die Zahl von 65 Milliarden Euro nannte, die dem Fiskus jährlich durch Steuerhinterziehung entgehen. Er ist für diese selten zu hörende Äußerung zu loben. da habe ich keine Berührungsängste! Das ist über 500 Mal soviel wie die 120 Millionen, die dem Staat angeblich pro Jahr durch Sozialhilfemißbrauch verloren gehen.

Während auf allen Kanälen permanent gegen die kleinen Leute gehetzt wird, ist von diesen 65 Milliarden nie die Rede!

Es ist zumindest zu fordern, daß nicht weiter gekürzt wird, sondern daß der Überschuß der Bundesagentur von 8 bis 10 Milliarden Euro denen zu gute kommt, denen es zusteht!

 

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