MONTAGS-DEMO FREIBURG
Redebeitrag vom 29.08.05

Sozialabbau und Rüstungsausgaben
Klaus Schramm

Kaum ein anderer deutscher Wissenschafts-Journalist beschäftigte sich wie Robert Jungk ähnlich intensiv mit dem tiefsten Einschnitt in der Geschichte der menschlichen Zivilisation, dem Abwurf der Atom-Bomben auf Hiroshima am 6. August vor 60 Jahren und Nagasaki am 9. August vor 60 Jahren. In seinem Buch 'Heller als tausend Sonnen' (1956) beschreibt Robert Jungk die Entstehungsgeschichte der Atom-Bombe und die daran beteiligten Wissenschaftler und Forscher. Die aus intensiver Recherche und zahlreichen persönlichen Gesprächen entstandene Reportage zeigt auf, daß sich NaturwissenschaftlerInnen nicht mit dem Verweis auf "Grundlagenforschung" herausreden können, sondern die Verantwortung tragen für die technischen, sozialen und politischen Folgen ihres Tuns. Und in seinem Buch 'Strahlen aus der Asche' (1958) berichtet Jungk über die Folgen der Atom-Bomben auf Hiroshima und Nagasaki. Das Buch wurde zum mahnenden Zeugnis wider den Wahnsinn des nuklearen Wettrüstens. Über zahlreiche Gespräche mit Überlebenden, den »hibakusha«, rekonstruiert der Autor das von der US-Army lange Zeit beschönigte Ausmaß der Zerstörung und schildert insbesondere die Langzeitfolgen der radioaktiven Verstrahlung.

In einer wenig bekannten Kolumne (Robert Jungk verfaßte in der Zeit von 1972 bis 1987 regelmäßig Kolumnen für die Zeitschift 'bild der wissenschaft' bis ihm die Zusammenarbeit wegen seiner kritischen Beiträge zur sogenannten "friedlichen Nutzung der Atomenergie" aufgekündigt wurde) reflektiert er sozialpsychologische Aspekte der Atom-Bombe und ihrer Erbauer und fordert zugleich eine neue, lebensbejahende Forschung und Technik ein:

"(...) Von den zahlreichen Büchern, die sich mit den Atomphysikern beschäftigt haben, hat mir das Werk des an der University of Sussex lehrenden Physikers und Psychologen Brian Easlea mit dem Titel »Fathering the Unthinkable« die überraschendste Aufklärung vermittelt. Der Autor, dessen Arbeit von seinen Berufskollegen als »peinlich« verketzert wurde, versucht darin nachzuweisen, daß die Atombombe das Endprodukt des Männlichkeitswahns sei, der sich aus Neid und Schwäche die weibliche Natur unterwerfen wolle. Er zeigt an der Ausdrucksweise der Forscher, die voller sexueller Anspielungen ist, wie sehr ihre ganz privaten Probleme zur Antriebskraft ihrer grandiosen und zugleich monströsen Leistungen wurden.

So ist es für ihn kein Zufall, daß Oppenheimer und Teller als die »Väter« der Atom- und Wasserstoffbombe bezeichnet werden, daß die Hiroshimabombe »Little Boy« getauft wurde und Teller auch die erste erfolgreiche Zündung der H-Bombe mit dem Jubeltelegramm "It's a boy" ("Es ist ein Knabe") meldete.

Es war also eine Art Geburtstagsfest, das vor sechzig (R.: 40) Jahren in Los Alamos gefeiert wurde, und nur wenige unter den Teilnehmern ahnten damals schon, daß letztlich auch sie selber Opfer ihrer ohne weibliche Hilfe zustande gekommenen »Geschöpfe« werden würden. Zunächst allerdings durften sie ihren Triumph, ihren frischen Ruhm, ihre neugewonnene Stellung in der Gesellschaft genießen. Sie wurden gefeiert, umworben, als Angehörige des plötzlich wichtigsten, einflußreichsten Berufsstandes beneidet. Erst nach und nach entdeckten sie, daß man sie auch fürchtete, ja sogar haßte, und daß man ihnen nur schmeichelte, um sich ihrer zu bedienen.

Die Vorstellung einiger der hervorragendsten Rüstungsforscher, daß sie nun nach dieser kriegerischen Episode wieder zu ihrer ruhigen selbstbestimmten Wahrheitssuche zurückkehren könnten, erwies sich sehr schnell als Illusion. Denn der so erfolgreiche neue Forschungsstil, den sie geschaffen hatten, nahm ihnen die alte Freiheit. Individuelle Forschung mit »Wachs und Bindfaden« - das war nicht mehr »in« und nun kaum mehr möglich. Die in den Rüstungslaboratorien entstandenen »Projektwissenschaften« mit ihrem Teamwork, ihren kostspieligen Instrumenten, ihrer straffen Organisation waren ohne staatliche Mittel nicht lebensfähig. Damit aber mußte der Einfluß von Instanzen wachsen, denen es in erster Linie nicht um Wahrheit, sondern um Macht ging, nicht um Erkenntnisse, sondern Erzeugnisse. Für die Freiheit angetreten, hatten die Forscher ihre Freiheit verloren.

Das »Manhattan Project«, dessen erfolgreicher Abschluß die meilenhohen Rauchpilze und Menschenhetakomben von Hiroshima und Nagasaki waren, hatte gezeigt, daß bei gezieltem Einsatz von genügend intelligenten Köpfen, Instrumenten und Geldmitteln Erfindungen in beschleunigtem Tempo erzwungen werden konnten. Diese Einsicht war fast so wichtig - manche meinten, sogar noch wichtiger - wie das Produkt, die neue Superwaffe. Denn diese Entwicklung schien zu verheißen, daß der wissenschaftlich-technische Fortschritt in Zukunft keinem glücklichen Zufall mehr überlassen werden müsse, sondern systematisch erzeugbar sei.

In einer Gesellschaft, deren Entscheidungsträger gewillt wären, diese neue gesellschaftliche Antriebskraft für lebenserhaltende Ziele einzusetzen, könne eine solche geplante und organisierte Kollektivforschung allgemeinen Wohlstand und Frieden bringen - so sah der Traum der Projektforscher in West und Ost aus. Aber sie rechneten in ihrer politischen Unerfahrenheit nicht damit, daß diese perfektionierten »Fortschrittsmaschinen« in ganz andere Richtungen gelenkt würden, nämlich zu jenen Bestimmungen, denen sie ihr Entstehen und ihre ersten Bewährungsproben verdankten: der Herstellung von militärischer, staatlicher, wirtschaftlicher Macht.

So ist sechzig (R.J.: 40) Jahre nach Hiroshima die große Mehrheit derer, die sich der Forschung und Entwicklung widmen, unmittelbar auch in zahlreichen mittleren oder kleineren aus öffentlichen oder industriellen Quellen unterstützten Laboratorien, zu Mitarbeitern an Vorhaben geworden, die sie persönlich nicht gutheißen können. Aber es bleibt ihnen, wenn sie nicht »Aussteiger« oder »Eigenbrötler« werden wollen, nichts anderes übrig, als an Arbeiten mitzuwirken, auf deren Nutzung sie wenig oder gar keinen Einfluß haben, ja deren Zielsetzung sie oft nicht einmal kennen. (...)

Der nukleare Rüstungswettlauf, dessen dröhnendes Startsignal die Katastrophe vom 6. August 1945 war, hat inzwischen ungleich weitergreifende, noch radikaler wirkende Massenzerstörungsmittel hervorgebracht als den »kleinen Jungen« von damals: bösartige Riesen, reißende Ungeheuer (...) und Vernichtung. (...)

Die »Bombe« - und das ist wohl ihre tiefste Wirkung - hat die Menschen so sehr verunsichert wie nichts zuvor. Die Zukunft - seit jeher als Zeit der Hoffnung empfunden - ist nun mit Furcht und Schrecken besetzt. Diese dunkle Wolke am Horizont einer jeden bewußten Existenz kann, ja muß immer wieder zeitweilig vergessen werden. Verschwinden könnte sie nur, wenn etwas ähnlich Einmaliges und Unerhörtes geschähe wie die Entdeckung der Atomkernspaltung und die dann daraus folgende Entwicklung von »endgültigen Waffen«.

Es ist aus solcher Überlegung heraus in Forscherkreisen immer häufiger von einem großen »Projekt« die Rede, das durch eine Zusammenführung von Wissenschaftlern vieler Disziplinen und Nationen in einem »crash program« überzeugende Lösungen zur Verhütung des atomaren Holocaust entwickeln sollte.

Doch halt: Ist dies nicht einmal mehr der Ausdruck jenes Geistes, der alles für machbar hält? Kommt da nicht wiederum jener typisch maskuline Hochmut zum Ausdruck, den Brian Easlea als eine Art »Erbsünde« der neuzeitlichen Wissenschaft ansieht? Ein solches »Anti-Hiroshima-Programm« wird trotz derartiger Bedenken vermutlich nicht in allzu ferner Zukunft versucht werden. Es entspricht eben einer Mentalität, die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts begonnen hat. Und sie hat in der Tat erstaunliche, im letzten halben Jahrhundert allerdings auch immer öfter abscheuliche Resultate gezeitigt.

Kann man denn Geschichte »machen«? Ist das Schicksal beherrschbar? Wird man es beeinflussen, ja sogar steuern können? Ganz auszuschließen ist das nicht. Und wenn die vielfachen Krisen, die unsere »p.h. (post Hiroshima) Welt« erschüttern, als Folge verantwortungslosen Drauflosforschens und ungenügend durchdachten technischen Handelns sich noch weiter verschärfen, werden für einen globalen Krisenstab vielleicht auch die notwendigen Mittel und Vollmachten erteilt.

Wichtiger und wohl letztlich erfolgversprechender wäre es, wenn die zu erwartenden vertieften und vermehrten Krisen nicht nur wissenschaftliche Superprojekte und gewaltige Aktionsprogramme gebären würden, sondern ein grundsätzlich anderes Denken.

Ansätze dazu sind heute schon hier und dort zu finden. Erich Fromm und vor ihm bereits Albert Schweitzer, wiesen bereits darauf hin, daß nur eine ganz entschiedene Abkehr von allen Formen todbringenden Denkens und Handelns Rettung bringen kann.

Es wird das dringendste Projekt einer neuen Generation von Denkern und Forschern sein, solche Ideen im Kontext der heutigen Möglichkeiten weiterzudenken und in Zusammenarbeit mit ihren Zeitgenossen zu konkretisieren. Welch faszinierende Aufgabe! Neben ihr löst sich die »süße Technik« der Gewalt, von deren Verführungskraft Oppenheimer sprach, in eine stinkende, giftige Wolke auf, die dann auf immer verschwinden sollte.

Aus: 'bild der wissenschaft', Juli 1985;
hier zitiert nach:
'Und Wasser bricht den Stein'. Freiburg 1986, S. 220-223.

In vielen Zeitungsartikeln und Diskussionsbeiträgen in e-Medien wird zur Zeit der Eindruck erweckt, es gehe bei der anstehenden Bundestagswahl um die Alternative zwischen zwei verschieden großen Übeln. Diese ideologische Sichtweise weist kaum einen Bezug zur Realität auf. Bundeskanzler Schröder setzt dennoch erneut auf die Vergeßlichkeit der Menschen und versucht ein weiters Mal die Karte des "Friedenskanzlers" auszuspielen.

In einer Mediengesellschaft wird vieles nicht als Realität wahrgenommen oder auch schnell wieder vergessen, was nicht im medialen Trommelfeuer permanent wiederholt wird. So haben viele vergessen, daß der Afghanistan-Krieg und der Kosovo-Krieg mit "rot-grüner" Beteiligung geführt wurden, und viele haben bereits vergessen, daß sich Deutschland unter Kanzler Schröder sehr wohl am Irak-Krieg beteiligte und tagtäglich beteiligt; nur nicht so offen und mit Pathos wie die Hegemonialmacht USA, sondern klammheimlich und - unbestritten - mit weniger hohem Einsatz. Diese Differenz zur USA hat allerdings keine friedenspolitischen, sondern einzig und allein wirtschaftliche Gründe. Deutsche Konzerne hatten zusammen mit französischen und russischen bereits lukrative Verträge mit dem Regime Saddam Husseins zur Ausbeutung der irakischen Ölvorkommen für die Zeit nach Beendigung des Embargos abgeschlossen. Die US-amerikanische Öl-Industrie wäre dadurch ins Hintertreffen geraten. Auch Merkel und Stoiber, die in anderen Fällen bereits Proben ihrer politischen Flexibilität abgelegt haben, hätte in den Monaten von Herbst 2002 bis Anfang 2003 im Falle einer Unions-geführten Bundesregierung noch rechtzeitig einen plausiblen Grund für eine nur eingeschränkte deutsche Teilnahme am Irak-Krieg gefunden.

Ist die "Linkspartei" eine überzeugende Alternative?

Diese eigentlich noch gar nicht existierende Partei wird auch nach der Umbenennung der PDS und dem bevorstehenden Zusammenschluß mit der WASG maßgeblich von PDS-Funktionären beherrscht. Auch sie haben schon genügend Proben ihrer "Politikfähigkeit" abgelegt. Die PDS ist nach den "Grünen" ein weiteres Beispiel für "Realpolitik" im Realitätstest. Beteiligt an Koalitionen in den Landesparlamenten von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin spielten sie nicht nur die Rolle als Rädchen im Getriebe des Sozialabbaus ohne jeglichen Knirschfaktor, sie gaben auch jede beliebige friedenspolitische Position ohne Zögern auf, wenn es dem Erhalt von Pöstchen diente. Die Parteibasis hatte darauf keinerlei Einfluß. Umgekehrt: Zuerst wurden Positionen wie Bundeswehreinsätze unter UN-Mandat von PDS-Promis festgezurrt und anschließend von der Basis auf Parteitagen (Münster) abgeseget. Und in der Berliner Senat stimmte mit den dafür nötigen PDS-Mitgliedern auch der EU-Verfassung zu, die sämtliche EU-Staaten zu permanenter Aufrüstung verpflichtet hätte.

Oskar Lafontaine wurde in der 'Frankfurter Rundschau' vom 5. Juli ausgiebig Platz in einem Interview eingeräumt, um auf die Kampagne zu antworten, die an seiner Aussage über "Fremdarbeiter" entzündet worden war. Es würde in die Irre führen, sich mit der Glaubwürdigkeit Lafontaines zu beschäftigen, aber dieses Interview bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit, die illusionäre und damit gefährliche Programmatik der neuen "Linkspartei" zu widerlegen.

Lafontaine beschwert sich, die Regierung ignoriere seine konstruktiven Vorschläge: "Wenn wir darauf hinweisen, dass alleine eine Vermögensbesteuerung wie in den USA 50 Milliarden mehr Einnahmen pro Jahr bringen würde, müssten sie das ja widerlegen können. Das können die aber nicht."

Daß "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" diesem Argument ausweicht, beweist überhaupt nichts. Daß aber Linke massenhaft auf einen solchen argumentativen Taschenspielertrick hereinfallen, ist beschämend für den Zustand der Linken in Deutschland. Viele sind über diesen "Beweis" für die Machbarkeit linker "Realpolitik" im Kapitalismus so begeistert, daß sie sich keine Sekunde Zeit nehmen, über die Merkwürdigkeit nachzudenken, daß hier ausgerechnet die US-Regierung als Kronzeugin herangezogen wird. Da stellt sich doch die Frage, warum wohl die US-amerikanischen Großverdiener widerstandslos ihre Vermögenssteuer zahlen. Ist denn hierzulande Linken nicht bekannt, wozu der größte Teil des US-amerikanischen Staatshaushalts verwendet wird? Für Sozialausgaben etwa?

Der US-"Verteidigungs"-Haushalt betrug 2004 offiziell 379,9 Mrd. Dollar. Er war damit größer als der der folgenden sechs Staaten zusammen. Und bis 2007 soll er auf über 500 Mrd. Dollar steigen. Die Reichen in den USA wissen genau, daß sich diese Investition beispielsweise durch das "Irak-Engagement" lohnt: Täglich fließen sechs bis sieben Millionen Barrel Öl aus dem Irak über die Türkei und das Mittelmeer unregistriert in die US-Wirtschaft. Das entspricht rund zwei Drittel der gesamten (offiziellen) Fördermenge Saudi-Arabiens. Damit dürfte auch klar sein, warum "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" keine Antwort auf das Argument Lafontaines zu bieten hat.

Lafontaine - oder irgendwer sonst - hat aber keinerlei Chance Kanzler zu werden, wenn er die Vermögenssteuer oder Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Zinsabschlagsteuer, Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer erhöhen will, um dieses Geld statt für Aufrüstung in den Sozialetat fließen zu lassen. (Nebenbei bemerkt: Durch Senkung der fünf zuletzt genannten Steuerarten hat "Rot-Grün" seit 2000 Steuereinnahmen von über 20 Mrd. Euro pro Jahr verschenkt.) Niemand hat die Chance an die Regierung zu kommen oder deren Kurs auch nur zu beeinflussen, der oder die nicht zuvor von denen jahrelang durchgecheckt wurde, die die Macht im Staate haben. Den "Primat der Politik über die Ökonomie" zu verkünden, heißt nichts anderes, als gefährliche Illusionen zu verbreiten.

"Sie meinen, sie seien an der Macht, dabei sind sie nur an der Regierung."
(Kurt Tucholsky)

Es lohnt sich nicht, die Wahlprogramme von WASG und PDS im Einzelnen zu analysieren. Nach demselben Schema wie der steuerpolitische Vorschlag Lafontaines werden "realpolitische" Forderungen erhoben, die nur dann einzulösen wären, wenn die neue Linkspartei einen Einfluß auf die Regierungspolitik erlangen und (!) wenn eine solche Regierung sich von der "Richtlinienkomptenz" des Kapitals befreien könnte. Doch mit welcher der anderen Parteien sollte eine solche Regierung möglich sein? Und diese "realpolitische" Programmatik ist nicht allein unter diesem Aspekt unrealistisch, sondern zugleich deshalb, weil sie im Kern auf eine sozialdemokratische Politik Marke 70er Jahre abzielt. Eine Rückkehr zu 'Deficit spending' und keynesianisch mit erhöhter Verschuldung finanzierter "Belebung der Binnennachfrage" ist jedoch angesichts gezielt ruinierter Staatsfinanzen und globalisierter Rahmenbedingungen schlicht nicht mehr möglich. Eine überzeugende Kritik der von "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" exekutierten Politik gelingt mit solchen politischen Programmen nicht. Der Slogan "Eine andere Welt ist möglich", den sie ungeniert in Beschlag nehmen, konterkarieren sie nicht nur - sie verstellen zugleich die Entwicklung einer wirklichen Perspektive.

Die neuen "Linkspartei" stellt entsprechend historischen Vorbildern - unfreiwillig - die passende Antwort auf den wachsenden gesellschaftlichen Widerstand dar. Die Mächtigen müssen diese Partei nur noch mit der entsprechenden Medien-Begleitung populär machen. (Auch "bad news is good news!") Mit der Einrichtung solcher "Auffang-Gesellschaften" können die verlorenen Schäfchen - sachte, ganz sachte - wieder zur Herde zurück geführt werden. Die Aufgabe, die von der neuen "Linkspartei" erfüllt werden soll, wird noch deutlicher, wenn die Politik führender VertreterInnen der PDS in den letzten Jahren beleuchtet wird. Die WasserträgerInnen an der Basis, die heute gutgläubig für die neue "Linkspartei" Wahlkampf machen, werden benutzt, um den Strom, der mehr und mehr aus der betonierten Rinne ausbricht, wieder zurück auf die Mühlen der Parteipolitik und damit in systemkonforme Bahnen zu lenken.

Peter Porsch, Vorsitzender der sächsischen PDS-Landtagsfraktion, warnte im Sommer 2004 kurz vor Beginn der Montags-Demos in einem Interview mit der Springer-Zeitung 'Die Welt', er fürchte, die kaum noch zu bändigende Wut über die "Arbeitsmarktreform" könne sich schnell in "unkontrollierbare Formen" wandeln.

Bereits im Juli 2002 verriet André Brie, Co-Autor des PDS-Parteiprogramms von 2003, im 'stern' seine "Perspektive zusammen mit der SPD dieses Land (zu) regieren". Und mit nahezu prophetischer Gabe schrieb er Lafontaine "eine entscheidende Rolle beim Zusammenkommen unserer Parteien" zu.

Häufig wird nun argumentiert, es gäbe kein "Naturgesetz", wonach jede neu gegründete Partei notwendigerweise den Weg der Anpassung einschlage. Es ist kein Naturgesetz, aber notwendige Folge eines Kampfes auf dem falschen Terrain. Die bisherigen Erfahrungen belegen das. Die "Linkspartei" ist heute bereits in einem Stadium, das die "Grünen" erst nach mehr als einem Jahrzehnt erreichten. Lafontaine und andere Promis der "Linkspartei" hätten ein Schlagwort zur Verfügung, mit dem sie zumindest ein wenig plausibler die Finanzierung des Sozialstaates begründen könnten: Kürzung des Rüstungsetats. Doch das wagen diese Damen und Herren nicht einmal in den Mund zu nehmen. Bundeswehr raus aus Afghanistan und Kosovo, Abschaffung der Wehrpflicht - und die bislang in der Öffentlichkeit wenig überzeugende Frage der Gegenfinanzierung wäre für jeden sozialdemokratischen Reformisten gelöst.

Eine wirkliche Alternative

Die Aufgabe der Friedensbewegung kann es jedoch nicht sein, sogenannte Wahlprüfsteine aufzustellen, um die überzeugendsten Schlagworte aus Parteiprogrammen - aus Lügenprogrammen -herauszufiltern oder gar bei deren Formulierung zu helfen. Sie muß statt dessen eine visionäre Perspektive aufzeigen, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und über die Reihen der Friedensbewegung hinaus muß die Erkenntnis weitergetragen werden, daß sich nur dann etwas zum Positiven wendet, wenn die Menschen selbst aktiv werden, die Politik nicht länger StellvertreterInnen überlassen und ihr Vertrauen nicht länger über den Staat vermittelten Politikkonzepten schenken.

Bereits jetzt sinkt die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen und Bundestagswahlen von Mal zu Mal. Längst ist der Anteil der NichtwählerInnen durchweg stärker als der jeder Partei. Diese teil diffuse, wenig zielgerichtete und teils gar resignative Erosion der parlamentarischen Demokratie wird von Kanzler Schröder nach Kräften gefördert. Ähnlich wie zum Ende der Weimarer Republik besteht die große Gefahr, daß die letzten Reste der Freiheit geschleift werden und - wie Bertold Brecht es einmal formulierte - es "drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind". Brecht hat sich leider unglaubwürdig gemacht, indem er sich auf die Seite des Ostblocks gestellt und sich eine Kritik an der atomaren Aufrüstung des Sowjetunion verkniffen hat. Recht aber hatte er, wenn er diesen Satz wie folgt fortsetzte:
"...und sie werden kommen ohne jeden Zweifel,
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten,
nicht die Hände zerschlagen werden."
Wen er - vereinfacht und personifiziert - damit gemeint hat, denen die Hände zerschlagen werden müssen, dürfte klar sein. Ich übersetze das zeitgemäß mit: der Kapitalismus muß zerschlagen werden. Die Diktaturen des Ostens, in die viele Intellektuelle und WissenschaftlerInnen ihre Hoffnungen gesetzt hatten, sind glücklicher Weise in sich zusammen gebrochen. Darauf, daß auch der Kapitalismus von alleine zusammenbricht, dürfen wir und nicht verlassen.

Die Abschaffung des Kapitalismus jedoch, ist nicht anders möglich als durch eine gewaltfreie Demokratisierung der gesamten Ökonomie, die von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen werden muß. Anders kann dies nicht realisiert werden.

Es wird Zeit, umzusteuern, indem wir uns dafür einsetzen, eine wirkliche Demokratie zu errichten.

Ich danke fürs Zuhören.

 

 

Zurück zur Übersichtsseite 'Redebeiträge'

Zurück zur Hauptseite